Christoph Markschies im Interview

"Dem Leben zum Sieg verhelfen"

Der evangelische Theologe Christoph Markschies
Der evangelische Theologe Christoph Markschies © dpa / picture alliance / Hannibal Hanschke
Moderation: Kirsten Dietrich |
Warum musste Jesus am Kreuz sterben? Erst durch die Ereignisse am Karfreitag gewinnt die Osterverkündigung ihre Glaubwürdigkeit, sagt der Berliner Kirchengeschichtler Christoph Markschies: "Man erkennt, dass der Tod nicht das letzte Wort in dieser Welt behält."
Kirsten Dietrich: Gegen die landläufige Überzeugung ist auch für Protestanten der Karfreitag nicht der höchste Feiertag, das ist immer noch Ostern. Aber das Nachdenken über Kreuz und Leiden Jesu Christi hat in der evangelischen Tradition einen besonderen Stellenwert, jedenfalls unter Theologen und Kirchenleuten.
Die Gläubigen tun sich mit dem Kreuz zunehmend schwer - mit Konzepten wie dem Sühnetod oder dem Opfer. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat deshalb in einem Grundlagentext zusammengefasst, wie sie heute übers Kreuz reden möchte: unter dem Titel "Für uns gestorben. Die Bedeutung von Leiden und Sterben Jesu Christi". Eigentlich sollte der Text in der letzten Woche öffentlich vorgestellt werden, aber dann stürzte in den französischen Seealpen das Flugzeug der Germanwings ab, und angesichts von 150 Toten sagte die Evangelische Kirche die Pressekonferenz ab.
Warum eigentlich? Das habe ich Christoph Markschies gefragt, Professor für Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität und Sprecher der Verfasser des Textes. Ist ein solches Unglück nicht geradezu eine Bewährungsprobe für die christliche Rede von Leid und Kreuz?
Christoph Markschies: Grundsätzlich muss man erst einmal sagen, die Frage, die sich angesichts des fürchterlichen Flugzeugunglücks stellt, stellt sich jeden Karfreitag. Warum denkt man nicht nur an die vielen Toten, an die persönlichen Erlebnisse, schrecklichen Erlebnisse, an die Erlebnisse, die einem aus Presse, Funk und Fernsehen sozusagen vor die Haustür gelegt werden, sondern warum denkt man an diese Toten im Licht eines Toten, der vor so vielen hundert Jahren gestorben ist?
Das ist die Frage, die jeden Karfreitag zu beantworten ist und die auch diese Schrift zu beantworten versucht. Die Schrift zeigt, dass es sich lohnt, die vielen Toten dieser Welt im Lichte des einen Toten, Jesus von Nazareth, zu sehen, und zwar deswegen, weil man im Licht dieses einen Toten etwas Grundsätzliches über den Tod erkennt. Man erkennt aber auch, dass der Tod nicht das letzte Wort in dieser Welt behält.
Dietrich: Also das enge Verhältnis von Karfreitag und Ostern, das ist ja ein Verhältnis, das sogar innerhalb der Kirche selber durchaus ein strittiges Verhältnis ist, also dass der Karfreitag eher in den Hintergrund rückt, dass es sogar Theologen, evangelische Theologen gibt, die sagen, wozu überhaupt dieses ganze Reden vom Leiden, wir wollen positiv über Gott reden, wir wollen also quasi nur noch Ostern haben, ohne den Karfreitag. Ist das jetzt so ein bisschen die Ehrenrettung des Karfreitag?
"Ich würde niemals sagen, dieser Tod war notwendig"
Markschies: Man kann die Schrift durchaus als Ehrenrettung des Karfreitags beschreiben. Denn was wäre Ostern, also das Reden ohne Auferstehung, wenn man den Tod nicht ernst nehmen würde? Man kann nur von der Überwindung des Todes reden, und zwar glaubhaft reden, wenn man den Tod am Karfreitag ernst nimmt. Wenn man den Tod am Karfreitag nicht ernst nimmt, wenn man ihn verdrängt, wenn man ihn gleichsam als etwas Unangenehmes in der Gottesgeschichte fortschieben will, dann wird die Osterverkündigung unglaubwürdig. Dann hat man den Eindruck, da reden Leute vom Leben, die gar nichts von seinem Ende und seinen Gefährdungen wissen.
Dietrich: Aber trotzdem ist doch die Frage, warum ist dieser Tod notwendig, also warum predigt man einen Gott, der einen Tod brauchte, um den Menschen Gutes zu tun.
Markschies: Ich würde niemals sagen, dieser Tod war notwendig, sondern Gott hat einen schrecklichen Tod, für den es sehr konkrete historische Ursachen gegeben hat, dazu verwendet, um dem Leben zum Sieg zu verhelfen. Wenn man sagen würde, dieser Tod war notwendig, dann würde man so tun, als ob Gott wollte, dass sein Sohn stirbt, als ob Gott wollte, dass Menschen seinen Sohn ans Kreuz bringen. Das sollte man alles lieber so nicht sagen, sondern Gott hat die Situation dann in einer ganz konkreten historischen Situation in Jerusalem, ein Mensch, nämlich der Mensch, der so wie kein anderer Mensch auf dieser Welt Gott zum Ausdruck gebracht hat, Gott den Menschen nahegebracht hat, selber ganz Gott war, der ist zu Tode gebracht worden, und Gott hat dieses schreckliche Ereignis zum Anlass genommen, dem Leben zum Sieg zu verhelfen.
