Christina Weiss: Wir brauchen politische Seiteneinsteiger
"Einen Tag mehr Nachdenkenszeit" und "ein paar beratende Gespräche" hätte sich Christina Weiss vor Köhlers Rücktritt gewünscht. Sie warnt vor Vorbehalten gegenüber politischen Seiteneinsteigern. Weiss war Geisteswissenschaftlerin und Journalistin, bevor sie in die Politik ging.
Dieter Kassel: Wenn Horst Köhler geglaubt haben sollte, nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten würden die Medien sanfter mit ihm umgehen als zuvor, dann hat er sich eindeutig getäuscht. Verständnis wird heute kaum gezeigt in den Kommentaren. In mehreren Artikeln wird Horst Köhler der Fahnenflucht bezichtigt. Am weitesten geht im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" der Autor Nils Minkmar, der diesen Rücktritt als Katastrophe bezeichnet, die den Abschluss einer blamablen Amtszeit darstelle. Manche, die nach vorne gucken, vermeintlich nach vorne gucken vielleicht, die sehen in diesem Rücktritt auch ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Seiteneinsteiger in der Politik einfach nicht funktionieren. Dass sie neben anderen Dingen zu empfindlich sind, was den rauen Wind angeht, der da manchmal weht und der ja auch Horst Köhler um die Ohren wehte seit seinem Interview vom 21. Mai.Bei mir im Studio ist jetzt eine Frau, die eigentlich – na, nicht eigentlich, sie hat es getan unter anderem – vergleichende Literaturwissenschaft, Germanistik und einige andere geisteswissenschaftliche Fächer studiert hat, an Universitäten gearbeitet, sehr bald auch Kritikerin und Journalistin wurde und dann aber diesen Seiteneinstieg in die Politik gewagt hat. Zuerst in Hamburg als Kultursenatorin, das war sie von 1991 bis 2001, und dann war sie von 2002 bis 2005 Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Und inzwischen ist sie wieder Journalistin und jetzt bei mir im Studio. Christina Weiss, schönen guten Tag erst mal!
Christina Weiss: Guten Tag!
Kassel: Ich habe schon gesagt, sehr wenige haben Verständnis gezeigt für Horst Köhlers Rücktritt – haben Sie Verständnis dafür?
Weiss: Ich kann mir einige Motivationen vorstellen, also ich kann mir die Emotionslage vorstellen, aus der heraus so etwas passiert. Ich halte es auch für eine Katastrophe, und ich hätte mir, uns allen sehr gewünscht, dass er sich einen Tag mehr Nachdenkenszeit gegönnt hätte und vielleicht doch ein paar beratende Gespräche geführt hätte. Es ist einfach eine Katastrophe, wenn ein Bundespräsident zurücktritt. Und wenn er zurücktritt mitten in einem solchen Wortgefecht, was gegen ihn losgegangen ist, dann hat das immer so einen Anschein von: Ich mache nicht mehr mit, ich bin gekränkt! Und das ist natürlich eine Haltung, die man nicht einnehmen darf als Politiker.
Kassel: Er hat selber gesagt bei seiner Rücktrittsrede, seiner ganz kurzen gestern, er sehe in der harschen Kritik, die er sich hat gefallen lassen müssen, einen Mangel an Respekt vor diesem Amt. Ein so schneller Rücktritt, zeigt der nicht auch einen gewissen Mangel an Respekt vor dem Amt?
Weiss: Er hat von dem Respekt vor dem Amt gesprochen, aber ich bin ziemlich sicher, er meinte natürlich Respekt vor seiner Person. Und den konnte man tatsächlich vermissen. Also die Schläge, die er abkriegte, waren wirklich so, dass einem der Atem stockte. Also ich habe das verfolgt in den letzten Wochen und habe gedacht, das ist jetzt eigentlich ein bisschen zu viel. Es gibt Dinge, die man über sich selbst, wenn man sie lesen muss, kaum ertragen kann. Und es ist immer dann, wenn es an die Persönlichkeit geht. Also Tapsigkeit oder schlechte Reden oder so was, das ist etwas, was wirklich wehtut, und das hat er massiv abbekommen. Trotzdem hätte sein Respekt vor dem Amt auch dazu führen können, dass er offensiv debattiert hätte.
