Kabarettistin Christine Prayon

„Ich verstöre auf freundliche Weise“

34:44 Minuten
Christine Prayon
Christine Prayon ist dem ZDF-Publikum bekannt als Birte Schneider aus der "Heute-Show". © Wilhelm Betz
Moderation: Tim Wiese |
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Das Kabarett ist tot, lang lebe das Kabarett: Christine Prayon, vielen bekannt als Birte Schneider aus der "Heute Show" des ZDF, hat aus der Corona-Not eine Tugend gemacht und ihr pandemie-erschüttertes Bühnenprogramm nun in Buchform gebracht.
Ihre Karriere als Kabarettistin sei „im Grunde aus einer Notsituation“ entstanden, sagt Christine Prayon. Nach der Schauspielschule und Jahren, in denen sie sich von Engagement zu Engagement hangelte, hatte sie endlich einen festen Vertrag am Theater Baden-Baden in der Tasche, nur um drei Jahre später nach einem Intendantenwechsel wieder vor der beruflichen Unsicherheit zu stehen.
Gemeinsam mit einer Kollegin entwickelte sie daraufhin ein Stück, in dem „wir uns so besetzt haben, wie uns keiner besetzt hätte“. Auf verschiedenen Kleinkunstbühnen zeigten sie sich als zwei Schauspielerinnen, „die aus Angst vor Hartz IV bereit sind, alles zu tun.“ Sie hätten Theater gespielt und „nichts anderes gemacht als vorher auch“, doch lief ihr Spiel nun unter dem Namen Kabarett – und das bis heute erfolgreich.

Autonomie durch Kabarett

„Ich bin sehr froh, dass ich in diesem Bereich gelandet bin“, sagt Christine Prayon, denn der Beruf ermögliche ihr „eine gewisse Autonomie“. Sie sei „relativ frei von Abhängigkeiten“, schreibe ihre Stücke selbst, besetze sich selbst und könne sich aussuchen, wie viel sie auftreten wolle.
Vielen Zuschauerinnen und Zuschauern ist die 47-Jährige als Birte Schneider aus der "Heute-Show" des ZDF bekannt, sie steht aber vor allem unter eigenem Namen und mit eigenem Programm regelmäßig auf der Kabarett-Bühne. Dass ihr Gesicht vor allem mit der etwas schrulligen Außenreporterin Birte Schneider verknüpft wird, stört sie nicht. Sie freue sich über all jene, die ihre Auftritte besuchten und „sonst nicht ins Kabarett gekommen wären“.

Bühnenprogramm zwischen zwei Buchdeckeln

Aus einer ganz anderen Notsituation heraus ist nun ihr Buch „Abschiedstour“ entstanden: Die Corona-Pandemie hat auch Christine Prayons gleichnamiges Bühnenprogramm in großen Teilen unterbrochen, mit dem sie erst wenige Monate vor dem ersten Lockdown auf Tour gegangen war.
Die Idee, wie viele andere Künstler*innen auf Streams zurückzugreifen, habe sie schnell verworfen. „Ich finde, es macht die Kunst kleiner.“ Außerdem habe sie sich nicht „dem Plattform-Kapitalismus unterwerfen“ wollen und stattdessen ihren Kabarettabend in Buchform gebracht, denn das sei „eher die Form, die dem entspricht, was ich mache“.
„Gestisches Schreiben“ sei es gewesen, wenn sie vor ihrem inneren Auge ihr Programm ablaufen ließ und versuchte, Übersetzungen zu finden, die zwischen zwei Buchdeckel passen.

Keine Klischees bedienen, sondern sie bekämpfen

Auf der Bühne wie im Buch geht es ihr um große Fragen – um gesellschaftliche Ausbeutung, um Solidarität und darum, „welche Alternativen es gibt zu dem Bestehenden“. Sie habe den Eindruck, „dass viele Dinge an einem Endpunkt sind“. Man müsse sich daher überlegen: „Wo geht’s denn jetzt hin?“ Kunst habe die Kraft, eine neue Ebene zu finden, um über Wirklichkeit zu sprechen, und auch der Humor könne dabei „einen großen Dienst leisten“.
Doch Humor ist nicht gleich Humor. Die Grenze zwischen Kabarett und Comedy habe sie – „wobei ich mir bewusst bin, dass es eine Verallgemeinerung ist“ – einmal auf die Formel gebracht, dass „Comedy eher Klischees und Vorurteile bedient, um einen Lacher zu generieren“, während das Kabarett diese Klischees zu bekämpfen versuche.
Statt „das übliche Denken“ und den „Kennste, kennste?-Effekt“ zu bedienen, interessiere sie sich dafür, sich „nicht in den Grenzen dessen, was ist“ aufzuhalten. Sie wolle „sinnlich erfahrbar machen, dass anderes möglich ist“ und „an dem Bestehenden rütteln“. Ins Gesicht springe sie dabei aber niemandem. „Ich verstöre auf freundliche Weise.“
(era)
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