Regierungssprecherin Christiane Hoffmann
Leidenschaftliche Journalistin, Buchautorin und jetzt auch Regierungssprecherin: Christiane Hoffmann. © C. H. Beck / Ekko von Schwichow
Auf der Fluchtroute des Vaters
36:00 Minuten
Millionen Menschen auf der Flucht aus der Ukraine – das berührt die Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann besonders, denn: Sie hat 2020 die Route ihres Vaters „erwandert“, die dieser als Kind bei seiner Flucht aus Schlesien gegangen war.
Im Rückblick betrachtet habe es „immer schon Anzeichen“ gegeben, sagt Christiane Hoffmann: die Albträume als Kind, die unerklärliche Furcht vor dem Krieg. Doch erst als Erwachsene verstand sie, „was der Krieg mit meinen Eltern als Kinder gemacht hat“ und wie auch sie davon beeinflusst ist.
Der Familiengeschichte nachgehen
Die Mutter war als kleines Kind mit der Familie aus Ostpreußen geflohen, der Vater als Neunjähriger aus Schlesien. Lange Zeit war das für Christiane Hoffmann „einfach Familiengeschichte“. Der Vater habe sich mit der Familie in Norddeutschland niedergelassen, wo Christiane Hoffmann 1967 geboren wurde, und versucht, den Krieg hinter sich zu lassen.
„Ich hatte nie das Gefühl, dass er eine emotionale Erinnerung an diese Flucht hatte“, sagt die Tochter über den mittlerweile verstorbenen Vater. Begriffe wie „Verlust der Heimat“ seien eher die Worte der Großelterngeneration gewesen. Bei ihren Eltern habe „immer die Schuld“ im Vordergrund gestanden und „immer die Versöhnung“.
Im Jahr 2020 entschloss sie sich, der Familiengeschichte nachzugehen – im wörtlichen Sinn: Sie lief die siebenwöchige Fluchtroute ihres Vaters ab und schrieb ihre Gedanken und Erlebnisse in „Alles, was wir nicht erinnern“ nieder.
Ein einsamer Weg durch die Vergangenheit
Auf ihrem Weg ging sie durch Landstriche, in denen nach dem Krieg „praktisch die gesamte Bevölkerung ausgetauscht“ worden war, und traf in der Ukraine und in Polen auf Menschen, deren Familiengeschichten ebenso von Vertreibung und Gewalt geprägt waren. „Es gab ein Schicksal, was verbindet.“
Sie habe „lange eine Art gesucht, über diese Flucht zu schreiben“, sagt Christiane Hoffmann. Doch sie habe sich vorher nicht so klargemacht, wie erschöpft sie sein würde und „wie einsam letztlich auch“. Die Annäherung an den Vater und die Familiengeschichte in diesem Wander- und Schreibprozess sei auch ein Nachfühlen gewesen. „In dieser Erschöpfung habe ich noch mal viel verstanden.“
Der Krieg in der Ukraine und die Millionen Menschen auf der Flucht „berührt mich natürlich nochmal besonders“, sagt die langjährige Journalistin und jetzige Vize-Regierungssprecherin, denn sie habe gesehen, wie lange es dauern könne, „diese Wunden zu heilen“.
„Die schwerste Entscheidung meines Lebens“
Schon früh hat sich die gebürtige Hamburgerin dem Osten zugewandt und absolvierte einen Teil ihres Studiums der Slawistik, Geschichte und Journalistik in Leningrad – ausgerechnet ab dem Wintersemester 1989.
Sie habe einige der wichtigsten Ereignisse der deutschen Geschichte „verpasst oder aus einer sehr merkwürdigen Perspektive wahrgenommen“. Was der Umbruch für die Sowjetrepubliken bedeutete und „wie ungeheuer die Hoffnungen waren“, erlebte sie später auf ausgedehnten Reisen, etwa ins Baltikum.
Viele Jahre war Christiane Hoffmann „leidenschaftliche Journalistin“, unter anderem bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, für die sie als Korrespondentin in Moskau, Teheran und Berlin arbeitete, und ab 2013 beim Spiegel.
Im vergangenen Dezember traf sie dann die „schwerste Entscheidung meines Lebens“: Hoffmann ließ den Journalismus hinter sich und ist seit einigen Monaten stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. Nach viel Analyse und Kritik habe sie nun eine „ganz andere Möglichkeit, mitzugestalten“.
Doch auch wenn es eine „Lebensschwelle“ war, an der sie ihren neuen Beruf fand, ganz zurück lässt sie ihre alte Berufung nicht: „Ich werde ein schreibender Mensch bleiben.“
(era)