Christoph Ribbat: "Im Restaurant"

Mit dem Kochtopf durch die Zeitgeschichte

Restaurantküche
Das Restaurant als Mikrokosmos © imago / Sommer
Von Manuela Reichart |
Vom Gourmet-Tempel bis zur Fast-Food-Hölle: Der Kulturwissenschaftler Christoph Ribbat hat nichts weniger als die 250 Jahre alte Weltgeschichte des Restaurants verfasst. Ein spannendes Leseerlebnis!
Die ersten Restaurantbesucher saßen an fein gedeckten Tischen mit Leinenservietten, während die Pariser Bevölkerung hungerte. Der erste gastronomische Führer, später durch seine Sterne berühmt, erscheint 1900, im gleichen Jahr bietet ein indisches Restaurant in London erstmalig einen Lieferservice an. Und "im Berlin dieser Zeit breiten sich 'Aschingers Bierquellen' aus: Dutzende Schnellrestaurants, in der ganzen Stadt verteilt (…). Der Zentralbetrieb der Firma stellt die Speisen industriell her: zwei Millionen Paar Bierwürste schon im Jahr 1904."
Im New York des Jahres 1918 "zählt ein Experte 50 verschiedene Typen von Lokalitäten". 15 Jahre später setzt man im nationalsozialistischen Deutschland auf die Germanisierung der Küche, also vor allem auf regionale und jahreszeitliche Küche. Weder die aktuellen Vorlieben noch die Fastfood-Unarten sind also besonders originell.
Mitgerissen von der Fülle der Quellen
Christoph Ribbat mustert in diesem für den Leipziger Buchpreis nominierten Band Speise-Zeiten und Nahrungsorte, besucht teure Restaurants und billige Burgerläden. Man wird mitgerissen von der Fülle der Quellen und ist gebannt von all den Geschichten aus Küche und Gastraum, fühlt sich bisweilen aber auch wie an einem zu reich gedeckten Tisch.
Es geht um Teilhabe und Ausgrenzung, um einen Mikrokosmos, mit dem Gesellschafts- und Arbeitsgeschichte erzählt wird. Der Autor ist nicht in erster Linie an Analyse, vielmehr an der Ausbreitung vielfältigen Materials interessiert. Er fragt nach den Schnurrbärten der Köche wie den Lebenserinnerungen des Kritikers Wolfram Siebeck, beschreibt kenntnisreich die erste deutsche Pizzeria 1952 und das einzige japanische Restaurant der DDR.
Eckart Witzigmann wird ebenso kundig gewürdigt wie die Molekular- und die techno-emotionale Küche von Ferran Adrià. Eindrucksvoll und erhellend widmet sich Ribbat dem Rassismus an Restauranttheken im amerikanischen Süden der 1960er-Jahre und vor allem der Lage des schlecht bezahlten Personals:
"Nur von jedem fünften Job in der amerikanischen Gastronomie kann man tatsächlich leben."
Als Soziologin undercover im Gastgewerbe
Die Studien einer vergessenen amerikanischen Soziologin, die in Chicago 1917 undercover als Kellnerin arbeitete, sind eine spannende Quelle für die Ausbeutung und Ungleichheit im Restaurantgewerbe und zeugen von den Anfängen der später "weltbekannten Chicago School of Sociology". Nicht zuletzt in dieser Tradition bewegt sich diese Gesellschaftsgeschichte der besonderen Art.
Im Mikrokosmos Restaurant lassen sich nicht nur historische, auch aktuelle gesellschaftliche Tendenzen ablesen. Ribbat folgt der These des amerikanischen Soziologen Georg Ritzer von der "McDonaldisierung" der Gegenwart, führt den Begriff des Gastro-Denkers ein und beschreibt den Großstadtmenschen, der im Dienstleistungsbetrieb des 21. Jahrhunderts ständig die Rolle des effizienten und lächelnden Kellners zu spielen hat.
Eine lohnende, erlebnissatte, manchmal ein wenig zu opulent geratene Genussreise, bei der sich der Verfasser auf die "Kraft der Geschichten und die Effekte der Montage" verlässt.
Nach der Lektüre dieses gut geschriebenen Buchs wird der nächste Restaurantbesuch jedenfalls zu einem Erlebnis.

Christoph Ribbat: Im Restaurant – Eine Geschichte aus dem bauch der Moderne
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
228 Seiten, 19,95 Euro

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