"Ein störrischer Verleger sollte abserviert werden"
18:00 Minuten
Der Verlag „Faber und Faber“ ist wieder da mit dem Briefwechsel zwischen Schriftsteller Christoph Hein und dem ehemaligen Aufbau-Verleger Elmar Faber. Wir sprechen mit Hein und Michael Faber, Fabers Sohn, über die Treuhand und das deutsch-deutsche Verhältnis.
Frank Meyer: 35 Jahre lang haben sich der Verleger Elmar Faber und der Autor Christoph Hein Briefe geschrieben. Diese Briefe kann man jetzt lesen in einem Buch mit dem Titel "Ich habe einen Anschlag auf Sie vor", es erscheint im Verlag Faber und Faber. Das ist auf mehreren Ebenen hochinteressant, einmal als Dokument der jüngeren Literaturgeschichte, bei der man einem Autor und einem Verleger bei ihrer Arbeit zusehen kann. Eine andere Ebene, da sind zwei Menschen, die sich herzhaft widersprechen, die sich eigentlich beständig streiten und die sich über diesen Streit in ihre Freundschaft hineinarbeiten. So habe ich das in diesen Briefen gelesen. Hier sind jetzt Christoph Hein und Michael Faber, der Sohn von Elmar Faber.
Christoph Hein, wie war das denn für Sie? So ähnlich wie ich das gerade dargestellt habe, haben Sie sich mit Elmar Faber hineingestritten in Ihre Freundschaft?
Hein: Sagen wir, der Beginn war durchaus skeptisch. Ich glaube, ich habe das irgendwo auch mal in einem der Artikel in dem Buch beschrieben. Ein Verleger aus Leipzig kam, der dort einen großen und großartigen Verlag machte, wo er überhaupt keine Schwierigkeiten mit der Zensur hatte, weil diese Bücher nahezu vollständig in den Westen verkauft wurden. Das war so ein Kunstverlag. Er übernahm dann freiwillig den Aufbau-Verlag, wo man mit Zensur und dergleichen Beschränkungen sehr viel zu tun hatte.
Das fand ich überraschend, und insofern war ich durchaus skeptisch, als er kam. Das ging aber dann eigentlich sehr schnell, dass wir in ein enges freundschaftliches Verhältnis kamen. Das ist in dem Briefwechsel nicht ganz erkennbar. Elmar Faber hatte irgendwann vorgeschlagen, dass wir die Briefe, die wir austauschten, im Hinblick auch auf eine Veröffentlichung ein bisschen professioneller machen. Dann haben wir in dem Briefwechsel das Sie beibehalten, was im persönlichen Umgang schon längst hinfällig war.
Reflexionen über die Gegenwart und Geschichte
Meyer: Wie haben Sie das miterlebt, Michael Faber? Sie waren damals Anfang 20, als Elmar Faber und Christoph Hein näher miteinander zu tun hatten. Hat Ihr Vater über den Kontakt zu seinen Autoren geredet, unter anderem zu Christoph Hein? Haben Sie vielleicht auch von der Skepsis mitbekommen, die Christoph Hein gerade angedeutet hat?
Faber: Davon wahrscheinlich weniger. Aber ich begann, als mein Vater den Aufbau-Verlag übernahm, in Leipzig ein Studium der Literaturgeschichte und war natürlich als Sohn gelegentlich auch nach Berlin eingeladen, wenn Party angesagt war oder bestimmte Autorentreffen. So hatte ich das Glück, auch Christoph Hein schon Mitte der 80er-Jahre persönlich kennenzulernen. Ich glaube, die Gespräche, die da geführt worden sind, waren zum Teil heiter, aber zum Teil natürlich auch immer durchsetzt mit Reflexionen über die gegenwärtige Geschichte, die dann nicht nur die DDR meinte, sondern auch die europäische Geschichte. Da lernte ich Christoph Hein als einen sehr streitbaren, auch als einen sehr klugen, kompetenten und vor allen Dingen auch global denkenden Menschen kennen. Das hat mich tief beeindruckt.
Dann gab es noch einen zweiten Vorgang: Ich kam relativ rasch in eine sogenannte Arbeitsgruppe in der Moritzbastei in Leipzig. Das war damals, und ist es noch heute, ein sehr großer Studentenclub. Ich leitete dort die Arbeitsgruppe Literaturtheater. Da hatte ich die Möglichkeiten, auch Autoren einzuladen, die ich sehr schätzte oder die vor allem für den öffentlichen Diskurs sehr wichtig waren. Christoph Hein gehörte auch zu den Autoren, die unsere Generation mit ihrer kühlen Distanziertheit und mit ihrem klaren sezierenden Verstand tief beeindruckt hat.
Meyer: Das war sicher auch das Buch "Der fremde Freund", das war ein halbes Jahr bevor Elmar Faber den Aufbau-Verlag übernahm erschienen. Ein Buch, das auch in meiner Erinnerung so gut wie jeder Literaturinteressierte in der DDR damals gelesen hat. Das war sicherlich eins davon, was Sie damals beeindruckt hat.
Meyer: Das war sicher auch das Buch "Der fremde Freund", das war ein halbes Jahr bevor Elmar Faber den Aufbau-Verlag übernahm erschienen. Ein Buch, das auch in meiner Erinnerung so gut wie jeder Literaturinteressierte in der DDR damals gelesen hat. Das war sicherlich eins davon, was Sie damals beeindruckt hat.
Faber: Unbedingt, aber was ja heute zu wenig reflektiert wird, Christoph Hein war damals auch einer der meistdiskutiertesten Theaterautoren; die historischen Stoffe wie Lasalle oder Cromwell waren in meiner Generation stark diskutiert, weil sie natürlich sehr metaphernreich waren und uns auch Einblicke aus dem historischen Verständnis ins Jetzt gaben. So eine bizarre Figur wie Lasalle in der fast komödiantischen Darstellungsweise von Hein war für uns ein Hochgenuss. Mit dem Autor eines solchen Stoffes ins Gespräch zu kommen, war einfach eine schöne Auszeichnung.
Beschränkungen durch Papierzuteilung
Meyer: Um auf Ihre Konflikte oder Auseinandersetzungen mit Elmar Faber zurückzukommen, Christoph Hein: Ihren Briefen kann man ablesen, dass Sie sich über die Frage, welche Bücher ein Verlag wie Aufbau machen sollte, durchaus herzhaft gestritten haben. Da waren Sie durchaus nicht immer einer Meinung, oder?
Hein: Ja, selbstverständlich nicht. Da vertrat Faber natürlich die Verlegerseite und ich vertrat die Autorenseite. Das war in so einem kleinen Ländchen mit wenig Papier für die Verlag und für die Druckereien natürlich dann immer ein Streitpunkt nicht nur zwischen mir und Faber, sondern zwischen allen Autoren und allen Verlegern, weil die Beschränkungen waren heftig. Wie kommt man mit diesen zurecht, das war immer ein Thema.
Das andere war die Zensur, aber auch das fehlende Papier. Der Kulturminister hatte natürlich Schwierigkeiten, den Verlagen Papier zur Verfügung zu stellen. Denn die DDR-Verlage, denen er das Papier gab, die erbrachten nur Ostgeld, während das unbedruckte Papier konnte man in den Westen liefern, das ergab Westgeld. Der Finanzminister legte größeren Wert darauf, dass das Papier unbedruckt in den Westen verkauft wird als bedruckt im Osten.
Meyer: Zensur, das Thema haben Sie gerade angesprochen. Damit hat auch ein Thema zu tun, das Sie in die Überschrift gestellt haben: Ihrer Grabrede, die Sie für Elmar Faber gehalten haben. Er ist 2017 gestorben mit 84 Jahren. Ihre Grabrede kann man jetzt auch nachlesen in diesem neuen Buch. Die steht unter der Überschrift "Erinnerungen an einen Husaren". Was hat denn Elmar Faber in Ihren Augen zu einem Husaren gemacht?
Hein: Das waren die Vorgänge um einen Roman. Als Elmar Faber nach Berlin kam, ich ihn kennenlernte, konnte ich immer sehr schnell ein neues Manuskript geben, das war ein Skript für den Roman "Horns Ende". Das brachte ihm, den Verleger, und mir natürlich viel Ärger ein. Also gab es keine Druckgenehmigung. Elmar Faber versuchte, auf allen möglichen Wegen eine Druckgenehmigung zu bekommen. Ich hatte den westdeutschen Verlag Luchterhand gebeten, das Buch noch nicht auszuliefern, denn das war klar, wenn dieses umstrittene Buch im Westen erscheint, wird es in Ostdeutschland nie erscheinen. Luchterhand machte mit, hielt die Auslieferung zurück, wir kämpften weiter darum.
