"Christian Wulff ist kein Opfer der Medien"

Bernhard Pörksen im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Mit offenen Karten von Anfang an wäre der frühere Bundespräsident Christian Wulff, der seit heute wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht, wohl heute noch im Amt, sagt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Doch auch die Medien hätten Grenzen überschritten.
Korbinian Frenzel: Heute beginnt der Prozess gegen Christian Wulff, den ehemaligen Bundespräsidenten, der Prozess, der klären soll, ob Wulff bestechlich war. Da geht es eigentlich, man kann das nicht leugnen, um Peanuts, um 753 Euro und 90 Cent. Vorteilsnahme lautet die Anklage, bei Juristen ist das die kleine Schwester der Bestechlichkeit.

Und generell ist ja in den letzten Monaten auch selbstkritisch von so mancher Zeitung und Zeitschrift gefragt worden, haben wir es damals übertrieben, haben Medien und Justiz Christian Wulff aus dem Amt gejagt? Bernhard Pörksen hat diesen Skandal als Medienwissenschaftler sehr genau beobachtet. Er tut es weiter und jetzt gemeinsam mit uns. Ich begrüße den Professor für Medienwissenschaft an der Uni Tübingen, guten Morgen, Herr Pörksen!

Bernhard Pörksen: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Frenzel: "Wenn die Bestie erwacht", unter dieser Überschrift hat Hans-Ulrich Jörges vom "Stern" selbstkritisch auf die Rolle der Medien zurückgeschaut in dieser Wulff-Geschichte. Und seine These dabei ist die: Die Medien haben nicht aufgeklärt, sondern sie sind zur Empörungsmaschine geworden. Ist da was dran?

Pörksen: Ich glaube, dass Ulrich Jörges in diesem Fall falsch liegt. Er hat sich ja entschuldigt, er hat sich selbst beschuldigt, in einem Akt öffentlicher Zerknirschung eingestanden, er sei Teil der Meute gewesen. Nein, ich denke, Christian Wulff ist kein Opfer der Medien, er ist wesentlich an sich selbst und an seinem fatalen Krisen- und Skandalmanagement gescheitert.

Es hat natürlich – das muss man schon sagen – Grenzüberschreitungen gegeben im Verlauf dieser Affäre. Natürlich hat man Banalitäten aufgebauscht, hat versucht, die Vergangenheit des Bundespräsidenten auf eine unlautere Art und Weise zu durchleuchten, ihn zum Schnäppchenjäger zu stilisieren, so eine Art Charakter- und Integritätstest zu machen. All dies war absurd, das war fehlerhaft, aber in der Summe muss man sagen, dass diese Grenzüberschreitungen nach meinem Dafürhalten nicht typisch sind für den gesamten Fall. Die Skandalisierung von Missständen gehört zur Kritik- und Kontrollfunktion des politischen Journalismus unbedingt dazu.

"Der Fall schillert, der Fall ist uneindeutig"
Frenzel: Aber wenn wir die Summe wirklich betrachten, dann bleibt ja schon dieser schale Beigeschmack, ganz egal, wie dieser Prozess nun ausgeht. Wir wissen, es geht um einige Rechnungen, die für ihn beim Besuch des Oktoberfestes und bei ähnlichen Dingen beglichen wurden, 700 Euro insgesamt. Dafür hätte ja eigentlich kein Bundespräsident zurücktreten müssen, oder?

Pörksen: Das kann man in der Tat so sehen, was jetzt übrig bleibt, sind Bagatellen, sind Petitessen. Nur, man hätte Prophet sein müssen, um all dies vorauszusehen, und das konnte eben niemand voraussehen. In der Tat, ich glaube auch, das Vertrackte an dieser Affäre ist, dass alle ein bisschen recht und ein bisschen unrecht haben, dass diese Affäre kein klares Schwarz oder Weiß, kein klares Gut oder Böse kennt. Aber zu diesem Wesen der Affäre gehört eben auch, dass eigentlich bis zum Schluss, ja fast bis heute niemand so richtig die Deutungshoheit erringen konnte. Der Fall schillert, der Fall ist uneindeutig. Niemand konnte wissen, was dabei herauskommt. Und das lag eben auch, mit Verlaub gesagt, an dem fatalen Krisen- und Skandalmanagement von Christian Wulff selbst.

Frenzel: Das heißt, wenn Christian Wulff ganz am Anfang alle Bobby Cars, alle von Freunden bezahlten Hotelnächte auf den Tisch gelegt hätte, dann wäre er da rausgekommen, dann wäre er heute noch Bundespräsident?

Pörksen: Ich bin der Auffassung, ja. Ich glaube, die Affäre hätte sich verlaufen. Sie ist immer wieder angeheizt worden durch dieses Krisenmanagement, durch den Anruf beim "Bild"-Chefredakteur, durch diesen versuchten Befreiungsschlag im Rahmen des ARD-Interviews mit Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten, ein Interview, das dann in 15 wesentlichen Punkten im Nachgang oft schon wenige Stunden nach der Sendung korrigiert werden musste. All dies hat es gegeben.

