Christlicher Widerstand
Vor 75 Jahren verabschiedeten Protestanten die "Barmer Erklärung". Mit der Bekenntnissynode am 31. Mai 1934 gründete sich die "Bekennende Kirche" in Opposition zu den sogenannten "Deutschen Christen" - einer Glaubensbewegung, die Christentum und nationalsozialistische Ideologie miteinander verband.
Hoteldiener und Zimmermädchen konnten nur noch den Kopf schütteln. Seit zwei Tagen ging das schon so. Seit zwei Tagen saß dieser Mann mit dem wirren Haarschopf und den dicken Brillengläsern hier in seinem Hotelzimmer im "Basler Hof" in Frankfurt und tippte. Unablässig. Hörbar unbeholfen. Vermutlich mit zwei Fingern.
Das Dokument, das der Schweizer Theologe und Bonner Hochschullehrer Professor Karl Barth an diesem 15. und 16. Mai 1934 in aller Hast auf der klapprigen Schreibmaschine seines Freundes Karl Immer verfasst, wird als "Frankfurter Konkordie" in die Geschichte eingehen.
In seiner Endfassung wird es 14 Tage später in der Gemarker Evangelischen Kirche in Wuppertal-Barmen vorgestellt und verabschiedet werden. Und - es wird als "Barmer Theologische Erklärung" das Gesicht der Evangelischen Kirche und das des deutschen Protestantismus für immer verändern.
Musik: "Wach auf, Wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen…"
Während Karl Barth, der reformierte Theologe unermüdlich tippt, frönen die drei lutherischen Mitglieder seiner Arbeitsgruppe zunächst mal einem ausgiebigen Nickerchen.
Was Barth veranlasst, zu spotten, die lutherische Kirche habe geschlafen, die reformierte Kirche habe gewacht, erzählt Klaus Ebert, Professor für systematische Theologie an der Universität Essen-Duisburg:
"Karl Barth war derjenige, der das federführend gemacht hat - angeblich, weil die Lutheraner ihren Mittagsschlaf gemacht hatten (…) Jedenfalls war Karl Barth der spiritus rector. Er ist reformierter, nicht lutherischer Christ; das ist ganz wichtig für sein Staatsverständnis…"
Eine kleine, streitbare Gemeinschaft gestaltet damals, vom 29. bis zum 31. Mai 1934 auf der Barmer Bekenntnissynode, unter der Bedrängnis und Bedrückung durch das NS-Regime, Gegenwart und Zukunft der evangelischen Kirche. 30 Jahre später wird Karl Barth sich so daran erinnern:
"Diese Synode war seit dem 16. Jahrhundert die erste protestantische Gesamtsynode in Deutschland. Nun, wo die Not so groß war, die Bedrückung und die Gefahr der Kirche - da war natürlich die Tendenz, alles zu tun, um der Synode zu einem wichtigen Sieg zu verhelfen (...) Das war für uns eine große Stunde, ein Wunder Gottes für die evangelische Kirche."
Dieses "Wunder Gottes", die "Barmer Theologische Erklärung" ist ein Dokument des Kirchenkampfes im nationalsozialistischen Deutschland, das der "Bekennenden Kirche" Fundament und Richtung gab. Als Beschluss der ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche, schärft sie Profil und Konturen gegenüber dem herrschenden Kirchenregiment der nationalsozialistisch orientierten "Deutschen Christen". Sie wendet sie sich gegen das "Führer"-Prinzip in der Kirche und betont die Ausschließlichkeit der Christus-Herrschaft und der göttlichen Offenbarung.
Die "Barmer Erklärung" ist zunächst ein Zeugnis innerkirchlicher Konflikte. Gleichzeitig ist sie ein Akt des politischen Aufbegehrens - auch, wenn das damals, wie Karl Barth betont, nicht beabsichtigt war:
"Die Synode und die theologische Erklärung, das war ja damals eine streng theologische und kirchliche Angelegenheit und es wurde großes Gewicht darauf gelegt, zu beteuern: Behüte uns Gott davor, dass das irgendwas mit Politik, vielleicht sogar mit oppositioneller Politik zu tun haben könnte. Nein, es geht uns nur um die Kirche. Faktisch aber hat diese Barmer Sache damals, ob wir es wollten oder nicht, auch ihre hochpolitische Bedeutung gehabt. Es war ja ein Minimum, was wir damals geleistet haben - aber immerhin es war ein Minimum an Opposition gegen das ganze nationalsozialistische Regime."
Das Dokument enthält sechs Thesen, die jeweils aus Bibelwort, Bekenntnis- und Verwerfungssatz bestehen. Es beginnt mit dem bündigen Satz:
"Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden, und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der 'Deutschen Christen' und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten…"
Die Position lässt sich, laut Klaus Ebert, etwa so zusammenfassen:
"Grundlage der Kirche ist die Schrift (…) Es gibt keine weiteren Offenbarungsquellen, nicht die Rasse, nicht die Nation, nicht das Blut (…) Die Kirche ist die Gemeinde von Brüdern in Wort und Sakrament. D. h.: die Kirche soll sich nicht anpassen an weltliche Ordnung und Hierarchie; auch nicht an einen Reichsbischof von Gnaden Adolf Hitlers."
Nirgends werden zentrale Inhalte und Potentiale, aber auch die Grenzen protestantischer Positionen im Kirchenkampf deutlicher als in diesem Schlüsseltext. Er birgt eine theologische, aber auch politische Sprengkraft, die bis in unsere Tage reicht. Das ist unbestritten.
Und dennoch scheiden sich an dem, was "Barmen" wirklich war - politischer Widerstand oder innerkirchliche Auseinandersetzung - bis heute die Geister. Unterschiede werden schon bei der Wortwahl deutlich, heißt das Dokument doch für die einen "Barmer Erklärung", für die anderen "Barmer Bekenntnis". Klaus Ebert:
"Ein großer Teil der Landeskirchen, die lutherisch sind, für die ist es eine 'Erklärung', gehört nicht zum Bekenntnisstand. Für die Reformierten Kirchen, also etwa auch hier für die rheinische, ist es im Bekenntnisstand mit drin. Bekenntnisstand heißt, dass, wenn man in die Gemeinde gehört, ist auch die 'Barmer Erklärung' Teil dessen, was zum Glauben gehört, bzw. wenn man nicht einverstanden ist - etwa bei der Frage: Verhältnis zur Obrigkeit - dann ist man gewissermaßen außerhalb der Kirche."
Der Weg nach "Barmen" beginnt schon bald nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933. Nachdem zunächst versucht wird, mit dem Reichskonkordat im Sommer 1933 die katholische Kirche auf Kurs zu bringen, will sich Adolf Hitler auch in der Evangelischen Kirche eine ihm genehme Organisation schaffen, die innenpolitisch keine Schwierigkeiten macht.
Doch mit den Protestanten ist die Sache ungleich komplizierter: wegen ihrer Zersplitterung in Lutheraner, Reformierte und Unierte kann man keinen so umfassenden Vertrag abschließen. Deshalb ordnet Hitler kurzfristig für den 23. Juli 1933 Kirchenwahlen an. Damit soll erreicht werden, so der evangelische Theologe Professor Günter Brakelmann, dass die leitenden Posten, von den Gemeindepresbytern bis zu den höchsten Kirchenämtern, mit Mitgliedern der "Deutschen Christen" besetzt werden.
"Schon bei den Kirchenwahlen gegen Ende dieses Jahres errangen die 'Deutschen Christen' ein Drittel aller Sitze in den Gemeindeleitungen und zwar mit Programmrichtlinien, die sich so anhörten: 'Die Liste Deutsche Christen will keine kirchenpolitische Partei in dem bisher üblichen Sinne sein. Sie wendet sich an alle evangelischen Christen deutscher Art. Die Zeit des Parlamentarismus hat sich überlebt, auch in der Kirche (…) Wir bekennen uns zu einem bejahenden, artgemäßen Christusglauben, wie er deutschem Luthergeist und heldischer Frömmigkeit entspricht. Wir sehen Rasse, Volkstum und Nation als uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, für deren Erhaltung zu sorgen uns Gottes Gesetz ist. Daher ist der Rassenmischung entgegenzutreten'"
"Sie verlangten (…) die Einführung des Führerprinzips in der Kirche, die Ausmerzung alles undeutschen Wesens, den Arierparagraphen und eine mächtige Reichskirche", erinnerte sich der 1983 verstorbene Pfarrer Wilhelm Niemöller, Bruder Martin Niemöllers. Der sogenannte "Arierparagraph" im "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom April 1933, der die Beschäftigung von "Nichtarieren" im öffentlichen Dienst verbietet, ist in der Tat Dreh- und Angelpunkt des Konflikts. Und die Kernfrage lautet:
"Wenn der Staat keine Juden einstellt, muss es die Kirche ihm dann gleichtun?"
Oder, wie Klaus Ebert noch pointierter formuliert:
""Das Problem tauchte dann auf: Wie halten wir es mit den jüdischen Pfarrern, die christlich konvertiert sind, das dann mit den Rassegesetzen 1933, die erst für die Beamten galten, für einige Landeskirchen übernommen wurde? Dann die Frage: Können 'rassisch' jüdische Pfarrer noch Pfarrer in der evangelischen Kirche sein? Einige Landeskirchen haben gesagt: nein. Und um diese Auseinandersetzung gab es dann den Konflikt. Und die Frage war jetzt: definiert sich die evangelische Kirche einmal vom Wort und von der Gemeinde oder definiert sie sich über Rasse und über Kultur.?"
Für Pfarrer jüdischer Herkunft, für die sogenannten "rassejüdischen Christen" gibt es bald in vielen evangelischen Kirchen "keinen Raum und kein Recht" mehr. Und auch nicht für die, die wagen, sich kritisch zu äußern.
An die seltsame Begebenheit einer "schweigenden Konfirmation" etwa erinnerte sich vor Jahren die Frankfurter evangelische Pfarrerin im Ruhestand, Marlies Flesch-Thebesius, die als Tochter eines "halbjüdischen" Vaters als sogenannter "Mischling 2. Grades" galt.
"Eine aus meiner Klasse wurde konfirmiert von einem Pfarrer, der in jener Zeit gerade Redeverbot bekam von den Nazis. Er durfte nicht mehr predigen. Er hat versucht, sich dem zu entziehen, indem er außerhalb des hessischen Kirchengebietes gepredigt und Gottesdienst gehalten hat. Das ging eine Weile gut, aber gerade, als die Konfirmation dieser Freundin von mir kam, war’s nun unwiderruflich aus: er durfte nicht mehr öffentlich sprechen.
Aber die Konfirmation sollte doch stattfinden. Sie fand auch statt, aber ein anderer hat die Predigt gehalten und auch ein anderer hat die Segensworte gesprochen. Und der Pfarrer, der das Redeverbot hatte, hat den Kindern nur die Hände aufgelegt. Das war eine ungeheuer bewegende Sache."
Als sich an diesem 29. Mai 1934 zur ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche 139 Delegierte aus 25 Landes- und Provinzialkirchen in der Kirche Barmen-Gemarke zusammenfinden, ist der Ausgang der Versammlung keineswegs klar.
Zwei Tage lang wird debattiert, beraten, erörtert und wohl auch gerungen und gestritten - bis am 31. Mai die Erklärung einmütig angenommen wird. Die "Bekennende Kirche", die sich auf dieser Synode formiert, erhält so ihr geistiges Widerstandszentrum. Und das übrigens unter den Augen von Gestapobeamten, die eifrig mit stenografieren.
Und so groß die Bedeutung der "Erklärung", so kurz ihr Text. Er beginnt mit dem Johanneswort:
"Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich (…)"
Das Schriftwort, das Bekenntnis und die Verwerfung falscher Lehre folgen jeweils aufeinander. Die Kirche steht unter dem Wort. Auf Gott zu hören, auf ihn zu vertrauen, ihm zu gehorchen und entsprechend zu handeln - das ist die geistliche Dynamik der "Barmer Theologischen Erklärung". Die sich vor allem an der berühmten These 5 entzündet, dem Petruswort:
"Fürchtet Gott, ehret den König."
Klaus Ebert: "Der Staat garantiert der noch nicht erlösten Welt die Ordnung. Das ist Luther. Aber: er hat dieses Gewaltmonopol nur, um Recht und Frieden zu wahren (…) Und die Kirche ist kein Organ des Staates. Sie ist, was ja nach dem Krieg so formuliert worden ist: eingesetztes Wächteramt. Sie soll korrigierend eingreifen, wenn der Staat Menschenrechte verletzen sollte."
Viel ist um diese These gestritten worden. Und viel ist um das gestritten worden, was in der "Barmer Erklärung" nicht steht.
"Was uns natürlich im Nachhinein auffällt: die Frage, die Bonhoeffer immer durchgezogen hatte, die Frage der Judenverfolgung (…) Und wenn man dann sieht, dass Leute wie Bischof Meiser natürlich auch federführend tätig gewesen sind, die sich ja als Antisemiten geäußert haben, ist das kein Zufall. Diese Baustelle wollte man nicht (…) Man hat sich nur gekümmert um christlich getaufte Juden. Das war einfach aus er Logik der Zeit erklärbar."
Einigen erschließt sich diese Logik dennoch damals nicht. Etwa der Mitarbeiterin der "Inneren Mission" Marga Meusel. Immer wieder drängt die unerschrockene Frau die evangelische Kirche, den Juden beizustehen. In einer flammenden Denkschrift, die sie nur ein Jahr nach "Barmen" den Synodalen der "Bekennenden Kirche" vorlegen lässt, heißt es:
"Warum sucht Bodelschwingh in den Ärzteblättern einen arischen Medizinalpraktikanten? Warum muss eine Stenotypistin in der 'Inneren Mission' den Ariernachweis erbringen? Was soll man antworten auf all die bitteren und verzweifelten Anklagen? Warum tut die Kirche nichts? Warum lässt sie das namenlose Unrecht geschehen? Warum schützt sie nicht wenigstens die Kinder? Und wenn die Kirche, um ihrer völligen Zerstörung willen, in vielen Fällen nichts tun kann, warum weiß sie dann nicht wenigstens um ihre Schuld?"
Es sind Fragen, die sich nicht wegwischen lassen.
"Nicht nur die Opfer unterm Rad verbinden - sondern dem Rad in die Speichen greifen", hat Dietrich Bonhoeffer einmal notiert. Und doch - der Respekt vor der Widerstandskraft des Wortes in der "Barmer Erklärung" bleibt. Karl Barth:
"Die Deutsche Evangelische Kirche hat mit leiser Stimme dieses Politikum auf den Plan gestellt."
Das Dokument, das der Schweizer Theologe und Bonner Hochschullehrer Professor Karl Barth an diesem 15. und 16. Mai 1934 in aller Hast auf der klapprigen Schreibmaschine seines Freundes Karl Immer verfasst, wird als "Frankfurter Konkordie" in die Geschichte eingehen.
In seiner Endfassung wird es 14 Tage später in der Gemarker Evangelischen Kirche in Wuppertal-Barmen vorgestellt und verabschiedet werden. Und - es wird als "Barmer Theologische Erklärung" das Gesicht der Evangelischen Kirche und das des deutschen Protestantismus für immer verändern.
Musik: "Wach auf, Wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen…"
Während Karl Barth, der reformierte Theologe unermüdlich tippt, frönen die drei lutherischen Mitglieder seiner Arbeitsgruppe zunächst mal einem ausgiebigen Nickerchen.
Was Barth veranlasst, zu spotten, die lutherische Kirche habe geschlafen, die reformierte Kirche habe gewacht, erzählt Klaus Ebert, Professor für systematische Theologie an der Universität Essen-Duisburg:
"Karl Barth war derjenige, der das federführend gemacht hat - angeblich, weil die Lutheraner ihren Mittagsschlaf gemacht hatten (…) Jedenfalls war Karl Barth der spiritus rector. Er ist reformierter, nicht lutherischer Christ; das ist ganz wichtig für sein Staatsverständnis…"
Eine kleine, streitbare Gemeinschaft gestaltet damals, vom 29. bis zum 31. Mai 1934 auf der Barmer Bekenntnissynode, unter der Bedrängnis und Bedrückung durch das NS-Regime, Gegenwart und Zukunft der evangelischen Kirche. 30 Jahre später wird Karl Barth sich so daran erinnern:
"Diese Synode war seit dem 16. Jahrhundert die erste protestantische Gesamtsynode in Deutschland. Nun, wo die Not so groß war, die Bedrückung und die Gefahr der Kirche - da war natürlich die Tendenz, alles zu tun, um der Synode zu einem wichtigen Sieg zu verhelfen (...) Das war für uns eine große Stunde, ein Wunder Gottes für die evangelische Kirche."
Dieses "Wunder Gottes", die "Barmer Theologische Erklärung" ist ein Dokument des Kirchenkampfes im nationalsozialistischen Deutschland, das der "Bekennenden Kirche" Fundament und Richtung gab. Als Beschluss der ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche, schärft sie Profil und Konturen gegenüber dem herrschenden Kirchenregiment der nationalsozialistisch orientierten "Deutschen Christen". Sie wendet sie sich gegen das "Führer"-Prinzip in der Kirche und betont die Ausschließlichkeit der Christus-Herrschaft und der göttlichen Offenbarung.
Die "Barmer Erklärung" ist zunächst ein Zeugnis innerkirchlicher Konflikte. Gleichzeitig ist sie ein Akt des politischen Aufbegehrens - auch, wenn das damals, wie Karl Barth betont, nicht beabsichtigt war:
"Die Synode und die theologische Erklärung, das war ja damals eine streng theologische und kirchliche Angelegenheit und es wurde großes Gewicht darauf gelegt, zu beteuern: Behüte uns Gott davor, dass das irgendwas mit Politik, vielleicht sogar mit oppositioneller Politik zu tun haben könnte. Nein, es geht uns nur um die Kirche. Faktisch aber hat diese Barmer Sache damals, ob wir es wollten oder nicht, auch ihre hochpolitische Bedeutung gehabt. Es war ja ein Minimum, was wir damals geleistet haben - aber immerhin es war ein Minimum an Opposition gegen das ganze nationalsozialistische Regime."
Das Dokument enthält sechs Thesen, die jeweils aus Bibelwort, Bekenntnis- und Verwerfungssatz bestehen. Es beginnt mit dem bündigen Satz:
"Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden, und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der 'Deutschen Christen' und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten…"
Die Position lässt sich, laut Klaus Ebert, etwa so zusammenfassen:
"Grundlage der Kirche ist die Schrift (…) Es gibt keine weiteren Offenbarungsquellen, nicht die Rasse, nicht die Nation, nicht das Blut (…) Die Kirche ist die Gemeinde von Brüdern in Wort und Sakrament. D. h.: die Kirche soll sich nicht anpassen an weltliche Ordnung und Hierarchie; auch nicht an einen Reichsbischof von Gnaden Adolf Hitlers."
Nirgends werden zentrale Inhalte und Potentiale, aber auch die Grenzen protestantischer Positionen im Kirchenkampf deutlicher als in diesem Schlüsseltext. Er birgt eine theologische, aber auch politische Sprengkraft, die bis in unsere Tage reicht. Das ist unbestritten.
Und dennoch scheiden sich an dem, was "Barmen" wirklich war - politischer Widerstand oder innerkirchliche Auseinandersetzung - bis heute die Geister. Unterschiede werden schon bei der Wortwahl deutlich, heißt das Dokument doch für die einen "Barmer Erklärung", für die anderen "Barmer Bekenntnis". Klaus Ebert:
"Ein großer Teil der Landeskirchen, die lutherisch sind, für die ist es eine 'Erklärung', gehört nicht zum Bekenntnisstand. Für die Reformierten Kirchen, also etwa auch hier für die rheinische, ist es im Bekenntnisstand mit drin. Bekenntnisstand heißt, dass, wenn man in die Gemeinde gehört, ist auch die 'Barmer Erklärung' Teil dessen, was zum Glauben gehört, bzw. wenn man nicht einverstanden ist - etwa bei der Frage: Verhältnis zur Obrigkeit - dann ist man gewissermaßen außerhalb der Kirche."
Der Weg nach "Barmen" beginnt schon bald nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933. Nachdem zunächst versucht wird, mit dem Reichskonkordat im Sommer 1933 die katholische Kirche auf Kurs zu bringen, will sich Adolf Hitler auch in der Evangelischen Kirche eine ihm genehme Organisation schaffen, die innenpolitisch keine Schwierigkeiten macht.
Doch mit den Protestanten ist die Sache ungleich komplizierter: wegen ihrer Zersplitterung in Lutheraner, Reformierte und Unierte kann man keinen so umfassenden Vertrag abschließen. Deshalb ordnet Hitler kurzfristig für den 23. Juli 1933 Kirchenwahlen an. Damit soll erreicht werden, so der evangelische Theologe Professor Günter Brakelmann, dass die leitenden Posten, von den Gemeindepresbytern bis zu den höchsten Kirchenämtern, mit Mitgliedern der "Deutschen Christen" besetzt werden.
"Schon bei den Kirchenwahlen gegen Ende dieses Jahres errangen die 'Deutschen Christen' ein Drittel aller Sitze in den Gemeindeleitungen und zwar mit Programmrichtlinien, die sich so anhörten: 'Die Liste Deutsche Christen will keine kirchenpolitische Partei in dem bisher üblichen Sinne sein. Sie wendet sich an alle evangelischen Christen deutscher Art. Die Zeit des Parlamentarismus hat sich überlebt, auch in der Kirche (…) Wir bekennen uns zu einem bejahenden, artgemäßen Christusglauben, wie er deutschem Luthergeist und heldischer Frömmigkeit entspricht. Wir sehen Rasse, Volkstum und Nation als uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, für deren Erhaltung zu sorgen uns Gottes Gesetz ist. Daher ist der Rassenmischung entgegenzutreten'"
"Sie verlangten (…) die Einführung des Führerprinzips in der Kirche, die Ausmerzung alles undeutschen Wesens, den Arierparagraphen und eine mächtige Reichskirche", erinnerte sich der 1983 verstorbene Pfarrer Wilhelm Niemöller, Bruder Martin Niemöllers. Der sogenannte "Arierparagraph" im "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom April 1933, der die Beschäftigung von "Nichtarieren" im öffentlichen Dienst verbietet, ist in der Tat Dreh- und Angelpunkt des Konflikts. Und die Kernfrage lautet:
"Wenn der Staat keine Juden einstellt, muss es die Kirche ihm dann gleichtun?"
Oder, wie Klaus Ebert noch pointierter formuliert:
""Das Problem tauchte dann auf: Wie halten wir es mit den jüdischen Pfarrern, die christlich konvertiert sind, das dann mit den Rassegesetzen 1933, die erst für die Beamten galten, für einige Landeskirchen übernommen wurde? Dann die Frage: Können 'rassisch' jüdische Pfarrer noch Pfarrer in der evangelischen Kirche sein? Einige Landeskirchen haben gesagt: nein. Und um diese Auseinandersetzung gab es dann den Konflikt. Und die Frage war jetzt: definiert sich die evangelische Kirche einmal vom Wort und von der Gemeinde oder definiert sie sich über Rasse und über Kultur.?"
Für Pfarrer jüdischer Herkunft, für die sogenannten "rassejüdischen Christen" gibt es bald in vielen evangelischen Kirchen "keinen Raum und kein Recht" mehr. Und auch nicht für die, die wagen, sich kritisch zu äußern.
An die seltsame Begebenheit einer "schweigenden Konfirmation" etwa erinnerte sich vor Jahren die Frankfurter evangelische Pfarrerin im Ruhestand, Marlies Flesch-Thebesius, die als Tochter eines "halbjüdischen" Vaters als sogenannter "Mischling 2. Grades" galt.
"Eine aus meiner Klasse wurde konfirmiert von einem Pfarrer, der in jener Zeit gerade Redeverbot bekam von den Nazis. Er durfte nicht mehr predigen. Er hat versucht, sich dem zu entziehen, indem er außerhalb des hessischen Kirchengebietes gepredigt und Gottesdienst gehalten hat. Das ging eine Weile gut, aber gerade, als die Konfirmation dieser Freundin von mir kam, war’s nun unwiderruflich aus: er durfte nicht mehr öffentlich sprechen.
Aber die Konfirmation sollte doch stattfinden. Sie fand auch statt, aber ein anderer hat die Predigt gehalten und auch ein anderer hat die Segensworte gesprochen. Und der Pfarrer, der das Redeverbot hatte, hat den Kindern nur die Hände aufgelegt. Das war eine ungeheuer bewegende Sache."
Als sich an diesem 29. Mai 1934 zur ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche 139 Delegierte aus 25 Landes- und Provinzialkirchen in der Kirche Barmen-Gemarke zusammenfinden, ist der Ausgang der Versammlung keineswegs klar.
Zwei Tage lang wird debattiert, beraten, erörtert und wohl auch gerungen und gestritten - bis am 31. Mai die Erklärung einmütig angenommen wird. Die "Bekennende Kirche", die sich auf dieser Synode formiert, erhält so ihr geistiges Widerstandszentrum. Und das übrigens unter den Augen von Gestapobeamten, die eifrig mit stenografieren.
Und so groß die Bedeutung der "Erklärung", so kurz ihr Text. Er beginnt mit dem Johanneswort:
"Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich (…)"
Das Schriftwort, das Bekenntnis und die Verwerfung falscher Lehre folgen jeweils aufeinander. Die Kirche steht unter dem Wort. Auf Gott zu hören, auf ihn zu vertrauen, ihm zu gehorchen und entsprechend zu handeln - das ist die geistliche Dynamik der "Barmer Theologischen Erklärung". Die sich vor allem an der berühmten These 5 entzündet, dem Petruswort:
"Fürchtet Gott, ehret den König."
Klaus Ebert: "Der Staat garantiert der noch nicht erlösten Welt die Ordnung. Das ist Luther. Aber: er hat dieses Gewaltmonopol nur, um Recht und Frieden zu wahren (…) Und die Kirche ist kein Organ des Staates. Sie ist, was ja nach dem Krieg so formuliert worden ist: eingesetztes Wächteramt. Sie soll korrigierend eingreifen, wenn der Staat Menschenrechte verletzen sollte."
Viel ist um diese These gestritten worden. Und viel ist um das gestritten worden, was in der "Barmer Erklärung" nicht steht.
"Was uns natürlich im Nachhinein auffällt: die Frage, die Bonhoeffer immer durchgezogen hatte, die Frage der Judenverfolgung (…) Und wenn man dann sieht, dass Leute wie Bischof Meiser natürlich auch federführend tätig gewesen sind, die sich ja als Antisemiten geäußert haben, ist das kein Zufall. Diese Baustelle wollte man nicht (…) Man hat sich nur gekümmert um christlich getaufte Juden. Das war einfach aus er Logik der Zeit erklärbar."
Einigen erschließt sich diese Logik dennoch damals nicht. Etwa der Mitarbeiterin der "Inneren Mission" Marga Meusel. Immer wieder drängt die unerschrockene Frau die evangelische Kirche, den Juden beizustehen. In einer flammenden Denkschrift, die sie nur ein Jahr nach "Barmen" den Synodalen der "Bekennenden Kirche" vorlegen lässt, heißt es:
"Warum sucht Bodelschwingh in den Ärzteblättern einen arischen Medizinalpraktikanten? Warum muss eine Stenotypistin in der 'Inneren Mission' den Ariernachweis erbringen? Was soll man antworten auf all die bitteren und verzweifelten Anklagen? Warum tut die Kirche nichts? Warum lässt sie das namenlose Unrecht geschehen? Warum schützt sie nicht wenigstens die Kinder? Und wenn die Kirche, um ihrer völligen Zerstörung willen, in vielen Fällen nichts tun kann, warum weiß sie dann nicht wenigstens um ihre Schuld?"
Es sind Fragen, die sich nicht wegwischen lassen.
"Nicht nur die Opfer unterm Rad verbinden - sondern dem Rad in die Speichen greifen", hat Dietrich Bonhoeffer einmal notiert. Und doch - der Respekt vor der Widerstandskraft des Wortes in der "Barmer Erklärung" bleibt. Karl Barth:
"Die Deutsche Evangelische Kirche hat mit leiser Stimme dieses Politikum auf den Plan gestellt."