Chukwuebuka Ibeh: "Wünschen"
© Fischer Verlag
Nigerias finstere Gegenwart
05:32 Minuten
Chukwuebuka Ikeh
Aus dem Englischen von Cornelius Reiber
WünschenFischer, Frankfurt am Main 2024320 Seiten
24,00 Euro
Wer in Nigeria homosexuell ist, muss um seine Freiheit oder gar sein Leben fürchten. Chukwuebuka Ibeh schildert in seinem Debüt-Roman „Wünschen“ die Auswirkungen der immer repressiveren Politik in Afrikas bevölkerungsreichstem Land auf junge Schwule.
Chukwuebuka Ibehs Protagonist ist schon als Kleinkind nicht ganz wie die anderen: „Er war makellos (…) Auf dem Markt (…) liebten ihn alle, wenn er mit seinen Grübchen lächelte und sein volles Haar sich so weich anfühlte, dass manche ihn anfangs für ein Mädchen hielten.“
Das Traumbaby mit Namen Obiefuna wird später zum Problemfall, als der konservative Vater den Heranwachsenden bei einer zärtlichen Annäherung an einen anderen Jungen ertappt. Er schlägt seinen Sohn mit einem zufällig herumliegenden Stromkabel blutig und steckt ihn in ein Internat. Die Angst setzt sich in der Erziehungsanstalt fort. Werden pubertierende Jungs bei einer amourösen Begegnung erwischt, fliegen sie von der Schule und werden geächtet.
„Wünschen“ - im englischen Original „Blessings“ - ist im 21. Jahrhundert angesiedelt, was auch ganz konkret durch die Datumsangabe „Port Harcourt, 2006“ am Beginn des ersten Kapitels deutlich gemacht wird.
Staatliche Repression gegen Homosexuelle
Das ist von Belang, zumal wenn man das Buch hierzulande liest. Dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert haben, gilt eben einmal für den gesamten Westen, siehe Polen und Ungarn. Von Russland oder der Türkei nicht zu reden. In Teilen Afrikas hat die Repression extrem zugenommen.
Chukwuebuka Ibehs Protagonist Obiefuna, der als Student zum ersten Mal andere Homosexuelle kennenlernt, die in Port Harcourt kurzzeitig ein ansatzweise selbstbestimmtes Leben führen, bekommt die Folgen einer drastischen Gesetzesänderung im Jahr 2014 zu spüren. „Die Worte des Nachrichtensprechers drangen aus dem Wohnzimmer zu ihnen, und auf einmal drehte Obiefuna sich zum Bildschirm um, als er über eine Meldung erschrak, und sah am unteren Bildschirmrand in bedrohlichen Großbuchstaben den Schriftzug: NIGERIA STELLT GLEICHGESCHLECHTLICHE VEREINIGUNGEN UNTER STRAFE.“
Obiefuna und seine schwulen Freunde sind von diesem Zeitpunkt an von Verfolgung bedroht. „Das nigerianische Parlament hat gestern ein Gesetz verabschiedet, das die Ehe und andere Formen sexueller Beziehungen und Partnerschaften zwischen Menschen des gleichen Geschlechts unter Strafe stellt. (…) Nach Angaben nationaler Medien wurde das Gesetz ohne Widerstände fast einstimmig verabschiedet. Es sieht für Homosexuelle Haftstrafen zwischen 10 und 14 Jahren vor.“
Nigerias rigides Anti-Gay-Gesetz wurde von anderen afrikanischen Staaten imitiert. Uganda etwa hat erst vor wenigen Monaten das Strafmaß für homosexuelle Handlungen bis zur Todesstrafe verschärft. Auch in Ghana nimmt die Unterdrückung weiter zu. Der Einfluss evangelikaler Kirchen und des Islam ist enorm.
Finstere Bestandsaufnahme
Der Schriftsteller Chukwuebuka Ibeh stammt selbst aus der Hafenstadt Port Harcourt im Süden Nigerias, in der der Roman spielt. Er ist 23 Jahre alt und lebt in den USA.
Der erste Teil seines Buchs ist ein klassischer Entwicklungs- und Coming-out-Roman, der die Zweifel, Ängste und Bedürfnisse des Kindes, dann Jugendlichen und schließlich jungen Obiefuna, der seine Liebe zu Männern entdeckt, in sehr nahbarer, feinfühliger, aber absolut klischeefreier Sprache deutlich macht.
Starke Übersetzung
Hierbei ist die perfekt klingende Übersetzung von Cornelius Reiber sehr zu loben. Die deutsche Fassung dieses Debüts des bislang unbekannten jungen Autors ist übrigens nur wenige Wochen nach dem englischen Original erschienen; der S. Fischer Verlag dürfte auf die Empfehlung seiner Autorin Chimamanda Ngozi Adiche gehört haben. Chukwuebuka Ibeh war Schüler in der Schreibwerkstatt der wohl bekanntesten nigerianischen Schriftstellerin.
Gegen das Ende hin wird Ibehs Roman immer mehr zu einer finsteren Bestandsaufnahme der nigerianischen Gesellschaft. Die Kriminalisierung hat zur Auflösung jeglicher auch noch so verborgenen, homosexuellen Gemeinschaft geführt. Jederzeit ist mit Denunziation und Razzien zu rechnen. Dabei ist die Lage in Port Harcourt - so wird es im Roman von einem aus dem schwulen Freundeskreis angesprochen – immer noch besser als in anderen Regionen des riesigen afrikanischen Landes:
„Doch selbst er räumte ein, dass das noch ein günstiger Ausgang war, weil sie das Glück hatten, im Süden des Landes zu leben. Den auf der Party in Kano verhafteten Männern, hauptsächlich Muslime, erging es schlechter. Weil es bis zu ihren Gerichtsverhandlungen noch Monate hin war, konnte ein vorheriger Schuldspruch durch ein Scharia-Gericht Strafen wie öffentliche Auspeitschungen bis hin zum Tod durch Steinigung bedeuten.“
Ein hochbegabter junger Schriftsteller
Ob und welche Wirkung dieser ungeheuer mutige Roman, der die staatliche Repression gegen Schwule so massiv kritisiert und das Recht auf individuelle Entfaltung der Sexualität behauptet, in einem wirtschaftlich zwar prosperierenden, in Menschenrechtsfragen aber immer rückschrittlicher werdenden Land wie Nigeria haben kann, ist kaum einzuschätzen. Dass mit Chukwuebuka Ibeh aber nicht nur ein wagemutiger, sondern ein zugleich hochbegabter junger Schriftsteller die literarische Bühne betreten hat, ist sicher.