Christoph Menke: "Kritik der Rechte"

Ruf nach Revolutionierung der Gleichheit

Barrikadenkämpfe Aufständische Demokraten im März 1848 in Berlin
Barrikadenkämpfe Aufständische Demokraten im März 1848 in Berlin © dpa
Von Hannah Bethke |
Das jeder Mensch individuelle Rechte hat, ist eine Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft. Christoph Menke folgt in seiner "Kritik der Rechte" jedoch Karl Marx, der eine Entpolitisierung der Politik beklagte. Menkes Gedankengänge sind aber nur schwer verständlich.
Wir haben gleiche Rechte. Das ist die Grundlage der liberalen Gesellschaft, die die "bürgerlichen Revolutionen" des 18. Jahrhunderts hervorgebracht haben. Eine gute Sache und unmittelbar einleuchtend, sollte man meinen: die Aufhebung der Ungleichheit, die – in Form ungleicher Rechte – ein Kennzeichen der traditionellen Herrschaft war, zugunsten einer Stärkung der Rechte des Einzelnen, die zur bürgerlichen Gesellschaft gehören. Nicht so für den Frankfurter Philosophen Christoph Menke, der mit Karl Marx darin ein großes Rätsel zu erkennen glaubt.
Die Deklaration der gleichen Rechte sei "der politische Akt der Ermächtigung des unpolitischen Menschen und damit die Selbstentmächtigung der Politik". Die bürgerliche Revolution löse das Rätsel dieser "Politik der Entpolitisierung" dadurch, dass sie "die bürgerliche Gesellschaft von der Politik emanzipiert". Für Menke, der zur "dritten Generation" der Frankfurter Schule zählt, ist das eine unbefriedigende Lösung: Diese Lösung lässt gesellschaftliche Verhältnisse im Bestehenden verharren, anstatt sie zu verändern. Was also tun?
An erster Stelle steht, für jeden Anhänger der Kritischen Theorie selbstverständlich: Kritik. Wir brauchen eine "Kritik der Rechte", fordert Menke, und zwar – auch hierin bleibt er den bekannten Ansätzen der Frankfurter Schule treu – auf dem Weg einer sogenannten negativen Dialektik, die mit einer "ontologischen Genealogie" des Rechts verbunden wird. Die moderne Form des Rechts, so lassen sich die höchst voraussetzungsreichen Abstraktionen von Menke in etwa zusammenfassen, ist das Ergebnis einer Entsittlichung und Verrechtlichung.

Ein Recht, das sein Wesen verfehlt

Das bürgerliche Recht – also das Recht der bürgerlichen Gesellschaft – ist aus dieser Perspektive das "falsche Recht": Es "verfehlt sein Wesen", es ist "antirevolutionär" und positivistisch, was der größte anzunehmende Vorwurf ist, der aus der Perspektive der Kritischen Theorie erhoben werden kann. Wieder einmal erliegt die bürgerliche Gesellschaft und mit ihr der Liberalismus, hier in Form des bürgerlichen Rechts, dem "Mythos des Gegebenen", den es, das wissen wir seit der "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno, zu überwinden gilt. Folgerichtig fordert Menke: Wir brauchen das "wahre" Recht! Wie kommen wir dort hin? Indem wir Rosa Luxemburg lesen: Wahre Kritik, so kann man mit Menke von ihr lernen, arbeitet "an der 'Vertiefung und Zuspitzung' der Gegensätze", wahre Kritik "will die Krise des bürgerlichen Rechts hervortreiben und verschärfen".
Vom wahren Recht ist der Weg nicht mehr weit zur "wahren Demokratie", also zum Kommunismus von Marx, nach dem Gleichheit sich lediglich auf die Gleichheit der Teilnahme bezieht und ohne Rechte gedacht werden kann. Menke stellt jedoch auch in der kommunistischen Revolution einen Mangel fest: Genau wie die bürgerliche Revolution komme sie nicht über den begrifflichen Gegensatz von Herr und Knecht hinaus. Deshalb bedürfe es einer neuen "Revolution der Gleichheit", die diesen Unterschied überwindet. Vorreiter der neuen Revolution ist bei Menke der "aufständische Sklave", der die Passivität der bürgerlichen Revolution und die Aktivität der kommunistischen Revolution verbindet. Auf diesem Weg werde das Rätsel der bürgerlichen Revolution gelöst: Das neue Recht wolle als Gegenrecht "die Macht zur politischen Durchdringung und Revolutionierung des Nichtpolitischen". Die Gewalt des neuen Rechts – und hier scheut Menke sich nicht, Lenin zu zitieren – löse sich mit ihrer Ausübung sofort auf; sie sei "die Gewalt der Befreiung".

Zu wenig für eine Revolution

Die für Außenstehende nur schwer verständlichen Gedankengänge Menkes mögen für Anhänger seines Theorieprogramms eine gewisse Faszination ausüben, werfen jedoch auch dann Fragen auf, wenn man bereit ist, sich auf diese Art des rein selbstbezogenen Diskurses einzulassen.
Das hängt vor allem mit der fehlenden Konkretion seiner Darlegungen zusammen. Dadurch bleibt vollkommen unklar, was eigentlich das Problem für Menke ist. Was ist der Anlass für seine "Kritik der Rechte"? Was ist so schlecht am Bestehenden? Was hat er überhaupt im Sinn, wenn er vom "Bestehenden" spricht? Geht es immer noch – in der Tradition von Adorno und Horkheimer – um die Überwindung des Kapitalismus? Wenn es so ist: Wie kann eine Kritik der Rechte das ändern? Wovon soll uns das neue Recht befreien? Und schließlich: Von wem soll die proklamierte "neue Revolution der Gleichheit" ausgehen? Mit einer derart abstrakten Theorie, wie sie Menke entfaltet, lässt sich jedenfalls ganz sicher keine Revolution machen.

Christoph Menke: Kritik der Rechte
Suhrkamp: Berlin 2015
486 Seiten, 29,95 Euro

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