Christian Y. Schmidt über Alltag in Peking

"Von Unruhe ist hier überhaupt nichts zu spüren"

08:56 Minuten
Menschen in einer U-Bahn in Peking. Sie tragen Mundschutz und schauen auf ihre Handys.
Die Bewohner von Peking gehen weiter ihrem Alltag nach. © imago images / ITAR-TASS / Artyom Ivanov
Moderation: Vladimir Balzer |
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Mindestens 490 Menschen sind in China bereits am Coronavirus gestorben. Autor Christian Y. Schmidt berichtet aus Peking von einer großen Unzufriedenheit im Land und der vorherrschenden Stimmung, sich von diesem Virus nicht unterkriegen zu lassen.
In Asien ist die Zahl der Menschen, die sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben, weiter gestiegen. In China haben sich mehr als 24.000 Menschen infiziert, mindestens 490 Patienten starben bereits an den Folgen der Lungenkrankheit. Auch in Hongkong wurde zum ersten Mal ein Todesfall bestätigt.
"Die Angst ist eigentlich nicht besonders groß. Also hier in Peking sind die Infektionszahlen ja relativ niedrig", sagt der Autor Christian Y. Schmidt, der mit seiner Frau seit 2005 in der chinesischen Hauptstadt lebt. Von 1989 bis 1995 war er Redakteur der Satire-Zeitschrift "Titanic". Für die Wochenzeitung "Der Freitag" führt er momentan ein Corona-Tagebuch.

In "berghaineskem" Outfit dem Virus trotzen

Schmidt und seine Ehefrau lassen in ihrem Alltag "einige Vorsicht" walten, wie er sagt: Sie verlassen die Wohnung nur noch mit Masken und Handschuhen, was teilweise so absurd aussieht, dass er dieses spezielle Outfit "berghainesk" getauft hat, womit er auf den Techno-Club Berghain in Berlin anspielt.
Anders sehe die Lage aber in Wuhan aus, "wo das Virus offensichtlich außer Kontrolle geraten ist", sagt Schmidt. Müsste er dort leben, hätte er sicher "ein bisschen Schiss", vor allem wenn er in ein Krankenhaus müsste. Wuhan sei momentan einer der gefährlichsten Orte - mit sehr vielen Infizierten, die nicht wirklich isoliert werden könnten, und zu wenig medizinischem Personal.

Online-Shopping boomt

Dass hunderttausende Menschen zum Teil ohne Gerichtsentscheid einfach zu Hausarrest verurteilt werden, ist nach Schmidts Ansicht "höchstwahrscheinlich notwendig". Die Betroffenen verlagern ihr Leben nun einfach in die eigenen vier Wände, bestellen Lebensmittel online und rufen Filme und Serien über Streaming-Plattformen ab, wie Schmidt berichtet.
Ein regelrechter Online-Shopping-Boom sei zu verzeichnen: "Während die Restaurants kurz vor der Pleite stehen, profitieren eben diese großen Internetfirmen."
Mitglieder eines chinesischen medizinischen Versorgungsteams stellen sich in einer Reihe auf, um ein Flugzeug zu besteigen. Sie strecken den Daumen nach oben und signalisieren, dass alles ok ist.
Mitglieder eines chinesischen medizinischen Versorgungsteams stellen sich in einer Reihe auf, um ein Flugzeug zu besteigen.© imago images / Xinhua
Von allgemeiner Verzweiflung sei aber wenig zu spüren, berichtet Schmidt: "Ich glaube, es gibt das ganze Spektrum." Einerseits gebe es eine große Unzufriedenheit mit der Lage, andererseits herrsche die Stimmung vor, sich von diesem Virus nicht unterkriegen zu lassen.
Schmidt erzählt von einem Video, das im Internet kursiert: Es zeigt Menschen in Wuhan, die sich über geöffnete Fenster in Hochhausblöcken gegenseitig Mut machen, indem sie sich "Gib Gas!" zurufen - ein Ruf, der für gewöhnlich in Sportstadien zu hören sei.

Verschlüsselte Botschaften in der Volkszeitung

Andere singen patriotische Lieder, die China oder die Kommunistische Partei verherrlichen, berichtet Schmidt. Die politische Sprengkraft der momentanen Entwicklung könne er allerdings nicht beurteilen.
Interessant seien dafür Artikel, die jüngst in der chinesischen Volkszeitung "People's Daily" erschienen. Diese beinhalteten lange Geschichten über Beamte aus der Qing-Dynastie, die unfähig und korrupt waren. Dies sei ein Indiz dafür, dass "durchaus irgendetwas brodelt, also, dass die Beamtenschaft nicht das tut, was die Führung von ihr erwartet, was tatsächlich der Fall ist", sagt Schmidt.
Auch wenn der Unmut im Internet zunehme, sehe in Peking selbst alles extrem friedlich und geruhsam aus, so Schmidt. "Von irgendeiner Unruhe ist hier überhaupt nichts zu spüren."
(ckr)
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