Die Vermarktung der Stadt
Berlin, Essen oder Leipzig - wer ist am attraktivsten im ganzen Land? Taucht Ihre Stadt im City Brands Index auf? Und wer bietet mehr im globalen Standortwettbewerb um Touristen, Investoren und Wachstum?
"Essen – die Einkaufsstadt" prangt in großen Leuchtröhrenlettern vom Dach eines Hotels gegenüber dem Hauptbahnhof. Seit über 60 Jahren ist das so. Welche Großstadt würde es heute noch wagen, mit einem solchen Werbespruch auf sich aufmerksam zu machen? "Einkaufsstadt" funktioniert nicht mehr, das Einkaufszentrum ist zum festen Bestandteil einer Stadt geworden ist.
Hat der Spruch damals, sagen wir, in den 50er- und 60er-Jahren, auf die Bewohner und Besucher gewirkt? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass meine Mutter damals gern durch die Essener Fußgängerzone streifte, zum Schaufensterbummel wie zum Einkaufen. "Ich gehe in die Stadt", sagte sie dann und ich war klein und musste mit.
Welches Bild habe ich, Jahrzehnte später, von Essen?
Eigentlich sind es viele einzelne Bilder: Die Fußgängerzone der Innenstadt gehört dazu. Die grauen Wiederaufbauhäuser der 50er-Jahre mit ihren kleinen Küchen und niedrigen Decken. Die Auenwiesen der Ruhr.
Marketing in Leipzig
Lässt sich ein Image am Schreibtisch erfinden? Marketing ist eine feste Größe in der Stadtpolitik. In Leipzig etwa.
"Man kann tatsächlich alle relevanten Sehenswürdigkeiten erkennen, man sieht die neuen Bauten, man sieht das grüne Leipzig, rund um Leipzig erstreckt sich ein wunderbarer Grüngürtel mit großen Parkanlagen..."
Volker Bremer, Geschäftsführer der Tourismus und Marketing GmbH, 28 Etagen über Leipzig.
"...man sieht den Leipziger Zoo, man sieht das Leipziger Stadion, aber ich denke, die Hauptstärke, kann man auch wunderbar von hier oben beschreiben, das ist die Musikstadt Leipzig."
"Musikstadt Leipzig", das ist die aktuelle Marke. Ausgedacht hat sie sich das Marketingbüro.
"Johann Sebastian Bach, wo wir gerade aktuell das Leipziger Bachfest hier feiern, war einer der ganz großen Komponisten, wir haben hier Richard Wagner als Leipziger, wir haben Schumann, wir haben Grieg, der hier einige Jahre war, wir haben Felix Mendelssohn-Bartoldy mit seinem Wohn- und Sterbehaus in unmittelbarer Nähe in der Innenstadt. Und wir haben all das mal zusammengepackt in einen innerstädtischen Rundgang, der nennt sich Notenspur."
Leipzig wachse fünfstellig pro Jahr, sagt der Marketingchef Volker Bremer. Und laufe kraftvoll auf die 600.000 Marke zu.
"Also, wenn man, ich sag jetzt mal, weltweit die Chance hat, in einem ganz kurzen Vortrag auf seine Stadt aufmerksam zu machen, überlegt man ja, was ist jetzt eigentlich die einzigartige Wettbewerbsposition. Und wenn man das 'n bisschen analysiert, die Stadtgeschichte, die verschiedenen assets die man da hat, dann kommt man zur Musikstadt. Und die Musikstadt ist eigentlich die Chance, wenn man auf touristischen Messen ist, auf Präsentationen, Leute zu überzeugen, Interesse zu wecken. Und zu sagen: Wow, wusste ich gar nicht. Leipzig vielleicht schon mal gehört, aber die Musikhistorie ist mir neu."
Werbesprüche sind out
Keiner macht noch Werbesprüche. Die Werbung, das Marketing, ist gespickt mit Jargon. Und der Jargon tickt englisch. Ein Werbespruch ist heute mindestens ein Slogan, immer öfter auch ein Claim. Da werden Städte rauf und runter gerankt, statt Markenbildung findet Branding statt und Städte werden gebrandet. Und permanent wird kommuniziert: Marken werden kommuniziert, Brands werden kommuniziert, Images werden kommuniziert. Gerne auch strategisch. Ist Musikstadt Leipzig eine Marke, ein Image oder eine brand?
