Christina von Hodenberg: "Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte"
C.H. Beck Verlag, München 2018
250 Seiten, 24,95 Euro
Geburtsstunde des modernen Feminismus
Hausarbeit statt Vietnam-Demo, Kinderbetreuung statt ideologischer Debatten: Zum 50. Jahrestag der 68er-Revolte rückt Christina von Hodenberg den Geschlechterkonflikt in den Fokus. - Nicht ganz neu und dennoch hochaktuell.
Alle Jubeljahre wieder: der Blick zurück auf die 68er-Revolte vollzieht sich mit zuverlässiger Gedenkroutine auch zum 50. Jahrestag. Die Historikerin Christina von Hodenberg wartet dazu mit angeblich brandneuen Erkenntnissen auf. Ins Zentrum rückt sie nicht die politischen, ohnehin als gescheitert geltenden Impulse der Bewegung – Vietnamkrieg, Notstandsgesetze – sondern das private Leben der Genossen. Dabei stellt sie eine nur scheinbar verblüffende These auf: nicht der Generationenkonflikt sei es, der die 68er umgetrieben habe, es sei die Frauenfrage, die bis heute nachwirke.
Als Beleg für den ersten Teil dieser These zieht sie lange vergessene Tonbandaufnahmen zu Rate, die sie im Keller des Psychologischen Instituts der Bonner Uni entstaubte. In einer Langzeitstudie waren von 1967 bis 1969 ältere, aus allen Schichten stammende Männer und Frauen unter anderem nach der allseits beschwiegenen Nazi-Zeit befragt worden. Auch die studentischen Sprösslinge hätten das Thema tabuisiert, so das Resümee der Autorin; die Verdammungsvokabel "Nazi" habe man "abstrakten" Autoritäten angeheftet, Polizisten oder Ministern, nicht aber dem eigenen geliebten Vater oder dem Ordinarius, bei dem man seine Doktorarbeit schrieb. Woraus die 1965 geborene Professorin den generellen Verdacht ableitet, im Familien- und Generationenverhältnis habe es eine beträchtliche Harmonisierungsenergie gegeben.
Vielleicht sind ein paar hundert Befragte nicht unbedingt repräsentativ, außerdem kennt man aus der Literatur durchaus gegenteilige Biografien, in denen Söhne ihre Väter an den Pranger stellten, Bernward Vesper etwa oder Christoph Meckel.
Als Beleg für den ersten Teil dieser These zieht sie lange vergessene Tonbandaufnahmen zu Rate, die sie im Keller des Psychologischen Instituts der Bonner Uni entstaubte. In einer Langzeitstudie waren von 1967 bis 1969 ältere, aus allen Schichten stammende Männer und Frauen unter anderem nach der allseits beschwiegenen Nazi-Zeit befragt worden. Auch die studentischen Sprösslinge hätten das Thema tabuisiert, so das Resümee der Autorin; die Verdammungsvokabel "Nazi" habe man "abstrakten" Autoritäten angeheftet, Polizisten oder Ministern, nicht aber dem eigenen geliebten Vater oder dem Ordinarius, bei dem man seine Doktorarbeit schrieb. Woraus die 1965 geborene Professorin den generellen Verdacht ableitet, im Familien- und Generationenverhältnis habe es eine beträchtliche Harmonisierungsenergie gegeben.
Vielleicht sind ein paar hundert Befragte nicht unbedingt repräsentativ, außerdem kennt man aus der Literatur durchaus gegenteilige Biografien, in denen Söhne ihre Väter an den Pranger stellten, Bernward Vesper etwa oder Christoph Meckel.
Das Gerede vom gesellschaftlichem Nebenwiderspruch
Eher folgen möchte man der Autorin beim zweiten Teil ihrer These, wenn sie den Geschlechterkonflikt ins Visier nimmt. Herrlich, was sie als Geburtsstunde des modernen Feminismus schildert, das berühmte Tomatenattentat auf dem Frankfurter SDS-Kongress. Ein Happening, spontan und aus hellem Zorn entstanden. Wie vielen Frauen reichte es der Soziologiestudentin Sigrid Röger als nützliche Idiotin Flugbätter zu tippen, sich um Hausarbeit und Kinder zu kümmern, während die intellektuellen Gurus der Bewegung von Frauen als gesellschaftlichem Nebenwiderspruch faselten.
Die jungen Frauen wussten, wogegen sie opponierten. 15 Prozent der Studenten waren verheiratet, viele hatten Kinder, die Last trugen ihre gleichfalls studierenden Ehefrauen oder Freundinnen. Staatliche Kinderbetreuung fehlte weitgehend, für die 660 Kleinkinder an der Bonner Universität gab es genau 20 Krippenplätze. So verbindet von Hodenberg zurecht die Anfänge der neuen Frauenbewegung eng mit der Kinderfrage. Und nicht, wie oft geschehen, mit sexueller Autonomie.
Die jungen Frauen wussten, wogegen sie opponierten. 15 Prozent der Studenten waren verheiratet, viele hatten Kinder, die Last trugen ihre gleichfalls studierenden Ehefrauen oder Freundinnen. Staatliche Kinderbetreuung fehlte weitgehend, für die 660 Kleinkinder an der Bonner Universität gab es genau 20 Krippenplätze. So verbindet von Hodenberg zurecht die Anfänge der neuen Frauenbewegung eng mit der Kinderfrage. Und nicht, wie oft geschehen, mit sexueller Autonomie.
Nicht neu, aber immer noch aktuell
Leider war bei solch wenig hippen Themen anders als bei der Nacktparade im Berliner Zimmer der Kommune 1 niemals ein Kamerateam dabei, was auch dazu führte, dass Frauen aus jener Zeit visuell weniger präsent sind. Wie überhaupt sich Berichte über vaginalen Orgasmus natürlich besser verkauften als solche über die Organisation von Putzdiensten und Leichtlohngruppen.
Brandneu ist dieser Blick zurück zwar nicht, aber überaus nützlich und voller schönsten Anschauungsmaterials für eine junge Frauengeneration, die in MeToo- und Genderdebatten gern aus dem Auge verliert, was bis heute fehlt: die wirkliche Gleichstellung der Frauen, jederzeit und überall.
Brandneu ist dieser Blick zurück zwar nicht, aber überaus nützlich und voller schönsten Anschauungsmaterials für eine junge Frauengeneration, die in MeToo- und Genderdebatten gern aus dem Auge verliert, was bis heute fehlt: die wirkliche Gleichstellung der Frauen, jederzeit und überall.