Christoph Höhtker: "Das Jahr der Frauen"
Roman. Weissbooks Verlag, Frankfurt am Main 2017
252 Seiten, 22 €
Erlösung durch systematischen Sex
Frank Stremmer ist vom Leben gelangweilt. Auf die Frage nach seinen Jahresplänen antwortet er seinem Therapeuten: Zwölf Frauen in zwölf Monaten und dann Selbstmord. Ausgehend von dieser Grundidee entwickelt sich "das Jahr der Frauen" zu einem Road Movie mit pop-literarischen Qualitäten.
Wer diesen Roman zu lesen beginnt, weiß sofort, worauf er oder sie sich einlässt. Es gibt hier nämlich so etwas wie einen Prolog, zwei Seiten lang, in Form eines Dialogs von Christoph Höhtkers Helden Frank Stremmer mit seinem Psychotherapeuten, einem gewissen Dr. Yves Niederegger.
Ob er Vorsätze fürs neue Jahr habe, fragt Niederegger seinen Klienten. Stremmer antwortet ihm, dass er sich "noch engagierter" seinen "unendlich langweiligen beruflichen Aufgaben" widmen und seinen "Zwiebel-Text" beenden wolle.
Und außerdem wolle er wahllos Frauenbekanntschaften machen: "pro Monat werde ich versuchen, eine Frau zu verbrauchen". Um dann, falls er das schaffen sollte, sich umzubringen.
Kein feministisch korrekter Roman
Was der Titel "Das Jahr der Frauen" andeutet, bestätigt dieser Dialog nur: Dies ist kein feministisch korrekter Roman. Die Geschichte, die Stremmer dann erzählt, in, klar, zwölf Kapiteln, trägt durchaus sexistische Züge. Und die Grundidee ist ein ziemlicher Quatsch: Erlösung durch systematischen Sex, um endlich sterben dürfen.
Immerhin: Struktur tut gut, der Literatur genauso wie angeknacksten Seelen, selbst wenn Frank Stremmer ganz gut beieinander zu sein scheint. Sein Genfer Alltag wird bestimmt von seiner Arbeit als Mitarbeiter eines hochprofitablen Non-Profit-Kommunikationsunternehmens, das es sich zum Ziel gesetzt hat, "alles mit jedem palavern zu lassen: Wirtschaftsfürsten und malayische Hüttenbewohner, Internetpioniere und Geranienzüchter, Umweltfrevler und Pornografieabhängige." Kurzum: "Communicating for a better tomorrow."
Zyniker, Welthasser und Drogenliebhaber
Stremmler, den man schon aus Höthkers beiden Vorgängerromanen kennt, als Zyniker, Welthasser und Drogenliebhaber, als jemanden, der sagt, er genieße die "absolute Irrelevanz" seines Tuns, soll zusammen mit ein paar Kollegen die definitiv relevante Biografie seines Bosses schreiben, eines Latinophilosophen namens Raphael Gonzalo-Blanco.
Was ihm jedoch nebenher genug Zeit lässt, um das Vorhaben mit den zwölf Frauen tat- und wortkräftig anzugehen, Monat für Monat, von der schwedischen Konzeptkünstlerin Malin über die brasilianische Prostituierte Adela und die deutsche Kellnerin Claudia bis hin zu der amerikanischen Psychologin Beatrice.
Natürlich wundert man sich, was dieser Stremmer für ein toller Hecht ist, dass er es immer wieder schafft, irgendeine Frau für sich zu begeistern, auch wenn es, Gott sei Dank, hier mal mit einer kenianischen Kollegin nicht so recht klappen will und dort nicht mit zwei weiblichen Fans von Thomas Meinecke, die sich gegenseitig aus einem von dessen Romanen vorlesen und feststellen: Das sind ja wir!
Stremmer ist ein kaputter, nach eigenen Dafürhalten aber recht attraktiver Typ, und Höhtker schafft es, ihn sogar einigermaßen sympathisch rüberkommen zu lassen.
Zivilisationskritische Durchgeknalltheit
"Das Jahr der Frauen" hat was von einem Road Movie, ständig wechseln die Schauplätze: Mallorca, Schleswig Holstein, Berlin, Genf. Überdies erinnert Höhtkers Roman in seiner zivilisationskritischen Durchgeknalltheit ein bisschen an die Romane eines Michel Houellebecq, eines Frédéric Beigbeders oder auch einer Virginie Despentes und weist einige popliterarische Qualitäten auf, inklusive der gekonnten Abbildung des globalisierten Business-und Privatsprechs.
Stremmer wechselt per E-Mail, aber auch in manchen Unterhaltungen lose und in einfachsten Worten zwischen Englisch, Französisch und Deutsch hin und her. Am Ende, es ist Dezember, verschwindet er, wie einst der Held in Christian Krachts Roman "1979", nur nicht in einem chinesischen Arbeitslager, sondern einem Viertel der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui.
So wird Stremmer zum verbrauchten Helden eines Romans, der sich angenehm quer stellt zu dem, was die deutschsprachige Gegenwartsliteratur sonst so produziert. Nicht zuletzt deshalb ist "Das Jahr der Frauen" zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelangt.