Chronik der Loveparade

Aus Friede und Freude wurden Tod und Trauer

Rückblick: Der Berliner Kurfürstendamm verwandelte sich am 2. Juli 1994 in die längste Disco der Welt. "Friede, Freude, Eierkuchen" lautete das Motto der Love Parade '94.
Rückblick: Der Berliner Kurfürstendamm verwandelte sich am 2. Juli 1994 in die längste Disco der Welt. "Friede, Freude, Eierkuchen" lautete das Motto der Love Parade '94. © picture alliance / ZB / Hubert Link
Von Martin Risel |
Fast im Verborgenen wurde die erste Loveparade 1989 als Fest der Liebe gefeiert. Später kamen Millionen Teilnehmer. Die Loveparade wurde zur Marke, ein Unternehmer kaufte sie. Dann kam die Katastrophe.
Jaja, diese verrückten Raver wussten oftmals gar nicht, dass die ursprüngliche Idee zur Loveparade durchaus politisch-gesellschaftliche Dimensionen hatte. Etwa als neue Gegentradition zu den früheren Militärparaden auf Berlins Straßen.

Programmtipps für 24.7.2015:
Studio 9 - 12:23 Uhr - Claudia van Laak über den "Zug der Liebe"
Tonart - 15:30 Uhr - Lehren aus der Tragödie von Duisburg

Und so wollten im Juli 1989 ein paar Party-Aktivisten auf dem Kudamm öffentlich tanzen und Liebe propagieren. Unter dem halbwegs ernst gemeinten Motto "Friede Freude Eierkuchen" - Friede für Abrüstung, Freude als Mittel zur Völkerverständigung und Eierkuchen für eine gerechte Verteilung der Nahrungsmittel auf der Welt.
150 Freunde des Veranstaltungskomitees kamen – und wurden mehr als Spinner belächelt, denn als Pioniere bestaunt. Unter ihnen der junge DJ Kid Paul:
"Das war 16 Uhr am Wittenbergplatz und ich weiß noch, dass wir uns dann noch schnell Trillerpfeifen besorgt haben im Europacenter. Und dann ging’s auch schon los."
Video-O-Ton Dr. Motte
Ein seltenes historisches Ton-Dokument – die wenigen Kundgebungsworte samt Musikfetzen sind einzig dokumentiert auf diesem privaten Videomitschnitt. Zu hören war Loveparade-Erfinder Dr. Motte.
Love Parade 1989 am Kudamm wurde kaum wahrgenommen
Im Einkaufs-Getümmel der Großstadt wurde kaum wahrgenommen, dass sich mit dieser neuartigen Mischung aus Demonstration, Karneval und Happening die deutsche Gesellschaft verändern würde.
Sprecher der Loveparade war später DJ Disko:
"Was ich immer schön fand: Dass nie jemand ausgeschlossen wird. Also das ist ne ganz offene Veranstaltung, wo die Leute so viel einbringen können wie sie möchten. Und das fand ich immer schön - und wenn man dann sieht, dass es jedes Jahr mehr werden und auch die Begeisterung immer noch da ist, dann muss das offensichtlich ein gutes Konzept sein."
Die Teilnehmerzahlen explodierten schnell bis über anderthalb Millionen. Genau so schnell blühten die Utopien, nicht nur beim langjährigen Loveparade-Veranstalter Ralf Regitz:
"Wenn sich die Besucherzahlen weiter so entwickeln, dann tanzt spätestens im Jahre 2005 der gesamte Planet."
Techno wurde ein Massen- und Mainstream-Phänomen
Neben der politisch-gesellschaftlichen Dimension gab es natürlich auch eine musikalische. Während Techno zu Beginn noch als stumpfes Bum-Bum von vielen abgelehnt wurde, wurden Musik und damit einhergehende DJ-Kultur bis Mitte der 90er zum Phänomen für Massen und Mainstream. Und einer wie Paul van Dyk zum deutschen Weltstar.
"Also selbst so althergebrachte Rock’n’Roller wie die Rolling Stones benutzen inzwischen DJs, um ihre Sachen zu remixen. Und es ist ja schon so, dass diese Musik alle Formen des normalen Poplebens irgendwie so infiltriert hat."
Um diese Techno-Entwicklung vom Underground zum Mainstream geht es in Karsten Wolfs Buch "Berlin Underground".
Karsten Wolf: "Ganz große Teile der Technobewegung sind Mainstream geworden und der Mythos ist die Entstehungsgeschichte, der Spirit von '91, als es nur EINE Techno-Szene gab, die sich gegen alles andere angegrenzt hat. Und nicht viele Technoszenen, die sich untereinander abgrenzen, um sowas wie 'ne kulturelle Identität zu erfahren."
Seine politische Identität bekam die Loveparade regelmäßig bei den Demonstrations-Ansprachen von Dr. Motte:
"Mit Kriegen löst man keine Probleme. Die Alternative kann nur heißen: Liebe und Respekt, Verständigung und Geduld. Love rules!"
Und als dann Ende der 90er nur noch die gewachsenen Müllberge und Kommerzialisierungs-Tendenzen im Fokus standen, da war das Ende absehbar.
Dr. Motte: "Ich muss da leider feststellen, dass eigentlich in Berlin niemand die Love Parade wirklich haben will. Man beschwert sich, man kriegt nicht wirklich Unterstützung, die Szene ist dagegen. Das enttäuscht mich ein bisschen."
Ein Fitness-Unternehmer kauft 2006 die Love Parade
2006 dann der Bruch: Rainer Schaller, Betreiber einer Fitnesskette, kaufte die Rechte an der Loveparade.
Rainer Schaller: "Drei Millionen kostet die ganze Veranstaltung. Und McFit als Hauptsponsor wird zwei Millionen dazu beitragen. Das hat natürlich auch 'nen Gegenwert. Denn wir möchten den Namen international bekannt machen."
Die Folgen sind bekannt: Veranstalter sowie Politik und Behörden in Duisburg waren dem Massenevent nicht gewachsen. Es kam zur Massenpanik: 21 Menschen wurden getötet, über 500 verletzt.
Die Katastrophe von 2010 ist juristisch noch immer nicht aufgearbeitet. Und die Entwicklung der ursprünglichen Loveparade-Idee wird von den Teilnehmern der ersten Stunde unterschiedlich interpretiert:
Kid Paul: "Es wurde ja dann immer mehr zu 'ner Jugendbewegung mit anderen Werten. Ich sehe das auch, dass das Leute als Volksfest benutzen. Aber das ist doch auch in Ordnung."
Alexandra Dröner: "Nicht bewahrheitet hat sich diese, naja, Loveparade-Geschichte mit one world, one love und so weiter. Aber diese Utopie war auch schon Thema in den 60er Jahren. Und es ist gut, wenn es immer wieder Leute gibt, die das zumindest anstreben."

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Nach dem Unglück bei der Love Parade 2010 haben Trauernde Kerzen für die Toten angezündet.© Roland Weihrauch/DPA
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