Citybahn für Wiesbaden

Projekt gegen Wohnungsnot und Luftbelastung

14:52 Minuten
Werbung am Wiesbadener Hauptbahnhof. Auf einem Plakat steht: "Wir verbinden Stadtkinder mit sauberer Luft."
Werbung für die Citybahn am Hauptbahnhof in Wiesbaden. Mit der Citybahn wären Wiesbadener in 25 Minuten im Rheingau. © Ludger Fittkau
Von Ludger Fittkau |
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Auch in Wiesbaden sind in den letzten Jahren die Mietpreise explosionsartig gestiegen. Deshalb sollen jetzt mit einer neuen Citybahn umliegende Städte als Wohnorte erschlossen werden. Pendler können so in kurzer Zeit die Landeshauptstadt erreichen.
Aus der offenen Tür eines leeren Ladenlokals in der Brunnenstraße in Bad Schwalbach dringt Baulärm. Das ist hier nicht ganz selbstverständlich. Denn viele Ladenlokale und darüber auch Wohnungen in der zentralen Straße der hessischen Kreisstadt für den Rheingau und den westlichen Taunus stehen leer. Ebenso wie die Speisegaststätte "Brunnenklause", die einst auch Gästezimmer angeboten hat.
An dem markanten Gebäude mit Erkern und klassizistischen Säulen treffe ich eine Wiesbadenerin, die ihren Namen nicht nennen will:
"Wunder-, wunderschön. Ich dachte: Hoffentlich findet sich da jemand, der sich drum kümmert."
Straßenschilder in Bad Schwalbach. Eines zeigt, dass Wiesbaden nur 17 Kilometer entfernt ist.
Straßenschild in Bad Schwalbach: Die hessische Landeshauptstadt liegt nur 17 Kilometer entfernt.© Ludger Fittkau
Bad Schwalbach liegt nur 17 Kilometer von der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden entfernt im Taunus. In Wiesbaden wäre ein Haus wie die "Brunnenklause" heute nicht mehr bezahlbar, weil die Immobilienpreise in den letzten Jahren explodiert sind. In Bad Schwalbach steht es offenbar schon länger leer. Die Wiesbadenerin schüttelt den Kopf:
"Ich bin sehr selten hier. Aber ich war auch schon erschrocken, wie tot es eigentlich hier ist, wenn nicht gerade ein Event oder so stattfindet."
Reporter: "Dabei ist es nur 17 Kilometer von Wiesbaden. Das ist ja nichts."
Frau: "Nein, es ist wunderschön. Ich habe eben auf die Uhr geguckt. Ich habe 22 Minuten gebraucht. Das ist kein Thema".

Pendler würden von Citybahn profitieren

22 Minuten mit dem Auto von Wiesbaden nach Bad Schwalbach – allerdings gegen den Strom. Denn an diesem Morgen sind die Autopendler aus dem westlichen Taunus Richtung Rhein-Main gerade in die andere Richtung unterwegs.
In der Rushhour kann dann der Weg auch schon mal 50 Minuten dauern. Mit dem Privatauto oder dem Bus, der sich die Straßen meistens mit den PKW teilen muss. 19.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte pendeln jeden Tag aus dem Rheingau-Taunus-Kreis nach Wiesbaden – umgekehrt sind es 4.500.
Nur wenige hundert Meter vom Bad Schwalbacher Rathaus entfernt treffe ich auf der Straße Anna Dörksen. Für die freie Wählergemeinschaft "Bad Schwalbacher Bürgerblock" sitzt sie im Stadtparlament. Dass so viele Ladenlokale leer stehen, ist für sie kein spezifisches Problem von Bad Schwalbach:
"Das mit dem Leerstand, das ist ja auch in Wiesbaden so. Das ist allgemein der Trend. Das sind die Internetkäufe und alles. Ich glaube, dass sich da nicht viel ändern wird."