Kassel: Man muss ja auch ganz ehrlich sagen, in diesem Interview im Deutschlandradio Kultur, das ein bisschen, mehr als ein bisschen den Ausschlag ja gegeben hat am Ende für den Rücktritt, hat er im Zusammenhang mit seinen umstrittenen, möglicherweise stark missverstandenen Äußerungen ausdrücklich gesagt, er wünscht sich eine Diskussion. Letzten Endes, wenn auch in herber Art und Weise, war das doch eine Diskussion, die dann stattfand.
Weiss: Nein, es war natürlich keine Diskussion um die Sache. Natürlich kann man in Deutschland auch eine Debatte darüber führen, welche Rolle Deutschland in Kriegen überhaupt übernehmen will und muss aber auch. Er hat die Debatte eben nicht angestoßen, weil er sich inhaltlich überhaupt nicht mehr darauf eingelassen hat. Die Debatte ging dann um seine Person.
Kassel: Ist er denn jetzt – viele Zeitungen haben dieses Wort benutzt, was ja nicht zufällig aus der Militärsprache kommt – ist er denn nun ein Fahnenflüchtiger für Sie?
Weiss: Ich bin enttäuscht über den Rücktritt, ich kann ihn aber leider dann doch so gut verstehen, dass ich das Wort Fahnenflüchtling für viel zu massiv halte. Es gehört eigentlich noch in das Wort Gefecht, was vorher schon angefangen war.
Kassel: Was ist da passiert? Es gab diese Kritik, über die wir jetzt reden, natürlich von zwei Seiten, diverse Seiten, aber zwei Unterschiede: politische Gegner in anderen Parteien, aber auch die Medien. Ist tatsächlich ein Mensch, der ein Seiteneinsteiger ist, wie es jetzt einige sagen, einfach viel empfindlicher oder ist tatsächlich auch der Ton rauer geworden in den letzten Jahren?
Weiss: Ich glaube, erstens ist der Ton rauer geworden, tatsächlich. Also persönliche Angriffe waren doch eigentlich eher die Seltenheit in der Presse, in den Medien. Das ist häufiger geworden. Das ist auch, das geht viel mehr ins Private auch, ins Äußere, also ins Verhalten, also wirklich die Person ist gemeint. Auf der anderen Seite ist ein Bundespräsident in seiner Funktion nur als Person wahrnehmbar, und als solche steht er da. Als solche darf er im Übrigen auch immer wieder Dinge äußern, die in der anderen Politikseite nicht ausgesprochen werden dürfen. Er hatte aber in der Tat auch nicht viel Unterstützung. Also es kam niemand, der in seinem Sinne auch mal die Debatte aufgegriffen hätte. Man kann ja auch ablenken, man kann ja auch eine Person verteidigen, indem man das, was sie gesagt hat, aufgreift und in die Inhalte geht. Ich glaube im Übrigen, dass der Bundespräsident eine große Chance gehabt hätte, in die Inhalte auszuweichen. Das war übrigens im Bereich der Kultur natürlich auch für mich der Fall, ich konnte immer in die Inhalte gehen, und ja, dann war die Sachfrage plötzlich das Zentrale.
Kassel: Wie wichtig war denn für Sie die Unterstützung durch Parteifreunde? Also in der Hamburger Zeit natürlich durch den Bürgermeister und später durch den Bundeskanzler. Welche Rolle spielte das, denn Sie haben ein bisschen, ich sag mal, länger das Ganze aufsteigend ausprobieren dürfen, von der regionalen Ebene erst später auf die Bundesebene, aber eine Umstellung wird es doch auch für Sie gewesen sein?
