Christoph Zuschlag: „Einführung in die Provenienzforschung“

Die ewige Zirkulation der Objekte

06:40 Minuten
Cover des Buchs "Einführung in die Provenienzforschung von Christoph Zuschlag
© C.H. Beck Verlag

Christoph Zuschlag

Einführung in die Provenienzforschung. Wie die Herkunft von Kulturgut entschlüsselt wirdC.H. Beck, München 2022

238 Seiten

28,00 Euro

Von Ingo Arend |
Audio herunterladen
Ob NS-Raubkunst oder Rückführung afrikanischer Kulturgüter: Seit einigen Jahren ist die Provenienzforschung in aller Munde. Der Bonner Kunsthistoriker Christoph Zuschlag hat die erste Einführung in diese Disziplin vorgelegt.
Spätestens seit dem Kunstfund in der Schwabinger Wohnung des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt im Jahr 2012 war plötzlich ein Wort in aller Munde: die Provenienzforschung. Galt es doch herauszufinden, ob und wie viele der 1280 überraschend entdeckten Kunstwerke der Klassischen Moderne womöglich zur NS-Raubkunst gehörten.
Inzwischen ist die Teildisziplin der Geschichte zu einem Zauberwort der Debatten um Raubkunst oder die Restitution afrikanischer Kulturgüter avanciert. Im Frühjahr 2018 fand der Begriff gar Eingang in den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD. Wie mühselig und kleinteilig diese Arbeit in der Realität tatsächlich ist, beschreibt jetzt der Bonner Kunsthistoriker Christoph Zuschlag in einem gerafften Überblick über das Fach.  

Informative, allgemein verständliche Einführung

Zuschlag lässt die Entstehung der Disziplin Revue passieren: von der „legendarischen Provenienz“ der Vorzeit bis zu der systematischen Kulturwissenschaft, wie sie heute gehandhabt wird. Er erklärt Begriffe wie Translokation, Kulturgut oder  Objektidentität. Und stellt Recherchemittel wie Inventare, Stempel und Spolien vor. Er erläutert die rechtlichen Rahmenbedingungen, verweist auf Datenbanken wie den Getty Provenance Index oder die Internet-Datenbank Lost Art im Magdeburger Zentrum für Kulturgutverluste und führt in die „Unrechtskontexte“ der NS- und der Kolonialzeit ein.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Provenienzforschung untersucht, so Zuschlag, keineswegs nur die bildende Kunst, sondern auch Reliquien oder Bauwerke. Und vom Raub der Heidelberger Renaissance-Bibliothek Palatina durch Papst Gregor 1622 über Napoleon bis Hitler war auch der Bücher- und Bibliotheksraub jahrhundertelang gängige Praxis.
Zuschlags Band ist eine informative, niemals spezialistische, sondern allgemein verständliche Einführung, die gelesen haben sollte, wer bei dem Thema mitreden will. Eine Metaebene erreicht der Wissenschaftler, wenn er die begehrten Objekten zugeschriebene „Handlungsmacht“ als Grund für deren unablässige Zirkulation erwähnt, die dann die Provenienzrecherche provoziert.

"Historische Traumata lindern"

So sehr Zuschlag eine Lanze für seine Zunft bricht, so sehr warnt er vor der Vorstellung, die Provenienzforschung könnte historisches Unrecht heilen: „Keine Restitution“, so Zuschlag, „kann die Opfer des Holocaust wieder zum Leben erwecken, keine Restitution kann die Verbrechen während der Kolonialzeit ungeschehen machen“. Sie könne „allenfalls nachträglich ein Mindestmaß an Gerechtigkeit schaffen und historische Traumata lindern“.
Ob es eine „Wende hin zur Provenienz als neuem Paradigma in den Kultur- und Geisteswissenschaften (provenancial turn)“ geben wird, wie Zuschlag glaubt, wird sich zeigen. Recht hat der Wissenschaftler mit seiner These jedenfalls in dem Sinne, dass ihre aktuelle Konjunktur eine neue Phase gesteigerter kollektiver Selbstaufklärung spiegelt. In ihr werden die materiellen Zeugnisse unserer historischen Existenz noch wichtiger.
Mehr zum Thema