Attraktive Alternative zum Ballungsraum

Doch eine Hoffnung hat Anna Dörksen. Wenn – wie geplant – in einigen Jahren eine neue Straßenbahn die Landeshauptstadt Wiesbaden und Bad Schwalbach in 25 Minuten verbinden wird, könnte zumindest der Wohnungsleerstand der Kreisstadt bald Geschichte sein. Denn dann würde Bad Schwalbach eine attraktive Vorstadt Wiesbadens, wo die Preise vor allem für Wohnraum seit Jahren stark steigen.
Mit der neuen Straßenbahn – genannt "Citybahn" – könnten noch mehr Menschen als bisher, die in Wiesbaden arbeiten, Bad Schwalbach als Wohnort wählen, glaubt Anna Dörksen:
"Auf jeden Fall! Weil wir sind ja hier so ein bisschen weit weg von der Autobahn und vom Flughafen und allem. Und mit der Citybahn – umweltmäßig! Man könnte dann einen Park-and-Ride-Parkplatz anfahren und könnte dann zügig nach Wiesbaden kommen und da weiter. Ich denke, das wäre für alle ganz gut."

Bürgermeister hofft auf Touristen

"Ein Bus braucht 40, 50 Minuten. Es gibt ein paar wenige Schnellbusse, die schaffen das schneller. Aber ein Bus steht auch immer im Stau oder vor einer roten Ampel. Also ist die Citybahn da eindeutig schneller, davon können wir ausgehen."
Sagt Martin Hußmann von der CDU, Bürgermeister der 11.000 Einwohner-Stadt Bad Schwalbach.
"Ganz grundsätzlich geht der Verkehr ja auch in zwei Richtungen. Die Pendler, die von Bad Schwalbach nach Wiesbaden fahren, weil sie dort arbeiten. Wir hätten aber auch gerne am Wochenende ein paar Touristen aus dem Rhein-Main-Gebiet, die bei uns den herrlichen Taunus genießen und unser Kurhaus besuchen, unseren Kurpark. Also es geht in beide Richtungen."
Alte zugewucherte Bahnstrecke, auf der ein paar alte Eisenbahnwagons stehen.
Die Strecke der stillgelegten Aartalbahn soll für die Citybahn reaktiviert werden.© Ludger Fittkau
Es gibt einen großen Vorteil für die geplante Citybahn, die von Bad Schwalbach über Wiesbaden nach Mainz führen soll: Aus dem Taunus bis zur Stadtgrenze Wiesbaden kann in insgesamt mehr als 30 Kilometer lange Straßenbahnlinie rund 15 Kilometer auf einer stillgelegten alten Bahntrasse geführt werden – der sogenannten Aartalstrecke.

Großprojekt für viele Jahre

"Das ist sehr hilfreich. Weil die eigentliche Infrastruktur ist schon da. Man muss nicht allzu viel schaffen. Wir haben natürlich dahingehend Themen, das wir gucken müssen, wie ist der Zustand und sowas alles. Doch grundsätzlich gibt es diese Verbindung schon. Und von daher ist das für uns sehr, sehr hilfreich."
Sagt im Verwaltungsgebäude der kommunalen Wiesbadener Verkehrsbetriebe (ESWE) der Bauingenieur Kai Mumme. Der 52-Jährige leitet seit März dieses Jahres das Projekt "Citybahn". Es ist das größte ÖPNV-Infrastrukturprojekt im westlichen Rhein-Main-Gebiet.
"Das ist angelegt über viele, viele Jahre. Der Planungsprozess dauert nun auch schon einige Zeit. Und wenn man den Bau und die Realisierung sieht, wird es wohl irgendwo bis Mitte der 20er-Jahre gehen, bis man denn dann fährt. Und von daher ist es ein wirkliches Großprojekt. Im Moment haben wir reine Baukosten von 305 Millionen Euro. Plus Nebenkosten und Anschaffung von Fahrzeugen. Also es ist schon einiges."
Die Industrie- und Handelskammer Wiesbaden geht sogar von rund einer halben Milliarde Euro aus, die die Citybahn letztlich verschlingen wird. Deswegen hat die IHK bereits 2018 von den beteiligten Kommunen Mainz, Wiesbaden und dem Rheingau-Taunus-Kreis mehr Informationen gefordert.
Insbesondere eine detaillierte Kosten-Nutzen-Rechnung fehlte der IHK noch. Außerdem verlangte der Verband eine genauere Prüfung möglicher Verkehrsalternativen, bevor er dem Projekt endgültig zustimmen könne. Doch inzwischen sei die Politik dabei, die monierten Punkte abzuarbeiten. Das sagt Florian Steidl, der bei der IHK Wiesbaden den Bereich Standortpolitik leitet.

