Christoffer Carlsson: "Schmutziger Schnee"
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
C. Bertelsmann, München 2016
408 Seiten, 14,99 Euro
Ein neuer Meister der Schwedenkrimis
Nach Henning Mankell und Stig Larsson wächst in Schweden die nächste Generation der Krimiautoren heran. Christoffer Carlssons Krimiserie zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Sein Roman "Schmutziger Schnee" befasst dich mit der schwedischen Extremistenszene.
Schwedenkrimis sind mehr als reine Kriminalromane: Sie greifen - spätestens seit den Polizeiromanen von Maj Sjöwall und Per Wahlöö - gesellschaftliche Strömungen auf, loten Tendenzen aus und befassen sich auch mit unbequemen Wahrheiten. Der noch nicht mal 30-jährige Christoffer Carlsson ist da keine Ausnahme. "Schmutziger Schnee" heißt der zweite Band mit dem tablettenabhängigen Polizisten Leo Junker, der bei einem Einsatz versehentlich einen Kollegen erschossen hat und nun nach Monaten wieder in den Dienst zurückgekehrt ist.
Ein neuer Fall lässt nicht lang auf sich warten: In einem Hinterhof wird der Soziologiedozent Thomas Heber tot aufgefunden und die Spur führt direkt in die schwedische Extremistenszene, in der Heber zuletzt recherchiert hat. Zwischen dem rechtsgerichteten "Schwedischen Widerstand" und den linksautonomen "Radikalen Antifaschisten", kurz RAF, schwelen die Konflikte, und als sich die Staatssicherheit einschaltet und den Fall übernehmen will, wird Junker klar, dass es hier um mehr geht als "nur" einen Mord.
Keine Schwarzweiß-Malerei
Christoffer Carlsson hat ein heikles und brandaktuelles Thema gewählt, und er behandelt es mit großer Nonchalance und beachtlichem Einfühlungsvermögen. Seine Figuren sind vielschichtig, wie etwa Jonathan, der irgendwie beim "Schwedischen Widerstand" gelandet ist, wo er sich anerkannt fühlen kann, aber immer wieder von Zweifeln geplagt wird, und der überdies seinen iranischen Freund Ebi vermisst, der sich bei den Gegenspielern der RAF engagiert. Oder wie Christian, der eigentlich gar nicht so radikal denkt, aber von seinem gewalttätigen Freund Michael in die rechte Szene mitgerissen wird. Oder auch wie Lisa Swedberg, die RAF-Aktivistin, die sich auf eine Affäre mit Thomas Heber einließ und plötzlich im Zentrum des Geschehens steht. Geschickt vermeidet Carlsson jegliche Schwarzweiß-Malerei, ohne dabei gesellschaftlich bedenkliche Entwicklungen zu banalisieren.
Vor dem Hintergrund der erstarkenden Partei der Schwedendemokraten und der politischen Auseinandersetzung um Einwanderung und Integrationsbemühungen tastet sich Leo Junker durch eine Welt, in der die Grautöne überwiegen und vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Rechtsextremisten sind in sich zerrissen, Gerüchte über ein geplantes Attentat werden laut, und die Zeit läuft den Ermittlern davon.
"Wir haben uns irgendwo unterwegs verirrt"
All das präsentiert Carlsson in einer ehrlichen und pragmatischen Prosa, die die Probleme Schwedens direkt anspricht. "Wir haben uns irgendwo unterwegs verirrt", überlegt Leo Junker. "Niemand weiß mehr, woran der andere glaubt und wer eigentlich was über wen denkt." Mit solchen Passagen erweist sich Christoffer Carlsson als würdiger Erbe seiner großen Vorgänger wie Mankell oder Larsson, als Autor, bei dem die Tradition der Schwedenkrimis in guten Händen ist. Auch Carlsson schreibt in einem eigenen Ton, auch er trifft den Nerv seiner Zeit und schaut tief in die gesellschaftlichen Befindlichkeiten seines Landes. Im Herbst soll der dritte Roman der Reihe um Leo Junker in Deutschland erscheinen: Man kann sich schon jetzt darauf freuen.