Christoph Hein: "Guldenberg", Roman
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
284 Seiten, 23 Euro
So überschaubar schlimm ist die Gegenwart
06:30 Minuten
In "Guldenberg" erzählt Christoph Hein von den Schikanen, die Jugendliche aus Syrien und Afghanistan in der Provinz erleben. Die guten Absichten hinter dem Roman sind kaum zu übersehen. Literarisch gelungen ist er allerdings nicht.
Gute Absichten machen noch keinen guten Roman. Christoph Heins neuer Roman "Guldenberg" strotzt geradezu vor guten Absichten. Er zeichnet das Porträt eines vermutlich ziemlich durchschnittlichen ostdeutschen Städtchens, wo ein paar Jugendliche aus Syrien und aus Afghanistan im alten Seglerheim untergebracht worden sind. Daraufhin passiert all das, was zu befürchten steht und was kritisch darzustellen die gute Absicht des Romans ausmacht: In die Fenster der Unterkunft fliegen Ziegelsteine.
Am Auto einer Betreuerin werden die Reifen durchstochen. Ein junges Mädchen behauptet, vergewaltigt worden zu sein, kann aber keinen der Angreifer identifizieren. Und obwohl sich herausstellt, dass sie die Sache erfunden hat, weil sie von ihrem Freund schwanger ist und Angst hat, das zu gestehen, bleiben die Fremden in den Augen vieler Guldenberger verdächtig.
Das alles mag, so klischeehaft es ist, so oder so ähnlich immer wieder geschehen. Christoph Hein hat dafür jedoch ein reales Anschauungsobjekt. Guldenberg, das er schon in mehreren Romanen zum Handlungsort gemacht hat, ist dem sächsischen Bad Düben nachempfunden, wo Hein 1944 geboren wurde.
Guldenberg ist für ihn das, was Jerichow für Uwe Johnson gewesen ist: Ein fiktiver Provinzort im deutschen Osten, der prototypisch alles umfasst, was dort politisch der Fall ist. Doch während Johnsons Jerichow vor allem aus der Erinnerung heraus als Sehnsuchtsort ersteht, hat Christoph Hein sich vorgenommen, ein aktuelles Gesellschaftsbild zu zeichnen, das eher allgemein ausfällt.
Der korrekte Polizeichef
Ein auktorialer, allwissender Erzähler nimmt kapitelweise sein Personal in den Blick: den anständigen, aber etwas hilflosen Bürgermeister. Den Pfarrer, der sich am liebsten versetzen ließe, dann aber doch seinen Mann steht. Den intriganten Vorsitzenden des Kirchengemeinderats. Den Unternehmer, der in seiner Fabrik dreirädrige Kleintransporter herstellt und damit viel Geld verdient, bis er von einem Rumänen übers Ohr gehauen wird.
Den korrekten Polizeichef und seine abwiegelnden Mitarbeiter. Eine lästerliche Skatrunde in der Gastwirtschaft, und selbstverständlich und vor allem die Geflüchteten und ihre freundlichen Betreuerinnen. Auf diese Weise werden die Institutionen der Stadt – Rathaus, Kirche, Polizei, Wirtschaft und Öffentlichkeit – getreulich abgearbeitet. Platz für Überraschungen oder auch nur ein Eigenleben der Figuren, das über ihre Funktion hinausreichen würde, gibt es nicht, ebenso wenig wie eine Hauptfigur, die Empathie erwecken könnte.
Sauber konstruiert
Hein interessiert sich dafür, wie Geschäfte gemacht werden und wie Politik vor Ort funktioniert, indem man auf kleine oder größere Gefälligkeiten setzt und gerne auch mal die Vergangenheit vergisst. Im deutschen Osten, in dem wir uns hier befinden, heißt das vor allem, einstige Parteimitgliedschaften und DDR-Opportunismen auf sich beruhen zu lassen.
Auf diese Weise arbeitet Hein weiter in dem literarischen Segment des dokumentarischen Gesellschaftsromans, in dem er seinen Ruhm als "Chronist des Ostens" erworben hat. Auch das ihm gerne angehängte Attribut eines "trockenen Stils" bewahrheitet sich. Trockener als dieser auf dem Reißbrett entworfene Roman kann Literatur kaum sein, auch wenn alles stimmt, alles sauber konstruiert ist und die Ereignisse erwartungsgemäß und folgerichtig ablaufen.
Immer etwas zu elaboriert
"Guldenberg" besteht vor allem aus Dialogen, die seltsam hölzern wirken, als habe Hein nicht wirkliche Menschen vor Augen gehabt, sondern Papiergestalten, die jargonfrei und immer etwas zu elaboriert sprechen, als wäre das Ganze kein Roman, sondern eine Drehbuchvorlage fürs ZDF-Vorabendprogramm.
Dort wäre "Guldenberg" tatsächlich gut aufgehoben, mit Jan Josef Liefers als Bürgermeister, Thomas Thieme als Unternehmer und Dagmar Manzel als gute Flüchtlingsmutter. Dann könnte man sich sorgenfrei zurücklehnen, weil die Wirklichkeit auf überschaubare Weise schlimm ist, genauso, wie es in jeder ordentlichen Tageszeitung steht.