Christine Wunnicke: "Die Dame mit der bemalten Hand"

So schön kann Missverstehen sein

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Cover des Romans "Die Dame mit der bemalten Hand" von Christine Wunnicke.
Christine Wunnicke hat einen himmlisch komischen Roman geschrieben: "Die Dame mit der bemalten Hand". © Berenberg Verlag / Deutschlandradio
Von Wiebke Porombka |
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Christine Wunnickes "Die Dame mit der bemalten Hand" steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Zurecht! Der schmale Roman über zwei Forschungsreisende im 18. Jahrhundert ist eine fabelhaft undidaktische Anleitung zum Verirren.
Wollte man die Reihe schmaler Romane, die Christine Wunnicke in den vergangenen Jahren veröffentlicht hat, auf einen Nenner bringen, so wäre "satirische Wissenschaftsgeschichte" ganz sicher der falsche. Schlichtweg deshalb, weil Wunnicke das Streben ihrer Protagonisten - oftmals historische Forschungsreisende - keineswegs ätzend seziert, sondern deren Weltberechnungsversuche in ihrer notgedrungenen Mischung aus Ambition und Aufgeschmissenheit erzählt. Das macht die fabelhafte Komik auch von Wunnickes jüngstem Buch "Die Dame mit der bemalten Hand" aus.

Insel vor der indischen Küste

Elephanta – damals noch Gharapuri – heißt die Insel vor der indischen Küste, aus deren dichtem Gebüsch allenthalben eine Ziege den Kopf steckt (besser immerhin als eine der unzähligen Schlangen) und auf der es eindrückliche hinduistische Höhlen zu bestaunen gibt.
Überzeugend heilig allerdings muten diese Höhlen erst einmal nicht an, als der persische Astrolabien-Baumeister Musa, dessen Schiff es wegen mangelnden Windes 1764 auf die Insel verschlägt, eine von ihnen betritt. "Gestein, Gestrüpp, Ziegen, Vögel, Affen, Fledermäuse, Nasses, Weiches, Hartes, Borstiges, Glitschiges blockierte seinen Weg."
Und dann hockt da, als er endlich in der großen Halle mit der Shiva-Statue angelangt ist, auch noch ein Mann, schwitzend und fiebernd. Es handelt sich um den deutschen Mathematiker Carsten Niebuhr, der unter anderem durch seine Kartierung des Roten Meeres und seine Vorarbeiten zur Entzifferung der Keilschrift in die Geschichte eingegangen ist und auf dessen Aufzeichnungen Wunnicke für ihren Roman zurückgegriffen hat.
Zwischen Niebuhr, den Musa nur "Kurdistan Nibbur" nennt und sich über den dämlichen Namen wundert, und dem Astrolabien-Konstrukteur entwickelt sich eine schüchterne Freundschaft, womöglich sogar mehr, nachdem Musa sich um Niebuhrs Genesung gekümmert hat. Der Mathematiker ist der letzte Überlebende einer ursprünglich sechsköpfigen Expedition, deren übrige Teilnehmer von Malaria dahingerafft wurden.

Auf der Suche nach Beweisstücken

Initiiert hat die vom dänischen König finanzierte Reise der schneidige Göttinger Orientalist Johann David Michaelis, der sich Beweisstücke über die biblischen Geschichten erwartet. Wie etwa: "Welches Holz macht das Salzwasser süß in Exodus 15?" Oder: "Was ist der falsche Weizen im Gleichnis des Sämanns"?
Dass Niebuhr mit Antworten nicht dienen kann, mag kaum verwundern. Zu Einsichten aber gelangt er dennoch, etwa an jenem Abend, als er gemeinsam mit Meister Musa die Sterne betrachtet. Das Sternbild Kassiopeia, stellen die Männer fest, zeigt für den Deutschen eine Frauengestalt, für den persischen Astronomen nur deren bemalte Hand.
"Wir glotzen nach oben", befindet Niebuhr, "und erfinden große Gestalten und hängen sie in den Himmel. Ich eine Frau und du eine Hand und was weiß ich, was andere sehen. Und dann gibt es Streit. Es ist zum Erbarmen!"
Man kann "Die Dame mit der bemalten Hand" als einen Roman über kulturelles und sprachliches Missverstehen lesen, über das Nebeneinander von Welterklärungsmustern. Aber das würde in seinem didaktischen Gestus diesem im besten Sinne sonderbaren und offenen Roman kaum gerecht werden.

Zwanzig Wörter für Sinn

Vielmehr sollte man es mit Meister Musa halten, der, wenn er Autorität ausstrahlen will, Sanskrit spricht, um schließlich festzustellen: "(D)ann dachte er 'Sinn' auf Sanskrit, alle zwanzig Wörter, die im Sanskrit vielleicht 'Sinn' bedeuten, oder vielleicht auch 'Unsinn'; Sanskrit war eine seltsame Sprache."
Dass am Ende des mehr oder minder unfreiwilligen Inselaufenthalts die ersten Vorboten britischer Kolonisierung als trotteliges, aber selbstgewiss-joviales Trüppchen hinzustoßen, ist der düstere Unterstrom des himmlisch komischen Romans.

Christine Wunnicke: "Die Dame mit der bemalten Hand"
Berenberg Verlag, Berlin 2020
168 Seiten, 22 Euro

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