Wenn wir das einen Moment vergleichen mit der Affäre um Karl-Theodor zu Guttenberg, dann sehen wir einen ganz wesentlichen Unterschied: Bei Karl-Theodor zu Guttenberg war nach 14 Tagen alles klar, der Mann hat abgeschrieben. Es ging nur noch um die Frage: Kann er unter diesen Umständen Minister bleiben, ja oder nein. Und da haben sich die Medien sehr unterschiedlich positioniert. Bei Christian Wulff ist auch nach zwei Jahren noch vieles unklar, und eben deshalb wird jetzt ein Gericht tätig.

Frenzel: Man könnte diese Geschichte aber natürlich auch anders erzählen. Wenn wir mal zurückschauen auf das Jahr 2010, als Christian Wulff Bundespräsident wurde. Da hatte er ja als Gegenkandidaten den, der es jetzt ist, nämlich Joachim Gauck, der ja damals die gesamte publizistische Unterstützung in Deutschland hatte. Alle waren für ihn, Christian Wulff galt als der Mann der Partei, der da durchgesetzt wurde. War das vielleicht einfach der Schatten dieser ganzen Geschichte, dass man gesagt hat, da ist der falsche Mann am falschen Ort?

Pörksen: Man kann in der Tat sagen, dass es ein ganz starkes Votum auch der journalistischen Zunft für Joachim Gauck gegeben hat, ein ganz klares Plädoyer. Man kann sogar noch weiter zurückschauen, auch der Rücktritt von Horst Köhler hat ganz gewiss das Interesse der schreibenden und sendenden Zunft an diesem Amt neu geweckt. Auf einmal haben wir alle auch in dieser Republik, auch die Bürgerinnen und Bürger darüber diskutiert, wie soll, wie muss dieses Amt ausgefüllt werden, welche Repräsentationspflichten müssen auf auf welche Weise erfüllt sein?

Aber ich glaube nicht, dass Christian Wulff von Anfang an gewissermaßen heruntergeschrieben werden sollte. Diese Affäre beginnt ja mit einer, ich sage mal vorsichtig, leichten Wahrheitsbeugung vor dem niedersächsischen Landtag. In dieser Frage hat der "Spiegel" schon sehr lange recherchiert, die "Bild"-Zeitung ist dann draufgesprungen. Und dieser Umgang mit einer möglichen Normverletzung - Herkunft der Kredite - dieser sozusagen leicht vertuschende, irritierende, auf jeden Fall nicht ganz amtsgemäße Umgang mit der Affäre, der zieht sich durch. Das heißt, der eigentliche Skandal, so er denn einer war, wurde von Anfang an – und zwar gleichsam vom ersten Satz an – von einem anderen Skandal, nämlich dem Umgang mit dem eigentlichen Skandal überlagert.

Bernhard Pörksen
Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Uni Tübingen© privat
"Ein Kampf um Reputation aller Beteiligter"
Frenzel: Heute beginnt ja nun der Prozess. Lassen Sie uns noch mal kurz auf die Rolle der Justiz schauen, die Staatsanwaltschaft: Hatte die eigentlich überhaupt eine andere Chance in diesem Sturm der Affäre, dieser Medienaffäre am Beginn des Jahres 2011, anders zu entscheiden, als sie das tat, und ist sie jetzt letztendlich in diesem Pfad gefangen, dass sie wirklich diese Anklage durchziehen muss?

Pörksen: Es gab ja das Angebot in Richtung von Herrn Wulff, das Verfahren einzustellen gegen eine Geldbuße. Das hat er aus verständlichen Gründen nicht angenommen. Ich bin kein Jurist und tue mich daher mit einer juristischen Einschätzung schwer. Was hier auf jeden Fall stattfindet, ist ein, wenn man so will, Kampf um Reputation aller Beteiligter und aller Parteien. Die Staatsanwaltschaft will signalisieren, es gibt keinen Prominentenbonus, man lässt sich nicht einschüchtern, man lässt sich nicht beeinflussen. Und Christian Wulff versucht ja im Gerichtssaal, seine Ehre wiederherzustellen, sein Ansehen erneut zu gewinnen.

Frenzel: Glauben Sie, das kann ihm gelingen, die Ehre wiederherstellen mit diesem Prozess?

Pörksen: Ich bin da sehr skeptisch, und das ist durchaus eine kritische Bemerkung in Richtung der gegenwärtigen Mediengesellschaft, in der wir leben. Wir leben ja in einer Empörungs- und Mediengesellschaft, in der die eigentliche Verurteilung nicht mehr alleine im Gerichtssaal stattfindet, sondern eben in der öffentlichen Sphäre. Und ein Freispruch vor Gericht kann die öffentliche Stigmatisierung nicht beseitigen. Und das ist ein echtes Problem, ein echtes Dilemma. Wer im juristischen Sinne womöglich unschuldig ist, muss trotzdem mit der öffentlichen Verurteilung leben.

Frenzel: Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Uni Tübingen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Pörksen: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema