Lange wurde darum gerungen, nun soll es noch dieses Jahr ausgesetzt werden. Wenn der Widerstand gegen das Lieferkettengesetz Erfolg hat, kehrt in den Einkaufsabteilungen zunächst wieder der gewohnte Zustand ein: Was die Lieferanten treiben, ob sie Umweltschutzauflagen ignorieren oder Gewerkschaften bekämpfen, das muss die Unternehmen nicht wirklich interessieren.
Da kommt der Sammelband „Arbeit in der Lieferkette“ zur rechten Zeit, um eine aktuelle und wichtige Diskussion mit Fakten anzureichern. Im Rahmen einer internationalen Untersuchung und am Beispiel von Bananen zeigt das Buch, wie es um die Arbeitsverhältnisse im Transportsektor steht. Die Herausgeber Christoph Scherrer und Ismail Karatepe betonen die Verantwortung der Endabnehmer:
„Insbesondere deutsche Supermärkte müssen nicht weit suchen, um auf Missstände im Bereich der menschenwürdigen Arbeit entlang der Bananenlieferkette zu stoßen. […] Der Preis für ein Kilogramm Bananen, das in deutschen Supermärkten aus Kolumbien und Costa Rica stammt, ist günstiger als der Preis eines jeden in Deutschland produzierten Apfels. Dies klingt etwas seltsam, wenn man bedenkt, dass bei jedem Schritt des Bananentransports Kosten anfallen und Steuern erhoben werden.“
Wichtige Arbeit, schlechte Bedingungen
Die Arbeit der Hafenarbeiter und Seeleute hält solche internationalen Lieferketten in Gang. Dass sie für den Weltmarkthandel eine unverzichtbare Rolle spielt, überträgt sich allerdings keineswegs unbedingt in gute Löhne und Arbeitsbedingungen. Selbst medizinische Versorgung und sauberes Trinkwasser oder das Recht auf einen Landgang sind für viele Seeleute nicht selbstverständlich.
Die Ökonomen und Politikwissenschaftler aus Europa, Mittel- und Südamerika, die in diesem Band vertreten sind, stellen zwei wesentliche Entwicklungen heraus: Einerseits die gestiegene Produktivität der Transportarbeit, andererseits eine abnehmende Sicherheit und Qualität der Beschäftigungsverhältnisse.
Weniger Beschäftigte transportieren immer mehr Waren
Den Beginn dieser Entwicklung datieren die Herausgeber auf die 1980er Jahre: „Seitdem hat sich die Arbeit in den Häfen durch die Containerisierung, die Digitalisierung, die Automatisierung und immer größere Frachtschiffe stark verändert. Die durch diese Faktoren bedingte höhere Arbeitsproduktivität hat in den meisten Häfen zu einem Rückgang der Beschäftigung geführt, obwohl das Umschlagsvolumen rapide gestiegen ist.“
Weniger Beschäftigte transportieren demnach immer mehr Waren. Heute ruhe der Welthandel für acht Milliarden Menschen auf den Schultern von gerade einmal 1,9 Millionen Seeleuten. Im Fall der Bananen führe die Lieferkette nach Deutschland von mittelamerikanischen Plantagen über kolumbianische Häfen beispielsweise nach Hamburg. Sie umspanne also die halbe Erdkugel und damit auch sehr verschiedene Arbeitswelten.
Angst und Kontrolle
Die Anbaugebiete sind, wie der Beitrag von Castaño Ramirez und Kolleginnen verdeutlicht, gekennzeichnet von extremer Armut und Bürgerkrieg. Erst 2006 konnte die Gewalt einigermaßen eingedämmt werden.
„In der Bananenexportlogistik beeinträchtigen Unternehmen, die von ehemaligen Paramilitärs geführt werden, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und behindern die gewerkschaftliche Organisierung durch Angst und Kontrolle.“
Die Logistik-Unternehmen in der Region transportierten auch Drogen, führen die Autoren aus. So gerieten die Transportarbeiter buchstäblich ins Schussfeld. Eher nebenbei berichten sie, wie bei einer Gewerkschaftsveranstaltung bekannte Bürgerkriegskämpfer auftauchten, um die Besucher einzuschüchtern.
Schwierige Recherche
Die Recherche für dieses Buch gestaltete sich schwierig. Obwohl das Forschungsprojekt, dem die Veröffentlichung zugrunde liegt, vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert wurde, erlaubte keine einzige Reederei den Besuch ihrer Schiffe.
Die Autoren schildern, wie mühsam oder manchmal unmöglich es ist, Informationen zu beschaffen: In Mittelamerika hätten Transportarbeiter Angst, Fragebögen auszufüllen. Ein Hafen liege in einer Freihandelszone, wo sogar statistische Daten über Arbeitszeiten oder Warenmengen vertraulich behandelt werden. Und in der liberalisierten Hochseeschifffahrt lasse sich oft nicht einmal der wirkliche Eigentümer eines Schiffes dingfest machen – die oft miserablen Arbeitsbedingungen sind also Teil eines Systems, in dem Verantwortung unkenntlich gemacht wird.
„Arbeit in der Lieferkette“ ist der akademische Hintergrund anzumerken. Oft zählen die Autoren Daten und Fakten eher auf, statt sie zu Thesen zu verdichten. Aber wer die Geduld für eine streckenweise ziemlich trockene Lektüre aufbringt, wird mit interessanten Einblicken und wichtigen Einsichten über die Arbeitswirklichkeit der weltweiten Logistik belohnt.