Weiss: Natürlich war das eine Umstellung, natürlich ist die Bundesebene sehr viel rauer als die Landesebene – die Landesebene, wo man dann in Windeseile auch wirklich alle kennt, wo man seine Freunde hat, wo man genau weiß, wo die Feinde sich formieren, und man kann deshalb darauf reagieren, man kann auch besser auf die "Feinde" in Anführungszeichen zugehen. Die Unterstützung durch Freunde aus den Parteien ist unendlich wichtig. Ich glaube, das wird unterschätzt. Also ich hatte selber mal einen Fall, wo ich am liebsten zurückgetreten wäre, und der damalige Bürgermeister Voscherau mir gesagt hat: Sie fahren jetzt eine Woche weg, reagieren Sie nicht mehr drauf, das hat keinen Sinn! Das verschlimmert sich von Tag zu Tag, Sie können es jetzt auch nicht ändern! Und dann lässt man tatsächlich die Geschosse an sich vorbeiziehen, und dann ist es plötzlich auch wieder vorbei.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Christina Weiss, ehemalige Kultursenatorin in Hamburg, das war in den 1990er-Jahren vor allem, und ehemalige Bundesbeauftragte für Kultur und Medien von 2002 bis 2005. Was halten Sie denn nun von der Schlussfolgerung aus der Causa Köhler, wie ich es jetzt mal nenne, von der Schlussfolgerung, dass das mit Seiteneinsteigern in der Politik einfach nicht funktioniert?
Weiss: Das halte ich vielleicht für die größte Katastrophe in diesem Umfeld, dieser Ruf jetzt wieder nach dem versierten Politiker. Es ist ja immer der Ruf nach der starken, gnadenlosen Führungspersönlichkeit, der für mich einen ganz unangenehmen Beiklang hat. Das kann nicht die Lösung sein. Wir können nicht in einer Demokratie gut miteinander leben, in der es nur noch Berufspolitiker gibt. Berufspolitiker sein heißt, abhängig sein davon, gewählt zu werden. Wenn ich davon abhängig bin, kann ich gar keine Quermeinungen mehr äußern – oder es ist sehr schwer, das zu tun. Wir brauchen aber unbedingt immer wieder Persönlichkeiten in der Politik, die es wagen, Debatten anzustoßen und unbequeme Dinge auszusprechen, die einfach eine Berufspolitikerin, ein Berufspolitiker nicht kann.
Kassel: Da habe ich aber dann, Frau Weiss, bei mehreren Fällen schon das Gefühl gehabt, die sprechen es aus, und wenn da ein Widerspruch kommt, sind sie weg. Also Herr Kirchhof fällt einem natürlich ein mit seinem Steuermodell damals. Sobald Leute mal nachgerechnet haben, Blödsinn, hat er gesagt, dann eben nicht. Roland Koch, ganz anderer Fall, sehr lange Berufspolitiker gewesen, sagt sich jetzt auch: Nö, jetzt ist gut, nicht mein Leben, geh in die Wirtschaft! Und Horst Köhler sagt – ich sag es bewusst jetzt polemisch: Wenn ich so stark angegriffen werde, spiele ich einfach nicht mehr mit! Da hat man das Gefühl, die Nicht-Vollblutpolitiker halten es einfach nicht aus.
Weiss: Na ja, natürlich fehlt die Routine. Also wenn Sie mit 18 beginnen, im Ortsverein einer Partei Karriere zu machen, beginnen mit dem hohen Ziel, irgendwann mal Kanzler oder Kanzlerin zu werden, dann stecken Sie natürlich viel ein. Wenn Sie jung sind, können Sie das auch viel besser. Und wenn Sie dann geübt sind, Schläge einzustecken – was ja schade ist, es wäre ja viel besser, wenn man geübt wäre, Schläge zu parieren –, aber wenn sie geübt sind im Einstecken, tut es vielleicht dann auch nicht mehr so weh, obwohl ich psychologisch ein paar Zweifel daran habe. Ich glaube, es summiert sich.
Kassel: Sie sind seit 2005 ja nun keine Politikerin mehr, aber so was kann sich ja wieder ändern. Ich meine, ich will Sie jetzt nicht als Nachfolgerin von Herrn Köhler ins Gespräch bringen, da haben wir jetzt die Ebene des Albernen erreicht, die möchte ich jetzt nicht erreichen, aber es werden ja immer wieder Ämter frei auf Landes- und auf Bundesebene. Würden Sie es denn noch mal machen, in welcher Funktion auch immer?