"Es gibt Bilder von Städten, die sind sehr stark, die sind historisch gewachsen. Nehmen Sie den Kölner Dom, da weiß jeder genau, worum's geht und jeder identifiziert das Bild mit der Stadt,"
Frank Eckardt, Stadtforscher an der Bauhaus-Uni in Weimar.
"...aber eine Stadt besteht aus sehr vielen Bildern, aus sehr individuellen Bildern und es ist immer die Frage, wie das politisch, gesellschaftlich so organisiert wird, dass sich möglichst viele Menschen in einer Stadt mit den Bildern identifizieren können und aus einer positiven Identifikation mit dem Ort heraus auch handeln können."
Ob man es jetzt nun Image, Marke oder Brand nennt, ohne Bilder gebe es keine Stadt, sagt der Soziologe Frank Eckardt.
Wieder muss ich an Essen denken und an das Bündel Bilder, das ich von dieser Stadt noch mit mir herumtrage. Als ich vor Jahrzehnten dort lebte, war die Zeche Zollverein noch in Betrieb. Inzwischen ist sie stillgelegt und zum Unesco-Welterbe erklärt worden. Stararchitekten haben Hand angelegt, im alten Kesselhaus wird zeitgenössisches Design ausgestellt und der Förderturm von Schacht zwölf erstrahlt abends im Scheinwerferlicht. Museumszeche Zollverein als Leuchtturm des Wandels. Stadtbilder von Essen: Zollverein. Wiederaufbauhäuser. Ruhrwiesen.
Bürger und Vermarktung
Doch ein Bündel individuell geprägter Bilder sind noch kein Image, das man in die Welt hinaus zeigen kann. Und inwieweit geht es den Stadtvermarktungsstrategen eigentlich um die Stadtbewohner?
Die Tourismus und Marketing GmbH Leipzig sieht es als ihre Kernaufgabe an, die Stärken und Zukunftschancen des Standorts und der Region zu kommunizieren und so die Standortimagewerte zu steigern. Langfristiges strategisches Ziel sei es, die Standortmarke Leipzig als Kultur-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort nachhaltig zu etablieren.
Leipzig hat bereits zwei Imagekampagnen hinter sich.
"Leipzig kommt", hieß die erste. Mit ihr habe man die Bürger noch mitnehmen wollen, sagt Volker Bremer.
"Es war ein Versprechen eigentlich, damals abgegeben vom ersten Leipziger Oberbürgermeister nach der friedlichen Revolution, Hinrich Lehmann Gruber und seinem Team, die gesagt haben, Leipzig kommt. Und da wollte man eben auch die Bürger mitnehmen. Es gab da Situationen, die mir erzählt wurden: wenn du zur Arbeit gefahren bist, warst du nie sicher, ob du denselben Weg wieder zurücknehmen kannst, weil dann schon wieder Absperrungen waren, es wurde gebaut, überall standen Kräne, es wurde investiert, es wurde rangeklotzt. Es war ein Versprechen: Leipzig kommt, irgendwann ist es vollendet. Und als das dann fast absehbar war, wurde, ich glaube 2002, so in dem Dreh, die Kampagne ´Leipziger Freiheit` war ´n großer Agenturwettbewerb und da hatte man Leipziger Freiheit als den City Claim verstanden: Die Stadt, die einem die Möglichkeit gibt, das zu machen, was man machen möchte. Dass man hier erfolgreich musizieren kann, dass man hier erfolgreich studieren kann."
Von Anfang an habe sich Leipzig der Idee des Städtewettbewerbs verschrieben, kritisiert der Weimarer Stadtforscher Frank Eckardt. Über die erste Kampagne "Leipzig kommt", habe man sich zur Boomtown erklärt und dementsprechend sehr viel Geld ausgegeben für die neue Messe, für den Flughafen und die Ansiedlung von Autofabriken. Alternativen seien nicht diskutiert worden und die sozialökonomische Lage der Leipziger habe sich dadurch nicht substanziell verbessert.