Das ist, glaube ich, korrekter beschrieben, als dass man sagt, der Tod war notwendig dazu. Es hat Gott gefallen, in der schlimmsten Erniedrigung und im schlimmsten Leid dem Leben zum Sieg zu verhelfen. Vermutlich hätte er es auch anders tun können. Er hat es nun einmal so getan.
Dietrich: In den Kirchen wurde und wird teilweise auch noch heute vom Opfer geredet. Das ist ein Begriff, dieses Opfer, das Sie in Ihrem Papier zur Kreuzestheologie jetzt sehr stark anfragen, sehr stark in seiner Problematik betonen. Warum?
Markschies: Man muss sich klarmachen, die ersten Jüngerinnen und Jünger Jesu, die ersten Menschen, die Jesus nachgefolgt sind, waren Juden. In der Mitte ihres religiösen Lebens stand ein Tempel. In diesem Tempel wurde geopfert. Es ist nicht verwunderlich, dass sie auch den Tod Jesu unter den Bedingungen von Opfer und Sühne gedeutet haben. Wir haben in der Schrift versucht, ganz deutlich zu sagen, man muss in die Geschichte schauen und die Bibel gründlich lesen, damit man das versteht, denn es ist scheinbar nicht unsere heutige Welt.
In Wirklichkeit gibt es natürlich in dieser Welt Opfer, man muss nur an das 20. Jahrhundert denken, ein Janusz Korczak opfert sich für die Insassen seines Waisenhauses. Wir erwarten, dass der Straßenverkehr funktioniert, und nehmen Opfer, Verkehrstote hin. Aber jedenfalls, wir verstehen im Bereich der Religion das Stichwort Opfer nicht mehr. Aber man muss sich klarmachen, wir sind auch nicht dazu verpflichtet, das Kreuz Jesu kann man verstehen, ohne in der Dimension des Opfers zu denken. Man sollte nur über das Opfer nicht schlecht reden, wenn man es gar nicht verstanden hat.
Also unsere Schrift sagt, man kann es verstehen, man muss es aber sich nicht zum Ausdruck seiner eigenen Frömmigkeit machen, und man muss auch nicht so über das Kreuz Jesu Christi reden. Auch im Neuen Testament ist das eine von verschiedenen Deutungen des Lebensweges Jesu Christi.
Die Begriffe Freiheit und Unfreiheit
Dietrich: Vor einem knappen Jahr hat die Evangelische Kirche eine Schrift herausgegeben, die sich mit einem ähnlich grundlegenden Thema für Protestanten beschäftigt, nämlich mit der Rechtfertigung. Und da haben Sie versucht, Rechtfertigung zu buchstabieren gerade in der Form, dass der Mensch dann freigesprochen wird, frei ist von belastender Schuld und deswegen handeln kann. Ist das nicht ein bisschen ein Widerspruch zu dem, wenn Sie jetzt sagen, aber der Mensch ist natürlich immer unter Kreuz, unter Schuld zu betrachten und muss sich damit auseinandersetzen?
Markschies: Ich hoffe nicht, dass das ein Widerspruch wäre, das wäre ja schlecht, wenn man sich innerhalb eines Jahres bereits widersprechen würde. Nein, die Botschaft, dass Menschen frei sind, macht ja nur Sinn, wenn sie auch etwas davon wissen, wo sie unfrei sind. Also wenn Sie jemanden, der gar keine Schwierigkeiten mit seiner Freiheit hat, ins Gesicht rufen "freigesprochen", dann fragt er sich, ja und, was mag das nun mit meinem Leben anstellen?
Nein, wir müssen etwas davon wissen, an welchen Stellen wir unfrei sind. Und die biblischen Texte wollen uns die Sicht nahelegen, dass wir gerade dann unfrei sind, wenn wir der Auffassung sind, wir selber wären die Herren unseres Lebens und müssten nicht nach dem schauen, dem wir das Leben verdanken, und nach denen schauen, denen wir aus Dankbarkeit dafür, dass es nicht unser eigenes Leben ist, zu einer liebenden Zuwendung verpflichtet sind, also dem berühmten Nächsten.
Und wenn man sich klarmacht, wie stark man daran immer wieder fehlt und wie stark man versagt gegenüber beidem, wie sehr man denkt, ich bin der Herr oder die Frau meines eigenen Lebens und mache alles selbstständig – was ja nicht stimmt, schon heute Morgen bin ich nicht aufgrund meiner eigenen Kräfte aufgewacht –, dann wird deutlich, dass ich jemanden brauche, der mich freispricht von meiner eigenen Schuldgeschichte.
Dietrich: Was kann die Rede vom Kreuz heute bedeuten? Ich sprach mit dem Kirchengeschichtler Christoph Markschies, unter dessen Leitung die Evangelische Kirche in Deutschland einen Grundlagentext dazu erstellt hat: "Für uns gestorben. Die Bedeutung von Leiden und Sterben Jesu Christi".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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