Weiss: Ich finde für mich, ehrlich gesagt, 15 Jahre eines einzelnen Lebens sind eine gute Zeit, um wirklich demokratisch politisch aktiv zu sein. Ich finde allerdings tatsächlich den Ton in der Politik und den Ton in der Gesellschaft im Verhältnis, in ihrem Verhältnis zu den Politikerinnen und Politikern, inzwischen so rau geworden, dass ich mir die Frage stelle: Wer soll das eigentlich freiwillig überhaupt noch auf sich nehmen? Das ist ja eine extrem harte Arbeit. Es sind ja keine Menschen, die gut bezahlt werden und es sich gutgehen lassen. Es ist harte Arbeit und man ist im Grunde für jeden Angriff freigegeben. Und natürlich, die Angriffe bleiben nicht aus, und sie werden, glaube ich, schon härter, und vielleicht ist auch der Zusammenhalt innerhalb der Parteien nicht mehr ganz so freundschaftlich vorgegeben.
Kassel: … sagt Christina Weiss, Expolitikerin, stelle ich jetzt mal fest, inzwischen wieder Journalistin und unter anderem auch Vorsitzende des Vereins der Freunde der Nationalgalerie. Ich danke, dass Sie zu uns gekommen sind, Frau Weiss!
Christina Weiss: Guten Tag!
Kassel: Ich habe schon gesagt, sehr wenige haben Verständnis gezeigt für Horst Köhlers Rücktritt – haben Sie Verständnis dafür?
Weiss: Ich kann mir einige Motivationen vorstellen, also ich kann mir die Emotionslage vorstellen, aus der heraus so etwas passiert. Ich halte es auch für eine Katastrophe, und ich hätte mir, uns allen sehr gewünscht, dass er sich einen Tag mehr Nachdenkenszeit gegönnt hätte und vielleicht doch ein paar beratende Gespräche geführt hätte. Es ist einfach eine Katastrophe, wenn ein Bundespräsident zurücktritt. Und wenn er zurücktritt mitten in einem solchen Wortgefecht, was gegen ihn losgegangen ist, dann hat das immer so einen Anschein von: Ich mache nicht mehr mit, ich bin gekränkt! Und das ist natürlich eine Haltung, die man nicht einnehmen darf als Politiker.
Kassel: Er hat selber gesagt bei seiner Rücktrittsrede, seiner ganz kurzen gestern, er sehe in der harschen Kritik, die er sich hat gefallen lassen müssen, einen Mangel an Respekt vor diesem Amt. Ein so schneller Rücktritt, zeigt der nicht auch einen gewissen Mangel an Respekt vor dem Amt?
Weiss: Er hat von dem Respekt vor dem Amt gesprochen, aber ich bin ziemlich sicher, er meinte natürlich Respekt vor seiner Person. Und den konnte man tatsächlich vermissen. Also die Schläge, die er abkriegte, waren wirklich so, dass einem der Atem stockte. Also ich habe das verfolgt in den letzten Wochen und habe gedacht, das ist jetzt eigentlich ein bisschen zu viel. Es gibt Dinge, die man über sich selbst, wenn man sie lesen muss, kaum ertragen kann. Und es ist immer dann, wenn es an die Persönlichkeit geht. Also Tapsigkeit oder schlechte Reden oder so was, das ist etwas, was wirklich wehtut, und das hat er massiv abbekommen. Trotzdem hätte sein Respekt vor dem Amt auch dazu führen können, dass er offensiv debattiert hätte.
Kassel: Man muss ja auch ganz ehrlich sagen, in diesem Interview im Deutschlandradio Kultur, das ein bisschen, mehr als ein bisschen den Ausschlag ja gegeben hat am Ende für den Rücktritt, hat er im Zusammenhang mit seinen umstrittenen, möglicherweise stark missverstandenen Äußerungen ausdrücklich gesagt, er wünscht sich eine Diskussion. Letzten Endes, wenn auch in herber Art und Weise, war das doch eine Diskussion, die dann stattfand.
Weiss: Nein, es war natürlich keine Diskussion um die Sache. Natürlich kann man in Deutschland auch eine Debatte darüber führen, welche Rolle Deutschland in Kriegen überhaupt übernehmen will und muss aber auch. Er hat die Debatte eben nicht angestoßen, weil er sich inhaltlich überhaupt nicht mehr darauf eingelassen hat. Die Debatte ging dann um seine Person.