Elmar Faber zog hoch bis zum allerhöchsten Chef, Kurt Hager. Es gab nie eine Erlaubnis. Dann macht er etwas, was es in der DDR-Geschichte nie vorher gegeben hatte und nie danach: Er rief in der Druckerei an und teilte ihr wider besseren Wissens mit, er habe die Druckgenehmigung bekommen, die Druckerei hatte keinen Grund, an dieser Aussage zu zweifeln, sie banden das Buch, lieferten aus, und nach zwei Tagen war die gesamte Auflage vergriffen. Dann ging es natürlich um den Kopf von Elmar Faber, ob er dann noch weiter Leiter dieses wichtigsten Verlages sein darf. Das waren so die Auseinandersetzungen, wo er Kopf und Kragen riskiert hat, um dieses Buch herausgeben zu können.
Keine heroische Tat
Meyer: Da hat er großen Mut bewiesen. Er hat dazu gesagt, als er dann einbestellt wurde und sich für diesen Ungehorsam verantworten sollte, er habe sich nicht vorstellen können, derart beschimpft zu werden. Michael Faber, haben Sie davon etwas mitbekommen, hat er mal darüber gesprochen, was er da erlebt hat, als er da einbestellt wurde?
Faber: Ja, er hat natürlich darüber gesprochen, aber erst sehr, sehr spät. So war das für mich lange Zeit ein Ereignis, was ich nicht nachvollziehen konnte, was ich allerdings mit großer Bewunderung zur Kenntnis nahm. Mein Vater hatte einen Charakter, solche Punkte, die möglicherweise andere mit einem anderen Charakter sehr weit nach außen gezeigt hätten, doch eher still damit umzugehen, also keine heroische Tat daraus zu machen, die es vermutlich in diesem Zusammenhang wahrscheinlich war. Er hat mir damit auch gezeigt, dass ein charaktervoller Umgang eines Verlegers und ein stilles Einvernehmen mit den Dingen, die da kommen, die beste Medizin ist zu überleben.
Hein: Ich glaube allerdings, Michael, nein, ich glaube, die Sache hat ihn unendlich verletzt. Ich hatte versucht, von ihm herauszubekommen, wie das dann in dem hohen Haus, also bei Hager und so, abgelaufen sei, wie es dazu kam, dass er nicht abgesetzt wurde. Er hat wirklich nur diesen Satz geschrieben, er hätte sich nicht vorstellen können, jemals derart beschimpft zu werden. Mehr hat er mir nicht gesagt. Ich glaube, der Vorgang hat ihn doch so tief verletzt, dass er selbst mir gegenüber nicht davon sprechen wollte.
Meyer: Einer der intensivsten Momente für mich beim Lesen dieses Buches, Christoph Hein, war, als Sie in einem Brief von einer Intrige berichten, mit der Elmar Faber nach 1989 als Verleger des Aufbau-Verlages demontiert werden sollte. Können Sie uns erzählen, was da vor sich gegangen ist?
Hein: Ja, ich habe es in dem Brief einigermaßen genau dargestellt. An einem Sonntagnachmittag bekam ich einen Anruf, dass die drei, vier wichtigsten Autoren vom Aufbau-Verlag sich dringend, eilendst zusammenfinden müssten. Es gehe um etwas Ungeheuerliches: den Fortbestand des Aufbau-Verlages. Wir trafen uns dann am Nachmittag bei Christa Wolf, vier Autoren und zwei Herren von der Treuhandgesellschaft. Dort wurde uns mitgeteilt, dass es Akten gäbe, wonach Elmar Faber Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen wäre, wir müssten heute noch die Ablösung des Verlegers unterschreiben oder befürworten, damit am nächsten Tag der ganze Aufbau-Verlag den Bach runtergeht.
Da gab es dann eine gewisse Bereitschaft der Autoren, um den Verlag zu retten. Ich weigerte mich. Ich sagte, ich glaube es nicht, und ich möchte die Papiere sehen. Dann wurde mir gesagt, wenn ich nicht sofort unterschreibe, riskiere ich das Weiterbestehen des Aufbau-Verlages. Ich sagte, ich bin morgen früh um sechs in der Treuhand, Sie zeigen mir die Papiere, dann sage ich ja oder nein, das möchte ich aber erst sehen, ich glaube es nicht. Die Kollegen waren etwas unzufrieden mit mir, weil, wie gesagt, der Verlag gefährdet war, wie die Treuhand mir mitteilte.
Wir gingen etwas unzufrieden auseinander. Am nächsten Morgen bekam ich sehr früh einen Anruf, wo mir mitgeteilt wurde, ich müsse nicht zur Treuhandanstalt kommen, es habe sich erübrigt. Es war eine Sekretärin, die mir das mitteilte. Ich bat darum, etwas genauere Kenntnis darüber zu bekommen, das wurde abgelehnt. Die Sache war von vornherein alles zusammen gelogen. Es war der Wunsch, den störrischen Verleger Faber, der sich nicht nach den Wünschen der Treuhand verhalten hatte, mit dieser Denunziation aus dem Amt zu bringen.
Das wäre natürlich erfolgreich gewesen, wenn da die wichtigsten Autoren des Verlags am Vortag seine Ablösung gefordert hätten. Selbst wenn am Tag danach sich die Lüge offenbart hätte, der Vertrauensbruch wäre nicht mehr zu kitten gewesen. Da war ich dann einigermaßen stolz auf mich, dass ich mich gegen Treuhand und auch gegen Kollegen durchgesetzt habe , was mir nicht einfach fiel. Das war ein bisschen die Geschichte, womit ein störrischer Verleger abserviert werden sollte.
Neuer und erfolgreicher Verlag gegründet
Meyer: Die auch zeigt, dass er unter neuen Voraussetzungen in einer neuen Zeit unbequem war, für einige jedenfalls. Michael Faber, Sie haben in dieser Zeit dann 1990 zusammen mit Ihrem Vater den gemeinsamen Verlag Faber und Faber auf den Weg gebracht. Was hatten Sie damals mit diesem Verlag im Sinn, was wollten Sie da für eine Art Bücher herausbringen?
Faber: Also die Gründungsurkunde ist gewisser Weise auf zwei Säulen gebettet. Erstens, mein Vater hatte in den 80er-Jahren einen Pressendruck gegründet, die Sisyphos-Presse. Diese Presse stand Anfang 1990 zum Verkauf. Die erwarben wir, um sie fortzupflegen. Also mit anderen Worten, neben seiner eigentlichen verlegerischen Arbeit als Aufbau-Verleger, einen Leidenschaftskleinverlag zu gründen. Dann fiel uns aber ein Buch eines sehr geschätzten Berliner Kollegen, Manfred Bofinger, ein hochbegabter Cartoonist, in die Hände: "Graf Tüpo", eine Hommage an Lissitzky anlässlich seines 100. Geburtstages. Das mussten wir unbedingt machen, das war ein fulminanter Start. Dieses Buch war so erfolgreich, dass wir einfach sagten, so, daraus bauen wir jetzt aus diesen beiden Säulen ein Verlagsprogramm, was mehr als 20 Jahre hält.
Meyer: 2014 haben Sie die Verlagstätigkeit erst einmal eingestellt. Jetzt starten Sie den Verlag neu: Faber und Faber gibt es wieder. Das ist das erste Buch, über das wir hier sprechen, der Briefwechsel zwischen Christoph Hein und Elmar Faber. Wo sehen Sie denn jetzt die Lücke, in der so ein Verlag arbeiten kann?
Faber: Ich werde in gewisser Weise an das alte Programm anknüpfen. Wir sind im Nukleus ein ganz literarischer Verlag, aber in der Spezifik, der sich sehr stark auch um die Symbiose mit dem Bild kümmert. Wir werden sehr viele illustrierte Bücher herausgeben, sowohl retrospektiv, sagen wir mal, klassischer Kanon, wie eben tatsächlich auch Neuentdeckungen im Literarischen.
Ich glaube, dass dort von anderen Verlagen auf dem deutschen Buchmarkt zu wenig gemacht wird. Ich rechne mir dort tatsächlich auch eine Chance aus. Ich glaube überhaupt, dass die Komplexität unserer Wahrnehmung in dieser Zeit etwas stiefmütterlich ist: Dass wir einfach mehr den Text Literatur, die Geschichte, die Erzählung mit den bildnerischen Eindrücken, mit unserer Fantasie anreichern sollten. Das würde mir große Freude machen, das auch im Verlag zu gestalten.
Enge Bindung an Elmar Faber
Meyer: Christoph Hein, Sie sind in Kontakt geblieben mit Elmar Faber, auch als er nicht mehr Ihr Verleger war, 1992 ist er dann ausgeschieden. Auch wieder eine interessante Geschichte, die man zumindest in Teilen in Ihrem Briefwechseln nachlesen kann. Warum sind Sie in Kontakt geblieben, was hat er für Sie nach seiner Zeit als Ihr Verleger bedeutet?