Frank Eckardt:
"Und dann hat man diese Boomtown-Rhetorik aufgegeben, hat dann angefangen, Leipzig. Stadt der Freiheit, ein neues Branding zu schaffen und das funktioniert auch nicht wahnsinnig gut, deswegen ist man jetzt dabei, ne Diversität von Leipzig-Bildern zu haben. Leipzig, die Musikerstadt, Leipzig, die Buchstadt, Hypezig, alles mögliche wird herangeführt, man möchte auf sich aufmerksam machen und man glaubt, dadurch positive Effekt zu bewirken, für die Ökonomie, für den Tourismus.
Und die Effekte werden quasi nicht messbar sein."
Denn niemand habe klar gesagt, was mit dem Branding konkret erreicht werden soll, so Eckardt, nur daran ließe sich Erfolg messen. Stattdessen rede man sich die Sache schön.
Andrej Holm, Stadtforscher an der Berliner Humboldt-Universität, kritisiert die grundsätzliche Ausrichtung des Stadtmarketing auf den ökonomischen Erfolg. Politisch gehe es doch darum, den Stadtbewohnern ein gutes Leben zu ermöglichen.
"Stadt ist nicht als ökonomischer Zweckverband in Europa entwickelt worden, sondern das war ne Schutzgemeinschaft von den Bürgern und Handwerkern, die sich vor dem Zugriff von außen schützen wollten. Und da sollte man aus diesem Bild nicht den Abschottungsgedanken übernehmen, aber den Schutzgedanken für die Bewohner. Also ne Stadt dient nicht dem Selbstzweck, einen ökonomischen Boom auszulösen, sondern die Stadt hat ne Funktion, um das Leben der Menschen, die in ihr sind, sicherer, besser, angenehmer zu machen. Das ist auch die Idee von städtischen Infrastrukturen, die lange Zeit auch kommunal hergestellt wurden."
Erfolg und Misserfolg von Marketing
Bevor er 2006 nach Leipzig kam, warb Volker Bremer unter anderem für Schokoladenriegel und Kaffee. Das Budget dort fiel deutlich üppiger aus als jetzt im Leipziger Stadtmarketing.
"Da macht man Mediapläne, da geht man in den Rundfunk, da geht man ins Fernsehen, da macht man Printstrecken, Plakate und, und, und. Das ist hier in der Stadt mit ´nem Jahresgesamtbudget von gut fünfeinhalb Millionen, wo wir vielleicht 1,5 Millionen Euro insgesamt in Marketingarbeit, in die Projekte stecken. Wir haben uns Themen angeschaut und wir haben uns angeschaut, wie gelingt es eigentlich, Gäste für diese Stadt zu interessieren und wie gelingt es, auch sich Gedanken zu machen, wie man junge Zielgruppen, Studenten hier in die Stadt bekommt."
Woran misst sich Marketingerfolg? Im Tourismus sei das Messen relativ einfach, sagt Volker Bremer, und nennt die Übernachtungszahlen. Es sei Leipzig gelungen, von 1,7 auf knapp drei Millionen Übernachtungen pro Jahr zu wachsen.
Dem Stadtmarketing werde immer wieder eine Wirkung zugeschrieben, für die es gar nicht die Ursache sei, kritisiert der Soziologe Frank Eckardt:
"Nach dem Motto, wir haben jetzt gerade diese Marketing gemacht und beim nächsten Event kommen plötzlich tausend Leute mehr. So funktioniert das nicht. Jeder Mensch weiß, dass beispielsweise Events abhängig sind von anderen Faktoren: Wenn gerade Fußballländerspiel ist, wenn gerade das Wetter schön ist, dann kommen einfach zu bestimmten Veranstaltungen weniger Leute und wenn's umgekehrt ist, dann funktioniert plötzlich das Marketing. Solche direkten Ursache-Wirkungsketten werden immer wieder angenommen, die versimpeln den ganzen Prozess."
Auch der Berliner Stadtforscher Andrej Holm warnt davor, die Bedeutung von Stadtmarketing zu überschätzen. Millionen Touristen kämen nicht nach Berlin, weil das Berlin- Marketing bessere Konzepte hätten als die anderen Städte.
"Die kochen auch nur mit Wasser und die haben auch nur Plakate, Broschüren und Webseiten produziert. Das haben sie im übrigen auch in den Jahren vorher gemacht, wo es kein Tourismusboom gab. Ich glaube, dass wir und die Bedeutung des City Marketings und das Verkaufens von Stadt als Image und als Brand auch nicht mit den realen Effekten in der Stadt verwechseln sollten. Das steht in einer Beziehung. Und man kann sagen, das ist schade, dass öffentliche Ressourcen in diese Form der Wettbewerbslogik hineingesteckt werden und die auch noch verstärken, mit Sicherheit, aber ist nicht ursächlich dafür. Ursächlich sind tatsächlich eher die großen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Veränderungen, mit denen wir es zu tun haben, davon ist das City Marketing ein Teil, aber nicht Auslöser oder Ursache."
Marke, Brand oder Image. Ist Leipzig schon eine Marke oder soll sie erst zu einer werden?
"Brand ist einfach immer Leipzig, seit 1000 Jahren",
meint Volker Bremer. Und das klingt irgendwie schick. Warum soll Brand nicht ganz ohne Artikel stehen, weiß doch sowieso niemand so richtig, ob er der, die oder das Brand sagen soll. Die Botschaft von "Brand gleich Leipzig" ist jedenfalls eine doppelte: Zum einen, so wird eingeräumt, sei es die reale Stadt Leipzig, mit ihrer langen Geschichte, die den Maßstab setzt für die Bildung einer Marke. Zum anderen wird die Marke aber auch ganz selbstverständlich mit der Stadt verknüpft, so als bliebe Leipzig gar nichts anderes übrig, als zur Marke zu werden. Nennt man das strategische Kommunikation? Sarah Tietze-Kamya vom Hauptstadtmarketing in Berlin, sagt ungefähr das gleiche.
Berlin als Marke
"Die Marke ist wirklich Berlin."
Sie ist verantwortlich für die Imagekampagne "Be-Berlin! Sei Berlin!"
"´Be Berlin!` Wir haben 2008 gestartet mit einem regionalen Ansatz. Unser Anliegen war es, die Berliner erstmal zu gewinnen. Alle wissen, die Berliner sind von Natur aus etwas grimmig, aber im Herzen sehr freundlich. Und wir haben gesagt, wir müssen erstmal die Berliner gewinnen, die Geschichten der Berliner einsammeln und dann mit diesen Geschichten nach außen zu gehen. Deshalb starteten wir 2008 mit dem Slogan ´Sei Berlin, erzähle deine Geschichte`. Das haben auch im ersten Jahr allein 1000 Berliner gemacht, haben uns erzählt, warum sie in Berlin sind und mit den Geschichten sind wir nach außen gegangen. Wenn man ins Ausland geht, ist klar, dass man so ne Headline, so ein Slogan natürlich übersetzt, so wurde aus ´Sei Berlin! Be Berlin!`"
Die auf der Be-Berlin-Webseite präsentierten Geschichten sind Alt-, Wahl- und Neuberlinern mittels standardisierter Fragen entlockte Lobgesänge auf Berlin und den mit der Stadt verknüpften eigenen Erfolg, vorzugsweise den unternehmerischen.
Seit 2008 wird unter dem Motto "Be-Berlin!" bereits der zweite Versuch unternommen, die Stadt mit einem Brandzeichen zu versehen. Die erste Kampagne wurde 2004 mit Spruch "Mir geht’s Berlin!"gestartet. Das Werbebild präsentiert eine junge, attraktive, leicht bekleidete Frau, auf einem Hotelzimmerbett liegend, die in der Rechten einen Teddybären und in der Linken ein Modell des Brandenburger Tors hält. Neben dem Werbespruch 'Mir geht’s Berlin', das Berlin als Gefühl darstellt, ist ein Doppelzimmer-Preisangebot mit Telefonnummer und der Aufforderung 'Jetzt buchen' auf das Bild geschrieben. Die Kampagne richtet sich damit an Touristen, nicht an Einheimische.
