Über die Theologie-Blase hinaus
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Mehr als 500 christliche Blogs gibt es im deutschsprachigen Internet. Die Hoffnung dahinter: Wenn die Menschen nicht mehr in der Kirche vom Glauben hören wollen, dann wenigstens im Netz. Doch auch hier ist Reichweite ein Problem.
Wolfgang Beck ist Professor für Pastoraltheologie an der Frankfurter Hochschule St. Georgen. Er gehört einem Redaktionsteam an, das ehrenamtlich das katholische Blog "feinschwarz.net" betreut. Die meisten Mitglieder waren oder sind für Kirchenzeitschriften und theologische Fachmagazine tätig, erklärt Beck:
"Die Redaktionen arbeiten da ja auch meistens ehrenamtlich – und bekommen aber signalisiert, dass es Probleme mit der Auflage gibt oder mit dem Verkauf. Und dann werden sie aufgefordert, sich irgendwie zu reformieren. Und die haben sich dann so ein bisschen frustriert zusammengetan und gesagt, sie wollen was Neues ausprobieren. Dabei ist die Organisationsstruktur eines Vereins entstanden."
Die Relevanz christlichen Glaubens zeigen
Der Verein "Feinschwarz" hat seinen Sitz in Wien. Die Redaktionsmitglieder und Autoren sind jedoch weit verteilt. Jeden Werktag erscheint ein neuer Artikel auf der Webseite.
"Wir wollen nicht spezifisch theologische Themen unbedingt bearbeiten", sagt Wolfgang Beck, "sondern gesamtgesellschaftliche Themen, an denen sich die Relevanz christlichen Glaubens festmacht."
Somit steht eine Buchrezension über den Roman "Liebe in Lourdes" neben Artikeln zur Landtagswahl in Berlin oder sozialethischen Analysen zum Klimawandel.
Blasenbildung gibt es auch hier
Diese Themenvielfalt sorgt mit dafür, dass "feinschwarz.net" das am häufigsten besuchte christliche Blog im deutschsprachigen Raum ist. Trotzdem, findet Wolfgang Beck, könnte man ein noch breiteres Publikum ansprechen:
"Vor allem im katholischen, aber auch im evangelischen Bereich sind wir schon relativ bekannt glaube ich. Was aber auch Rückschlüsse auf eine Bubble-Bildung zulässt. Wir schaffen es kaum, über diesen theologischen und kirchlichen Bereich hinaus auch immer wieder mal Menschen anzusprechen."
Zugang über die Podcast-Szene
Florian Giersch und Mark Bothe aus Gelsenkirchen ist genau das gelungen – allerdings eher zufällig. Sie lernten sich im Theologie-Studium in Münster kennen – und starteten 2013 den christlichen Podcast "Gretchenfrage". Mark erinnert sich:
"Wir sind nicht in die Christen-Bubble gegangen, weil ich nicht wusste, dass es die gibt. Wir sind halt zu den Podcastern gegangen, also sowas wie zum Beispiel Fyyd, früher Hörsuppe. Was übrigens rührend war. Der Hörsuppen-Betreiber, der hat uns vorgestellt. Und begonnen hat er mit dem Satz: ‚Religion als Solches, die gehört abgeschafft. Aber die beiden, die könnt ihr hören.‘"
Kritische Diskussion mit Perspektivwechsel
Giersch und Bothe vermuten, dass das an dem Ansatz liegen könnte, den sie mit ihrem Podcast verfolgen: Nämlich ausführlich und kritisch über kirchliche Arbeit und Riten zu diskutieren. Oft auch mit Gästen, wie in der Folge über sexuellen Missbrauch.
Mark Bothe erklärt: "Hauptsächlich ging es dann doch um die Frage: Welcher Herausforderung stellen sich eigentlich Menschen, die für dieses Thema in der Kirche eintreten wollen. Und wie verändert man erfolgreich die Perspektive – nämlich weg von den Tätern hin zu einer Perspektive des Schutzes der Betroffenen und der Opfer. Und darüber haben wir diskutiert."
Die Folge wurde sehr oft geklickt, aber nicht kommentiert. Wahrscheinlich war den Hörerinnen und Hörern das Thema dafür zu sensibel.
Digitaler Austausch als Bereicherung
Über andere Podcast-Folgen und auch Blog-Artikel finden aber rege Diskussionen im Netz statt. Theologinnen und Theologen sollten das als Bereicherung sehen, meint Wolfgang Beck:
"Ich finde, das ist wichtig für alle Theologen, dass sie sich selbst als Lernende verstehen. Dazu gehören auch kritische Rückfragen zu den Themen, die vorgestellt werden. Das ist die Grundvoraussetzung für eine Theologie, der es um die Beziehung mit ihren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen gelegen ist."
Anregungen für den Unterricht
Diskussion und Austausch findet auch Maike Schöfer wichtig. Sie ist Lehrerin für evangelische Religion in Berlin. Auf ihrem Instagram-Profil, dem "Ja und Amen-Blog", teilt Schöfer immer wieder Fotos von ihren Methoden und Inhalten im Unterricht, erzählt sie:
"Zum Beispiel, als ich das Thema Tod und Trauer vermittelt habe. Auf Papptellern haben die Schüler eine Uhr dargestellt – unter der Fragestellung: Wie würden sie eigentlich ihre letzten 24 Stunden einteilen, wenn sie nur noch 24 Stunden zu leben hätten. Und meistens ist der spannende Teil dann tatsächlich das Kommentieren, das Reflektieren über Unterrichtsinhalte…"
...was auch fächerübergreifend sein kann, wenn es um Lehrmethoden geht. Ein Bild zeigt Zeichnungen von Schülerinnen und Schülern, die deren Lebensweg bildlich darstellen. Dazu schreibt eine Nutzerin:
"Solche Stunden können auch echt helfen, wenn man gerade nur den Schüler und seine ‚Auffälligkeiten‘ sieht. Sie sind eben auch Menschen mit schon zum Teil echt vielen Wendungen auf ihrem Weg."
Tagesaktualität ist schwer zu leisten
Die zumeist ehrenamtlich betreuten Internet-Angebote werden große Medienhäuser oder kirchliche Pressedienste aber niemals ersetzen können. Zum einen wegen der oft nur geringen Reichweite. Wolfgang Beck von "feinschwarz.net" hebt noch eine andere Grenze hervor:
"Eine ganz große Frage ist immer die der Aktualität. Selten gelingt das so wie zur Wahl in Sachsen und Brandenburg. Da hatten wir das ganz gut hinbekommen. Aber das ist eher der Ausnahmefall. Da rücken wir dann schon in die Nähe einer professionellen Redaktion, die wir nicht sind."
Dennoch bietet ein Blog oder Podcast viel Platz für Experimente: Theologinnen und Theologen können austesten, mit welchen Inhalten oder Methoden sie die Menschen am besten erreichen. Und so dabei helfen, Kirche und Theologie zeitgemäßer zu gestalten.