Christoph Ransmayr: "Cox. Oder: Der Lauf der Zeit""
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016
304 Seiten, 22,00 Euro
Von der Vermessung der Ewigkeit
Zeit ist das Grundmotiv in Christoph Ransmayrs Roman "Cox". Der spielt im 18. Jahrhundert, erzählt vom Uhrmacher Alister Cox, der vom chinesischen Kaiser den Auftrag erhält, eine Uhr zu entwickeln, die die Ewigkeit misst. Eine Parabel über Leben und Tod, Zeit und Ewigkeit.
Christoph Ransmayr schreibt nicht alle Jahre einen Roman. In Ruhe gereift, edel und erlesen - das scheinen die Kriterien seiner eigenen Qualitätsprüfung zu sein. Zehn Jahre nach "Der fliegende Berg" und 19 Jahre nach "Morbus Kitahara" ist nun wieder ein vollgültiger Roman des 1954 geborenen Schriftstellers zu lesen.
Ferne, exotische Schauplätze, extreme Erfahrungen von Schmerz und Erleuchtung an den Rändern der Welt - davon handeln seine Bücher, und das gilt auch für "Cox. Oder: Der Lauf der Zeit". Der Roman spielt im 18. Jahrhundert und erzählt von dem genialen Uhrmacher und Automatenbauer Alister Cox, dessen reales Vorbild der Engländer James Cox (1723-1800) ist. Die eigentliche Handlung jedoch ist fiktiv.
Geschliffene Prosa, wohlstrukturierte Kapitel
Eines Tages bekommt Cox eine Einladung vom chinesischen Kaiser Quianlong. Er reist mit einigen Mitarbeitern nach Peking, erhält Zutritt zur Verbotenen Stadt und beginnt dort, hochkomplexe Uhren und Automatenkunstwerke im Auftrag des Kaisers zu bauen.
Die erste Hälfte des Romans liest sich großartig. Ransmayrs geschliffene Prosa, seine wohlstrukturierten Kapitel - das hat selbst etwas von einem perfekt abschnurrenden Uhrwerk. Passend dazu erinnert auch die Welt des chinesischen Kaiserhofes mit ihren Zeremonien und Hierarchien an eine Spieluhrwelt: "Zifferblattpanoramen, wohin Cox auch sah." Es ist eine abgezirkelte Kultur der Befriedung und Beschaulichkeit, die umso effektvoller kontrastiert mit Beschreibungen der rituellen Grausamkeit und einer archaischen Willkür der Macht. Perfide Folterstrafen können bei der kleinsten Verfehlung jeden ereilen; ein falscher Blick zieht die Blendung mit der "Gafferschere" nach sich. Über allem schönen Schein lastet die Angst.
Das Leben lässt sich nicht berechnen
Auch in der Existenz des Alister Cox liegt ein quälender Widerspruch. Er mag die subtilsten Automaten ersinnen, das Leben aber lässt sich nicht berechnen und automatisieren: Seine Tochter Abigail ist früh an einer Krankheit gestorben und seine Frau Faye seitdem verstummt. So bekommt das kleine Bauteil des Gangreglers in der Mechanik einer Uhr eine große metaphorische Bedeutung: die "Unruh".
Zeit ist Grundmotiv in den Werken Ransmayrs. Die Uhren, die Cox für den Kaiser baut, sollen verschiedene Zeiterfahrungen vermitteln: die des Kindes, des Glücklichen, des zum Tode Verurteilten. Schließlich geht es um die Zeit jenseits der Zeit. Cox bekommt den Auftrag, eine Uhr zu bauen, die die Ewigkeit misst. Das geht nur, indem zugleich ein Uhrwerk als Perpetuum mobile erfunden wird. Langsam begreift Cox, dass er mit diesem heiklen Projekt seine eigene Endlichkeit zu beschleunigen droht. Er zieht Anschuldigungen und Hass auf sich und muss einen Weg finden, den Auftrag gleichzeitig zu erfüllen und nicht zu erfüllen.
Die zweite Hälfte des Romans wirkt im Vergleich mit der ersten abstrakter, blasser, denkspielhafter. Sie läuft auf eine hochbedeutsame kurze Begegnung mit dem Kaiser und seiner Lieblingsgeliebten hinaus, einen symbolischen Augenblick - und der Ransmayr-Ton mit seiner auktorialen Erhabenheit droht dabei ein paar Seiten lang ins Esoterische abzurutschen. Von dem schwächelnden Finale abgesehen ist "Cox" eine große Parabel über Leben und Tod, Zeit und Ewigkeit.