Der Berliner Bär, das Wappentier der Stadt, wird als niedliches Kuscheltier neben das Brandenburger Tor, nationales Symbol für Teilung und Sieg, in die Waagschale geworfen. Das deutet die Stadtforscherin Martina Löw in ihrem Buch "Soziologie der Städte"so:
"Berliner Werbefachleute und Politiker preisen die Stadt an, indem sie das Symbol für Teilung und Sieg auf der offenen Hand präsentieren, was gleichzeitig mit dem Festhalten an dem Sicherheit spendenden Bären einhergeht. Der erste Interpretationsschritt zeigt demnach Berlin in einem Kontext von nationaler Aufgabe, Teilungsproblematik, Verunsicherung und kindlicher Versicherung. Berlin bedeutet Verlust an Bodenhaftung. Berlin ist nicht Alltag, sondern tranceartiger Ausnahmezustand. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Stadt nur symbolisch anwesend ist; der Alltag Berlins bleibt ausgespart. Die Vorhänge sind geschlossen, nichts an dem abgebildeten Hotelzimmer ist typisch. So drängt sich die Frage auf, ob "Mir geht’s Berlin!" überhaupt Berlin braucht."
Die Kampagne scheine nicht von durchschlagendem Erfolg gekrönt gewesen zu sein, stellt Martina Löw vorsichtig fest. Vier Jahr später wird mit "Be Berlin!" eine neue Imagekampagne lanciert. Jetzt ruft die Berlin-Partner GmbH im Auftrag des Berliner Senats hunderte Werbeagenturen und viele Einzelpersonen dazu auf, einen neuen Werbespruch für Berlin zu finden. Diesmal soll sich die Kampagne zunächst weniger an die Besucher als an die Bewohner Berlins richten. Sie soll die Einheimischen dazu anregen, sich mit Berlin zu identifizieren und Werbeträger für die Stadt zu werden.
Die Kampagnenleiterin, Sarah Tietze-Kamya, nennt die Brands, die Berlin gleichzeitig in der Welt interessant machen sollen:
"Be-Berlin, 2008 gegründet, gestartet als der Brand Berlin Stadt des Wandels und heute angekommen in der Stadt der Chancen. Das ist der Werdegang, den Berlin in den letzten Jahren durchlaufen hat. Von der Stadt des Wandels heute zu der Stadt der Chancen und alle Attribute, die eine Stadt der Chancen bieten sollte. Das sind die Attribute, die wir in der Werbung der Hauptstadt dann immer in den Fokus stellen. Für uns sind das ganz stark die drei Ts, Talente, Technologien und Toleranz. Uns das sind auch die Triebfedern, die Berlin einzigartig und besonders machen."
Umfragen bei internationalen Unternehmen vor der Kampagne hätten ergeben, so Tietze-Kamya, dass Berlin in der Außenwahrnehmung an Profil gewonnen habe und damit sieht sie das Kampagnenziel bestätigt. Sie sei mit der Markenbildung Berlins sehr zufrieden. Wie sehr die Marke "Be Berlin!"sich im Bewusstsein der Berliner verankert habe, findet die Werbeleiterin gar nicht mehr relevant, es gehe dem Hauptstadtmarketing vielmehr um die internationale Wahrnehmung der Marke Berlin.
"Geht das in die Richtung, wie wir denken, dass es der richtige Weg ist? Wir haben diese internationale Marktbefragung mit ganz ähnlichen Fragen noch mal wiederholt, vier Jahre später und auch im letzten Jahr nun noch mal: Und hier ist rausgekommen, dass Berlin heute als Erwachsener wahrgenommen wird. Berlin ist nicht mehr der Student, der nur Party macht oder der Praktikant. Sondern Berlin hat ne Festanstellung gefunden, ist erwachsener geworden und daher auch für uns das Credo: Stadt der Chancen. Berlin eröffnet nun auch aus wirtschaftlicher Perspektive für junge Talente viele Chancen und das wollen wir kommunizieren."
Vor- und Nachteile in Leipzig
In Leipzig habe die Boomtown-Strategie durchaus Energie freigesetzt, findet der Stadtforscher Frank Eckardt. Die Infrastruktur sei verbessert, viele Gebäude seien renoviert und verschönert worden. Doch durch Privatisierung und Outsourcing hätten prekäre Arbeitsverhältnisse zugenommen. Armut und Niedriglöhne habe man nicht bekämpft.
"Was hätte man tun können, man hätte sicherlich diese ganzen Maßnahmen stärker sozial einbinden können. Und wenn man jetzt schon große Investitionen plant, dann kann man das sicherlich in einer partizipativeren Weise machen, als das jetzt vonstatten ging und man könnte das auch stärker sozial gestalten. Mit Beteiligung z.B. von Gewerkschaften und anderen sozialen Organisationen. Eigentlich ist es tatsächlich die ultima ratio des brandings, dass mehr besser ist: Mehr Touristen, mehr Investoren, mehr Studenten, mehr Besucher, mehr Einwohner auch, das ist quasi die Quintessenz des brandings, dass eine sehr stark auf Wachstum bezogene Konzeption von Stadtentwicklung ist.
Berlin Kreuzberg
"Man muss in so nem Fall, wenn ein Haus verkauft wird, darauf achten, dass sie keine einzige Wohnung bekommen und dass sie keinen einzigen Cent mehr Miete bekommen, der ihnen nicht rechtlich zusteht. Das heißt: Wehrt euch um jeden kleinen Cent, wehrt euch um jede Wohnung, dann durchkreuzt ihr die Pläne der Investoren. Ganz allein, machen sie dich ein."
Berlin-Kreuzberg, Wrangelkiez. Menschen, die hier leben, sind zusammengekommen vor Bizim Bakkal, türkisch für: Unser Laden. Der Gemüseladen, der letzte von ehemals fünf Kiezläden in Familienbesitz, und seit 28 Jahren hier, hat eine Kündigung erhalten. Der neue Eigentümer oder Investor will das Gebäude aufwerten. Die Aufwertung vollzieht sich in drei Akten. Erster Akt: Den Mietern wird der Auszug nahegelegt, mit oder ohne Abfindungen. Zweiter Akt: Die entmieteten Wohnungen werden luxussaniert und dann, dritter Akt, an solvente Interessenten verkauft. Immer mehr Mieter im Viertel sind von steigenden Mieten oder Umwandlung bedroht. Immer mehr Mieter werden aus dem Kiez verdrängt. Der Fall Bizzim Bakkal hat jetzt das Fass zum Überlaufen gebracht, "Bizzim Kiez: Wir sind der Kiez" ist überall auf Transparenten zu lesen. Die Anwohner wollen die Aufwertungspraktiken der Investoren nicht mehr hinnehmen. Hunderte haben sich auf der Straße versammelt, um zu protestieren und zu überlegen, wie man sich wehren kann. Hermann Solowe, Künstler und Galerist, ist einer von ihnen:
"Ich kenn persönlich Leute, die wohnen in drei Zimmer, die würden auch zwei Zimmer nehmen, geht aber nicht, weil dann plötzlich die Miete doppelt so teuer ist und sie, zumal in ihrer Umgebung, nichts mehr finden. Und ich glaub, das ist nicht nur hier so, das ist in ganz Berlin so. Ja, man kann nicht mehr umziehen. Man ist ein Spielball... Ja, das ist einfach schön zu sehen, wie hier die Leute zusammenkommen. Man merkt, dass man nicht alleine ist."
Lifestyle, Kultur und Freizeit top, so wirbt die Webseite von Berlin-Partner, Mieten und Lebenshaltungskosten niedrig – Berlin biete eine hohe Lebensqualität! Berlin sei immer noch eine Stadt mit sehr vielen freien Flächen in der Innenstadt, sagt Karin Teichmann vom Berlin-Partner Netzwerk, zuständig für den Investitionsstandort Berlin.
"Berlin hat wirtschaftlich im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen von den relativ günstigen Lebenshaltungskosten profitiert, ich denke, wir wären nicht zu dem Kreativstandort geworden, der wir heute sind, wenn wir nicht über Jahre hinweg für diese creative class die Rahmenbedingungen angeboten hätten... Aus diesem Trend heraus, sind natürlich auch Unternehmen am Standort entstanden. Diese ganze Startup Kultur hat den Nährboden gefunden, den sie benötigt, um hier am Standort zu wachsen und letztendlich betrachten wir das auch als ein Ergebnis unserer Arbeit, dass natürlich auch das Preisverhältnis am Standort verschiebt. Wenn in Berlin Geld verdient werden kann, dann ist das positiv für den Standort, das bedingt eine wachsende Stadt."
Die Stadt im globalen Aufmerksamkeitserregungswettbewerb um Investoren, Touristen und Talente. Die am schnellsten wachsende Stadt der Welt, die investitionsfreudigste, die mit dem zahlungskräftigsten Einwohnern, die lebenswerteste. Die Meinungsforschungsindustrie dokumentiert den Wettbewerb der Städte mit immer neuen Ranglisten wie dem sogenannten "City Brands Index".
Der Stadtforscher Andrej Holm hält das für gefährlich:
"Was ich tatsächlich gefährlich finde, ist die Vergleichslogik oder die Konkurrenzlogik, die in Rankings zum Ausdruck kommt. Dass mit Rankings tatsächlich suggeriert wird, Städte würden sich in ´nem Wettbewerb befinden zueinander in irgendwelchen Dimensionen: Die meisten Touristen, die billigsten Wohnungen, den ertragreichsten Immobilienmarkt oder was auch immer. Das widerspricht natürlich der eigentlichen Funktion von Städten, erstmal vor allen Dingen Funktionsträger für die Bedürfnisse der in ihr Lebenden tatsächlich zu sein. Eigentlich müsste die Qualität von Städten davon abhängen, was ich als Bewohner, oder als Gesamtheit von Bewohnerschaft in so ´ner Stadt sage, das kommt meinen Interessen hier sehr entgegen und die Stadt ist in der Lage, auch verschiedene Bedürfnisse, die wir in der Gesellschaft haben, die sich zunehmend ausdifferenziert, gut zu bedienen. Ja, und das ist mit Rankings überhaupt nicht zu vergleichen."
Der Wettbewerb der Städte ergibt sich aus der kapitalistischen Wirtschaftsweise und ist kein Ergebnis von Vermarktungsstrategien. Aber das City Branding unterstützt und verstärkt das Rattenrennen der Sieger und Verlierer. Könnte es auch ein Branding von unten geben, fragt sich der Andrej Holm. Wie wäre es, gegen die ökonomische Strategie der Aufwertung die soziale Strategie der Teilhabe zu setzen, in Berlin zum Beispiel.
"Berlin hätte ja die Chance, beispielsweise sowas wie das Volksbegehren in Tempelhof zu begrüßen oder das Mietenvolksbegehren, was zur Zeit diskutiert wird zu unterstützen und sich nach außen hin zu präsentieren als die Partizipationshauptstadt Europas, wo die Bürgerinnen Gesetze schreiben und tatsächlich mitbestimmen können und das zu neuen völlig innovativen Lösungen in der Stadtpolitik führt. Das machen die nicht, sondern es wird von der Regierung im Moment als massiver Angriff auf die eigene Politik interpretiert. Es ist ja auch ne Antwort auf das Versagen in den jeweiligen Politikfeldern. Aber das könnte auf so Citybrandingstrategien noch mal so n turn sein, wo man umdreht. Wo man sagt: Ich bin nicht die erfolgreichste Stadt, sondern ich bin die gerechteste Stadt. Oder ich bin nicht die Stadt mit den meisten Touristen, sondern ich bin die Stadt mit den meisten Demonstrationen."