Kassel: Ist er denn jetzt – viele Zeitungen haben dieses Wort benutzt, was ja nicht zufällig aus der Militärsprache kommt – ist er denn nun ein Fahnenflüchtiger für Sie?
Weiss: Ich bin enttäuscht über den Rücktritt, ich kann ihn aber leider dann doch so gut verstehen, dass ich das Wort Fahnenflüchtling für viel zu massiv halte. Es gehört eigentlich noch in das Wort Gefecht, was vorher schon angefangen war.
Kassel: Was ist da passiert? Es gab diese Kritik, über die wir jetzt reden, natürlich von zwei Seiten, diverse Seiten, aber zwei Unterschiede: politische Gegner in anderen Parteien, aber auch die Medien. Ist tatsächlich ein Mensch, der ein Seiteneinsteiger ist, wie es jetzt einige sagen, einfach viel empfindlicher oder ist tatsächlich auch der Ton rauer geworden in den letzten Jahren?
Weiss: Ich glaube, erstens ist der Ton rauer geworden, tatsächlich. Also persönliche Angriffe waren doch eigentlich eher die Seltenheit in der Presse, in den Medien. Das ist häufiger geworden. Das ist auch, das geht viel mehr ins Private auch, ins Äußere, also ins Verhalten, also wirklich die Person ist gemeint. Auf der anderen Seite ist ein Bundespräsident in seiner Funktion nur als Person wahrnehmbar, und als solche steht er da. Als solche darf er im Übrigen auch immer wieder Dinge äußern, die in der anderen Politikseite nicht ausgesprochen werden dürfen. Er hatte aber in der Tat auch nicht viel Unterstützung. Also es kam niemand, der in seinem Sinne auch mal die Debatte aufgegriffen hätte. Man kann ja auch ablenken, man kann ja auch eine Person verteidigen, indem man das, was sie gesagt hat, aufgreift und in die Inhalte geht. Ich glaube im Übrigen, dass der Bundespräsident eine große Chance gehabt hätte, in die Inhalte auszuweichen. Das war übrigens im Bereich der Kultur natürlich auch für mich der Fall, ich konnte immer in die Inhalte gehen, und ja, dann war die Sachfrage plötzlich das Zentrale.
Kassel: Wie wichtig war denn für Sie die Unterstützung durch Parteifreunde? Also in der Hamburger Zeit natürlich durch den Bürgermeister und später durch den Bundeskanzler. Welche Rolle spielte das, denn Sie haben ein bisschen, ich sag mal, länger das Ganze aufsteigend ausprobieren dürfen, von der regionalen Ebene erst später auf die Bundesebene, aber eine Umstellung wird es doch auch für Sie gewesen sein?
Weiss: Natürlich war das eine Umstellung, natürlich ist die Bundesebene sehr viel rauer als die Landesebene – die Landesebene, wo man dann in Windeseile auch wirklich alle kennt, wo man seine Freunde hat, wo man genau weiß, wo die Feinde sich formieren, und man kann deshalb darauf reagieren, man kann auch besser auf die "Feinde" in Anführungszeichen zugehen. Die Unterstützung durch Freunde aus den Parteien ist unendlich wichtig. Ich glaube, das wird unterschätzt. Also ich hatte selber mal einen Fall, wo ich am liebsten zurückgetreten wäre, und der damalige Bürgermeister Voscherau mir gesagt hat: Sie fahren jetzt eine Woche weg, reagieren Sie nicht mehr drauf, das hat keinen Sinn! Das verschlimmert sich von Tag zu Tag, Sie können es jetzt auch nicht ändern! Und dann lässt man tatsächlich die Geschosse an sich vorbeiziehen, und dann ist es plötzlich auch wieder vorbei.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Christina Weiss, ehemalige Kultursenatorin in Hamburg, das war in den 1990er-Jahren vor allem, und ehemalige Bundesbeauftragte für Kultur und Medien von 2002 bis 2005. Was halten Sie denn nun von der Schlussfolgerung aus der Causa Köhler, wie ich es jetzt mal nenne, von der Schlussfolgerung, dass das mit Seiteneinsteigern in der Politik einfach nicht funktioniert?
