Christos "Floating Piers" in Italien

Das Unmögliche möglich machen

Oranger Stoff liegt über dem künstlichen Steg zwischen Sulzano und Pesciera am 16. Juni 2016.
Vorbereitung: Oranger Stoff liegt über dem künstlichen Steg zwischen Sulzano und Pesciera am 16. Juni 2016. © dpa / picture alliance / Michael Kappeler
Von Thomas Migge |
Ein vollkommen unnützes Kunstwerk, ohne Existenzberechtigung - so beschreibt Christo sein erstes Landschaftskunstwerk. Es soll einigen hunderttausend Besuchern ermöglichen, mithilfe von schwimmenden Stegen über den Iseosee in Norditalien zu gehen.
Ganze 600 Arbeiter installierten in nur fünf Tagen das neue Kunstwerk von Christo. Wieder einmal ein gigantisches Landschaftsprojekt: drei Kilometer lang und 16 Meter breit. Der Bulgare überwachte die Realisierung höchstpersönlich, in Regenjacke und Gummistiefeln - von einem Motorboot aus, auf dem er über seine "Floating Piers", seine schwimmenden Stege, so der Titel des Kunstwerks, philosophierte:
Für Christo ist ein vollkommen unnützes Kunstwerk. Ohne Existenzberechtigung. Die Welt könne auch gut ohne dieses Werk existieren. Das sei nichts.
Christo in seinem Atelier in New York: Er steht vor einem Bild, das sein Projekt "Floating Piers" zeigt.
Christo in seinem Atelier in New York: Er steht vor einem Bild, das sein Projekt "Floating Piers" zeigt.© picture alliance / dpa
Pures Understatement, aber typisch für den Künstler - der das Gespräch auf dem Motorboot immer wieder unterbrach, um den Tauchern genaue Anweisungen zu geben, wie die rund 200 Tausend Polyäthylenwürfel, aus denen die Stege auf dem Wasser zusammengesetzt werden, am Seegrund mit Ankern befestigt werden müssen.
Die Stege sind mit changierendem Stoff bezogen, der je nach Lichteinfall, Tageslicht und Feuchtigkeit golden, rot und gelb schillert. Sie verlaufen schnurgerade über den malerischen Iseosee, von der Uferortschaft Sulzano zu den Inseln Monte Isola und San Paolo.

Christo liebt die Ungewissheit

Es ist das erste Landschaftskunstwerk Christos, das er ohne seine 2009 verstorbene Frau und Kunstpartnerin Jeanne-Claude fertig stellt. Beide hatten das Projekt gemeinsam erdacht, schon vor 15 Jahren, als Realisierung eines gemeinsamen Traums. Des Traums auf dem Wasser zu gehen, das Unmögliche möglich zu machen.
Über das wankende Kunstwerk werden, so Hochrechnungen, einige hunderttausend Besucher laufen – wenn das Wetter mitspielt, denn ungewiss ist, wie sich die Stege bei Wellengang verhalten werden.
Christo liebt diese Ungewissheit. Er liebt, erklärt er, das Ungewisse und Nichtvoraussehbare der Elemente:
Er verstehe nichts von Computern und wolle die realen Dinge, das Wasser spüren, die Stege, die Luft, den Wind, die Furcht über die Stege zu gehen. Er hasse alles Virtuelle und hundertprozentig Voraussehbare. Dieses Projekt hat für Christo mit irgendeiner virtuellen Realität zu tun.

Das Geld ist immer vorher in der Kasse

"Floating Piers" war eigentlich für den Rio de la Plata und dann für die Bucht von Tokio geplant. Doch Realität wurde das Projekt in Norditalien. Mit einer für Italien unglaublichen Schnelligkeit gaben die zuständigen Behörden in kürzester Zeit die Genehmigung für die Wasserstege.
Für die 15 Millionen Euro Projektkosten brauchten die Politiker nicht aufzukommen. Wie schon bei anderen Christoinstallationen finanzierte sich auch dieses Projekt durch den Verkauf der Rechte an Fotos, Skizzen, Plänen etc., schon lange bevor das neue Kunstwerk Realität wurde - denn, erklärt Christo, bevor es bei ihm losgehe, müsse das Geld in der Kasse sein:
Für Christo ist es unvorstellbar, zu unseren Mitarbeitern sagen zu müssen, dass er sie nicht weiter bezahlen könne, weil Mister Smith oder wer auch immer, das entsprechende Geld noch nicht überwiesen habe.
Wie Christos vorherige Projekte lässt auch dieses Mega-Landschaftskunstwerk am besten aus der Luft, von einem Hubschrauber aus, in seiner ganzen Größe und poetischen Aussagekraft erfassen. Aus der Luft wird auch am besten deutlich, dass es Christo bei den "Floating Piers" weniger um das Schaffen von etwas Neuem geht - die Stege sind für ihn nur ein Mittel zum Zweck.

Bisher nur ein touristischer Geheimtipp

Ihm geht es um das Hinzufügen eines künstlichen, vom Menschen geschaffenen Elementes, um auf diese Weise etwas natürlich Bestehendes hervorzugehen: im Fall des neuen Projekts sind das ein See und die ihn umgebende Landschaft.
Dieses Hervorheben hat im Fall des Iseosees einen ungemein positiven Effekt: der kleine und eher wenig besuchte Nachbar des schicken Comer und des vor allem von deutschen Urlaubern besuchten Gardasees, bisher nur ein touristischer Geheimtipp, ist dank Christos "Floating Piers" jetzt international in aller Munde. Sämtliche Hotels sind ausgebucht – zum ersten Mal seit Jahren!
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