Hein: Ach, wissen Sie, allein diese Vorgänge um "Horns Ende" haben mich einfach lebenslang an ihn gebunden. Das war ein so ungeheuerlicher Vorgang. Ich hätte mit allen möglichen Zensurgeschichten in der DDR zu tun gehabt. Da war es sehr hilfreich, dass ich in Berlin den Intendanten und Regisseur Benno Besson hatte und in Dresden Gerhard Wolfram, der die "Ritter der Tafelrunde" trotz Verbot auf die Bühne brachte. Und Elmar Faber, der mit "Horns Ende" das, meines Wissens, einzige Buch ohne Druckgenehmigung hat erscheinen lassen. Es ist entgegen der Entscheidung der Hauptverwaltung Kultur, der Zensur, durch seine Entscheidung herausgekommen. Allein dieser Vorgang band mich an ihn.
Meyer: Ich habe vorhin ja schon mal gesagt, das Buch ist auf vielen Ebenen interessant: Auch die zeithistorische Frage, was in den letzten Jahren der DDR und im Übergang in eine andere Gesellschaft passiert ist. In Ihrer Grabrede 2017 für Elmar Faber da haben Sie auch über ein politisches Thema gesprochen, nämlich über den Austausch der Eliten in Ostdeutschland nach 1989. Warum hat das für Sie in diese Grabrede hineingehört?
Hein: Elmar Faber gehörte als Chef des Aufbau-Verlages natürlich zu den Eliten der DDR. Diese wurden nach 1989 nahezu vollständig ausgetauscht. Es gab Doktoranden, die in München saßen und auf eine Stelle warteten. Auf einmal nach 1990 boten sich ihnen ganz viele Stellen an, weil an den Universitäten alles ausgetauscht wurde; neun Millionen wurden arbeitslos. Da war einfach ein großer Austausch der Arbeitskräfte und auch nahezu vollständig der Eliten. Das betraf natürlich auch direkt einen Mann wie Elmar Faber.
Meyer: Sie haben das in seinem Fall als besonders unangebracht und ungerecht empfunden?
Hein: Es gab Vorgänge, die leicht kriminell waren, etwa wie die Treuhand versuchte, ihn zu erledigen. Das war absolut unangemessen und völlig würdelos.
Austausch der Eliten in Ostdeutschland
Meyer: Michael Faber, hat Ihr Vater sich denn als jemand gesehen, der ausgetauscht wurde; der Chancen verloren hat, weil er Ostdeutscher war und weil er zur Elite in der DDR gehörte?
Faber: Ich glaube gar nicht, dass er so stark das selbst reflektiert hat, was seine Person betrifft, sondern als Gesellschaftsphänomen: Wie die Transformation der Ostdeutschen in die neue, im Prinzip selbst gewünschte Gesellschaftsform ablief. Dass diese schmerzhaften Prozesse von vielen so nicht vorgedacht werden konnten und indem man sie erlebte, auch in ihrer politischen Brutalität, also nicht nur in einer arbeitspolitischen, sondern tatsächlich auch in einer gesellschaftspolitischen Brutalität, das sind natürlich Gegenstände, über die er dauerhaft reflektiert hat. Auch im Gespräch mit mir oder mit unseren Autoren, insbesondere natürlich auch mit dem Christoph, im Briefwechsel, aber natürlich auch in vielen persönlichen Gesprächen. Dieses Thema hat uns bis heute nicht wirklich verlassen.
Meyer: Deswegen fand ich das auch so interessant, davon noch einmal in diesem Buch zu lesen. Es ist gerade auch in diesem Jahr wieder, nach den Europawahlen, viel darüber geredet worden, wie und warum der Osten anders tickt als der Westen Deutschlands – auch angesichts der Wahlerfolge von den Grünen dort und der AfD dort. Denken Sie beide, dass solche Unterschiede auch mit solchen Erfahrungen zu tun haben, die damit verbunden war: Dem Austausch der Eliten, dem Verlust von Ansehen, der Erfahrung von Zurücksetzung?