Weiss: Das halte ich vielleicht für die größte Katastrophe in diesem Umfeld, dieser Ruf jetzt wieder nach dem versierten Politiker. Es ist ja immer der Ruf nach der starken, gnadenlosen Führungspersönlichkeit, der für mich einen ganz unangenehmen Beiklang hat. Das kann nicht die Lösung sein. Wir können nicht in einer Demokratie gut miteinander leben, in der es nur noch Berufspolitiker gibt. Berufspolitiker sein heißt, abhängig sein davon, gewählt zu werden. Wenn ich davon abhängig bin, kann ich gar keine Quermeinungen mehr äußern – oder es ist sehr schwer, das zu tun. Wir brauchen aber unbedingt immer wieder Persönlichkeiten in der Politik, die es wagen, Debatten anzustoßen und unbequeme Dinge auszusprechen, die einfach eine Berufspolitikerin, ein Berufspolitiker nicht kann.
Kassel: Da habe ich aber dann, Frau Weiss, bei mehreren Fällen schon das Gefühl gehabt, die sprechen es aus, und wenn da ein Widerspruch kommt, sind sie weg. Also Herr Kirchhof fällt einem natürlich ein mit seinem Steuermodell damals. Sobald Leute mal nachgerechnet haben, Blödsinn, hat er gesagt, dann eben nicht. Roland Koch, ganz anderer Fall, sehr lange Berufspolitiker gewesen, sagt sich jetzt auch: Nö, jetzt ist gut, nicht mein Leben, geh in die Wirtschaft! Und Horst Köhler sagt – ich sag es bewusst jetzt polemisch: Wenn ich so stark angegriffen werde, spiele ich einfach nicht mehr mit! Da hat man das Gefühl, die Nicht-Vollblutpolitiker halten es einfach nicht aus.
Weiss: Na ja, natürlich fehlt die Routine. Also wenn Sie mit 18 beginnen, im Ortsverein einer Partei Karriere zu machen, beginnen mit dem hohen Ziel, irgendwann mal Kanzler oder Kanzlerin zu werden, dann stecken Sie natürlich viel ein. Wenn Sie jung sind, können Sie das auch viel besser. Und wenn Sie dann geübt sind, Schläge einzustecken – was ja schade ist, es wäre ja viel besser, wenn man geübt wäre, Schläge zu parieren –, aber wenn sie geübt sind im Einstecken, tut es vielleicht dann auch nicht mehr so weh, obwohl ich psychologisch ein paar Zweifel daran habe. Ich glaube, es summiert sich.
Kassel: Sie sind seit 2005 ja nun keine Politikerin mehr, aber so was kann sich ja wieder ändern. Ich meine, ich will Sie jetzt nicht als Nachfolgerin von Herrn Köhler ins Gespräch bringen, da haben wir jetzt die Ebene des Albernen erreicht, die möchte ich jetzt nicht erreichen, aber es werden ja immer wieder Ämter frei auf Landes- und auf Bundesebene. Würden Sie es denn noch mal machen, in welcher Funktion auch immer?
Weiss: Ich finde für mich, ehrlich gesagt, 15 Jahre eines einzelnen Lebens sind eine gute Zeit, um wirklich demokratisch politisch aktiv zu sein. Ich finde allerdings tatsächlich den Ton in der Politik und den Ton in der Gesellschaft im Verhältnis, in ihrem Verhältnis zu den Politikerinnen und Politikern, inzwischen so rau geworden, dass ich mir die Frage stelle: Wer soll das eigentlich freiwillig überhaupt noch auf sich nehmen? Das ist ja eine extrem harte Arbeit. Es sind ja keine Menschen, die gut bezahlt werden und es sich gutgehen lassen. Es ist harte Arbeit und man ist im Grunde für jeden Angriff freigegeben. Und natürlich, die Angriffe bleiben nicht aus, und sie werden, glaube ich, schon härter, und vielleicht ist auch der Zusammenhalt innerhalb der Parteien nicht mehr ganz so freundschaftlich vorgegeben.
Kassel: … sagt Christina Weiss, Expolitikerin, stelle ich jetzt mal fest, inzwischen wieder Journalistin und unter anderem auch Vorsitzende des Vereins der Freunde der Nationalgalerie. Ich danke, dass Sie zu uns gekommen sind, Frau Weiss!