Christopher Ricke (Jahrgang 1962) liebt und lebt Radio. Er ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und alleinerziehender Familienvater. Seine lange geplante Motorradtour durch Indien hat er nach seiner Krebsdiagnose abgesagt, stattdessen macht er nun flache Scherze über die „Radiotherapie“, der er sich unterziehen muss und die Gewichtsabnahme, die er den Operationen verdankt.
Krebs und das Gesundheitswesen
Die Situation in den Kliniken könnte sich erneut zuspitzen. © imago images/Addictive Stock / Gabriel Trujillo
Machen ist wie wollen, nur krasser
Christopher Ricke ist schwer an Krebs erkrankt. Und doch hat er in letzter Zeit viel Positives erlebt: Mitarbeitende im Gesundheitswesen mit großem Engagement und zupackender Hilfsbereitschaft. Von ihnen könnte die ganze Gesellschaft lernen, sagt er.
Eigentlich müssten die...
Ja. aber...
Dafür bin ich leider nicht zuständig...
Das sind Aussagen, die töten können. Im großen Maßstab, weil so niemand Corona besiegt oder das Klima rettet, im kleinen Maßstab: mich.
Ja. aber...
Dafür bin ich leider nicht zuständig...
Das sind Aussagen, die töten können. Im großen Maßstab, weil so niemand Corona besiegt oder das Klima rettet, im kleinen Maßstab: mich.
Das ist eine, meine Geschichte. Über einen hässlichen Krebs, über Angst, Verzweiflung, aber auch über Hoffnung und vor allem über Menschen, die sagen: „Yes, we can“ oder „Wir schaffen das“. Die einfach machen. Weil sie wissen: Machen ist wie wollen. Nur viel krasser.
"Sie können sich jederzeit bei mir melden"
Ich fand diese Menschen im Krankenhaus. Wo der Arzt sagt: „Ich schreibe dem weiterbehandelnden Kollegen mal eine Mail und kündige Sie an. Er und Sie können sich jederzeit bei mir melden“. Ich hatte übrigens nicht den Eindruck, dass der Mann zu viel Zeit hatte, sondern ein gesuchter Spezialist ist.
Oder die Ärztinnen in der nächsten Klinik, die die Idee hatten, mich am Wochenende sowohl morgens um acht als auch abends um sechs zu zweit zu visitieren. Das sind die Zeiten der Dienstübergabe. Die eine arbeitet 8 bis 18 Uhr, die andere 18 bis 8. Das sind heftige Schichten und trotzdem ist die eine etwas früher gekommen und die andere etwas später gegangen. Nur damit sie sich gemeinsam um mich kümmern können. Damit keine Information verloren geht.
Kein Hin- und Herschieben von Zuständigkeiten
Das kenne ich auch anders. Außerhalb der Klinik, in den gesellschaftlichen Debatten über alles Mögliche, da heißt es so oft: Erst mal prüfen, ob man überhaupt zuständig ist. Dann prüfen, ob man überhaupt handeln darf. Nicht zu vergessen: schauen, wer sonst noch zuständig sein könnte. Am besten macht man erst mal nichts, dann macht man auch keine Fehler. Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd and’re an.
Es schüttelt mich, wenn die eine Gewerkschaft meint, die Einhaltung von Corona-Regeln in Bussen und Bahnen müssten Behörden durchsetzen, nicht die eigenen Mitarbeiter. Und dann die Reaktion der Gewerkschaftskollegen bei der Polizei: Das sei nicht realistisch. Ping-Pong.
Und es beutelt mich, wenn mir mal wieder einer erklärt, solange China und die USA nicht mehr zum Klimaschutz betrügen, sei Verzicht bei uns sinnlos. Pong-Ping.
Alles muss ganz schnell gehen - und es geht
Die Spieler dieses irrsinnigen Hin- und Hers sind leicht zu erkennen. Auf ihren Trikots steht: „eigentlich“; „Ja, aber“ oder „zuständig sind die anderen“. Wären sie organisiert, hätte ihr Team wahrscheinlich mehr Mitglieder als Gewerkschaften und Kirchen zusammen.
Dabei geht es anders. Noch ein Beispiel aus meiner Krebsgeschichte. Nach den Operationen kommt die Bestrahlung. Besser schnell, weil zögern das Risiko steigert. Die Ärztin spricht mit einer Kollegin in der Strahlenklinik. Alles geht fix. Termine stehen. Jetzt muss eine Strahlenschutzschiene für die Zähne her, damit nicht nur der Patient überlebt, sondern auch sein Gebiss. Bitte her mit dieser speziell für mich angefertigten Schiene. Und bitte schnell.
Einfach mal den Dienstweg verlassen
Anruf bei der kleinen Zahnarzt-Praxis, die ich seit Jahrzehnten besuche. Erstaunlicherweise bekomme ich, nachdem ich meine Geschichte erzählt habe, sofort einen Termin. Das allein ist ungewöhnlich. Denn die Praxis ist eigentlich gut gebucht. Noch eine Merkwürdigkeit: Die Uhrzeit. Da ist doch sonst immer Mittagspause! Während mir die Ärztin Zahnabdrücke nimmt, weist die Arzthelferin darauf hin, dass die Krankenkasse bei einem Detail eigentlich erst zustimmen müsste und der Zahntechniker ausgelastet ist.
Dann ist da wieder so ein Moment: Das mit der Kasse will die Ärztin später klären. Den Zahntechniker ruft sie selber an und macht Druck. Der Dienstweg wird verlassen, die Regeln außer Kraft gesetzt, es wird gehandelt. Die Strahlenschutzschiene ist rechtzeitig da.
Also: Was ist da passiert? Menschen haben gefragt: Was kann ich tun? Und dann haben sie es getan.
Also: Was ist da passiert? Menschen haben gefragt: Was kann ich tun? Und dann haben sie es getan.
Nicht viel reden, sondern handeln
Ich neige wirklich nicht zu sentimentalen Gefühlsausbrüchen. Aber ich hatte mehrfach Tränen in den Augen und einen Kloß im Hals, als ich erleben durfte, wie sich Menschen für mich einsetzen. Die nicht „eigentlich“ und „ja aber“ sagen; die nicht erklären, dass man etwas tun müsste, sondern es einfach tun. Und zwar sofort. Machen ist wie wollen. Nur viel krasser.