Hein: Ich vermute schon, dass es damit zu tun hat. Natürlich erlebte eine Bevölkerung eines großen Landes, des geteilten Deutschlands, dann 1989, 1990 einen totalen Austausch. Das betraf einen jeden, er erlebte, das Geld wurde ein anderes, die Versicherungen wurden anders, die Renten, die Löhne, der Arbeitsplatz. Also es war ein zeitgeschichtliches Ereignis, das jeden Ostdeutschen betraf. Das war natürlich in Westdeutschland völlig anders. Da war man für ein paar Tage daran interessiert, was jenseits der Grenze gerade passiert. Das guckte man sich drei Tage im Fernsehen an, durchaus wohlwollend, aber dann war die Sache auch ausgestanden, weil es interessierte sie nicht, es veränderte sich für sie selbst gar nichts. Das ist ein Unterschied, der bis heute noch anhält. Das ist deutlich.
Faber: Ja, im Prinzip ist es ein Phänomen. Man müsste annehmen, dass nach 30 Jahren einer Wiedervereinigung sich das Land ungeteilt empfinden sollte. Aber durch solche maßgeblichen, auch soziologischen Phänomene, ist es nach wie vor so, dass wir eine mentale Teilung feststellen müssen. Sie unbewältigt zu lassen, wäre der schlechteste Rat, den wir uns geben können. Wir müssen uns damit beschäftigen, dass wir noch nicht unseres Weges angekommen sind, die Vereinigung uns faktisch noch bevorsteht.
Abwehrhaltung in den neuen Bundesländern
Meyer: Christoph Hein, Sie haben in einem anderen Interview auch gesagt, dass Sie ein neues Selbstbewusstsein bei den Ostdeutschen beobachtet haben, weil wir gerade auch über Erfahrungen von Zurücksetzung oder Deklassierung gesprochen haben. Woran zeigt sich so ein neues Selbstbewusstsein aus Ihrer Sicht?
Hein: Das war 1990 für ein paar Jahre völlig verschwunden. Da war für die Ostdeutschen eigentlich nur das westdeutsche Modell wichtig und tragend. Weil man merkte, da wird auch nur mit Wasser gekocht, und man ein paar Erfahrungen gemacht hatte, die zumindest für das Individuum nicht ganz unwesentlich sind. Man wehrt sich dagegen, weil man sich zu Unrecht untergebuttert sieht. Es ist so ein entstehendes Selbstbewusstsein, was möglicherweise auch mit diesen AfD-Geschichten eine Folge hat, dass das in Ostdeutschland deutlicher in einer Abwehr ist, mit dieser Abwehrhaltung.
Wir haben natürlich nach wie vor, dass in Ostdeutschland westdeutsche Eliten alles bestimmen. Sie bestimmen die Stellen, ob Universität oder Betriebe. Das ist schon auch eine Merkwürdigkeit, dass sich nach 30 Jahren nichts verändert hat. Eine Situation wie die Frauen sie jahrhundertelang erfahren haben: Dass sie, was immer sie machten, es nicht ausreichte, es wurde ihnen ein Mann vorgesetzt. Das ist, glaube ich, so eine Erfahrung, die man einfach mitbekommt, wenn eine Frau die gleiche Stellung haben will wie ein Mann. Sie muss X-Mal besser sein als der Mann, sonst bekommt sie diese Stellung garantiert nicht. Da haben wir eine ähnliche Situation in dem Verhältnis der Ostdeutschen und Westdeutschen, was die Struktur des Landes betrifft.
Meyer: Und wenn Ihre These zutrifft, dass ein neues Selbstbewusstsein bei Ostdeutschen da ist, heißt das ja auch, sich überhaupt als Ostdeutsche zu verstehen und zu begreifen. Was könnte da Positives draus entstehen?
Faber: Also wir dürfen nicht vergessen, dass jetzt eine komplett neue Generation in unserem Land entstanden ist, die mit diesem Teilungsfakt überhaupt gar nichts, keine Erlebnisse verbinden, sondern für die das pure Geschichte ist. Das sind handelnde Personen.
Nun haben wir auch tatsächlich einige wenige prosperierende ostdeutsche Städte wie Dresden oder Leipzig, um jetzt bloß mal zwei zu nennen, wo sich ein neues Bewusstsein aus dieser Urbanität und aus der Möglichkeit gibt, selbst zu gestalten und das auch von ostdeutscher Seite zu tun. Damit einhergehend entsteht auch eine andere Möglichkeit, über unsere gesellschaftlichen Belange nachzudenken. Vielleicht waren wir zu lange in der funktionalen und künstlichen Trennung von Ost-West befangen, statt unentwegt darüber nachzudenken, was uns eint. Da braucht es allerdings zwei Seiten, da muss der Westen natürlich genauso auf den Osten zugehen wie der Osten auf den Westen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.