Christoph Marthalers Finale

Männer voller Sehnsüchte

Der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler
Der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler © picture alliance / dpa / Barbara Gindl
Von Michael Laages |
Der Titel des Abends klingt wie ein alberner Scherz: "Isoldes Abendbrot". Doch Christoph Marthaler wird in seinem Intendanz-Finale in Basel seinem eigenen Lebenswerk allemal gerecht. Er folgt eigenen Gesetzen - und der Schönheit der Musik.
Gerade hat der Theater- und Musik-Zauberer Christoph Mathaler einen Ehrenpreis fürs Lebenswerk erhalten: bei der Biennale in Venedig. Am Basler Theater, wo er in den zurückliegenden neun Jahren des Intendanten Christoph Marthaler wieder eine Art guter Hausgeist geworden und geblieben ist, steuert er zu Delnons Abschied einen musikalischen Abend bei, der zuweilen recht intensiv an Marthalers frühe Arbeiten erinnert; gerade weil er nichts will. Nur mit Seele und Geist, Schmerz und Humor der Musik will er auf der Spur bleiben.
Und auch nur der Titel ist ein etwas alberner Scherz – "Isoldes Abendbrot", der Liebestod der Wagner-Heldin also als banale Variante einer munteren Giftmischerin, die etwa zur Hälfte der zwei Stunden zunächst dem Geliebten mit einem letalen Cocktail aus zartem Gift den Garaus macht. Hier müssen gleich drei Herren vom Typ Tristan dran glauben – und auch sie markieren die animierende Fallhöhe, die Marthaler all den schönen großen Tönen beimischt, die den Abend schon deshalb prägen, weil im Zentrum die schwedische Mezzo-Sopranistin Anne Sofie von Otter steht. Sie war am Beginn der Karriere, also zur ersten Basler Marthaler-Zeit im Team von Frank Baumbauer, in Basel fest engagiert; jetzt wird sie diese Musik-Mix Marke Marthaler im Herbst von Basel nach Hamburg tragen, in die Staatsoper.
Liederabend für die große Sängerin
Zuweilen hört sich "Isoldes Abendbrot" sogar so an, als hätte am Beginn der Arbeit die Idee eines Liederabends für die große Sängerin gestanden. Sie greift weit aus ins eigene Repertoire: natürlich zu Wagner und Mahler, Schumann, Bach und Schubert, aber auch zu Erich Wolfgang Korngold, den von Otter besonders pflegt; sowie in ganz andere Fächer. Von Otter kann französisches Chanson, kann Rock, Pop und Jazz – und vor allem kann sie komisch sein, ist völlig von Allüre und Attitüde.
In einer holzvertäfelten Raucher-Bar, vermutlich von Duri Bischoff exakt dem Vorbild aus einem Basler Hotel nachempfunden, ist diese Isolde zunächst die Bar-Maid mit Häubchen; und an der Theke nehmen drei sehr schräge Typen Platz – Raphael Clamer, Ueli Jaeggi und Graham F. Valentine. Verkniffen-verklemmte Typen sind sie allesamt; gierig nach der Frau, aber prinzipiell völlig unfähig, ihr irgendwie nahe zu kommen. Wenn von Otter das Barbara-Chanson "Mon Homme" singt, kreiseln die drei auf der Drehbühne (die nur die Barhocker in Gang setzt) in immer neuen Verkleidungen um sie herum.
Melancholische Utopien
Der Pianist Bendix Dethleffsen (eingesprungen in letzter Minute für Jan Czajowski) begleitet von Otter und den Männer-Chor vom Klavier aus und mit einer quäkenden 70er-Jahre-Heimorgel, die hinter dem künstlichen Kamin in der Drehwand verborgen ist. Und in den schönsten Momenten spielen die grandiosen Typen der Marthaler-Family, wie sie der Musik hinterher hören – Jaeggi etwa, wenn er wie ein Affe auf dem Klavier hockt, und Bendixens Spiel zuschaut.
Die Männer sind voller Sehnsüchte: nach der Frau, dieser Frau (erst mit schwarzem, dann blondem, dann rotem Haar), aber immer wieder auch nach trauter Gemeinsamkeit, nach Heimat, nach Idyllen. Das sind die melancholischen Utopien, die Marthalers preisgekürtes Lebenswerk schon immer und immer wieder durchzogen haben. Im Finale der Basler Intendanz klingt all das noch ein bisschen sentimentaler als sonst, aber auch heiterer – "Isoldes Abendbrot" ist ganz auf der Höhe der Marthaler-Kunst.
Und verzichten kann er gut auf das Genörgel und Genöle, das ihm nachsagt, dass er mittlerweile nichts mehr könne als sich zu wiederholen. Jedes Mal von Neuem folgt die Marthaler-Welt ganz eigenen Gesetzen – und der Schönheit der Musik.
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