Mobilität der Zukunft für die ganze Region

Bis zum Frühjahr 2020 werde nun auch an einer Art "Rundem Tisch" mit Verbänden und Kommunen ein "Mobilitätsleitbild" für die Region erarbeitet, anhand dessen man die mögliche verkehrspolitische Bedeutung der Citybahn besser beurteilen könne, so Steidl:
"Wie kann die Mobilität von morgen aussehen? Dabei wird versucht, möglichst viele Akteure einzubinden. Vom Behindertenverband bis zur IHK. Das Ganze ist faktenbasiert begleitet. Also Wissenschaftler aus ganz Deutschland werden herangezogen, eingeladen zu diesen großen Themen 'Urbanisierung', 'Mobilität von Morgen', 'Soziale Stadt' eben einen Input zu liefern, damit die Akteure auf einem Niveau sind.
Und dann am Ende des Leitbild-Prozesses, so wäre die Hoffnung, dass man einerseits faktenbasiert weiß, funktioniert eine Seilbahn zwischen Mainz und Wiesbaden, wie sieht es aus mit Alternativen sonst zur Citybahn? Das man dann eine faktenbasierte Grundlage hat, auf der sich die Mobilität der Zukunft der Region abbilden ließe."
Diese Leitbild-Entwicklung soll etwa parallel zum Bürgerentscheid abgeschlossen sein, der in Wiesbaden im kommenden Frühjahr stattfinden soll. Rund 200.000 Stimmberechtigte sollen dann in der hessischen Landeshauptstadt über das Jahrhundertprojekt der Wiedergeburt eines Straßenbahnnetzes in der Stadt entscheiden. Projektleiter Kai Mumme:
"Wiesbaden hat ja in der Vergangenheit durchaus Straßenbahnen gehabt, bis Mitte der 50er-Jahre. Seitdem nicht mehr. Das wäre jetzt mal wieder die Chance, eine Straßenbahn zu etablieren."

Gewerbetreibende an der Trasse fürchten um ihre Existenz

Es gibt auch Bürgerinitiativen, die sich gegen die Citybahn aussprechen. Die hohen Kosten werden ebenso kritisiert wie die lange Bauzeit mit möglichen Einschränkungen für Anwohner und Gewerbetreibende an der künftigen Trasse.
Vor dem Kurhaus in Bad Schwalbach warten Oberstufenschüler auf ihre Busse, auch nach Wiesbaden. Thomas geht in Bad Schwalbach zur Schule, lebt aber in der Landeshauptstadt. Die Eltern betreiben an der geplanten Trasse der Citybahn ein Einzelhandelsgeschäft.
" Und die sind auch dagegen – ich auch. Theoretisch ist das eine gute Idee. Nur, die Bauzeit, die die Citybahn braucht, würden meine Eltern nicht überleben. Dann würden sie Pleite gehen, wenn sie gebaut wird."
Diese Sorge teilen viele Gewerbetreibende an der geplanten Trasse, bestätigt auch Florian Steidl von der IHK Wiesbaden:
"Es wäre sehr wichtig für Händler und Gewerbetreibende, die in der Nähe der Linienführung sein werden, dass es ein Entschädigungsmanagement gibt. Das hat sich in anderen Städten, wie beispielsweise Karlsruhe, schon sehr bewährt. Dass es aber gleichzeitig auch ein Baustellenmarketing gibt und ein Baustellenmanagement.
Das heißt, dass nach wie vor die Kunden und auch Lieferanten möglichst gut einzelne Betriebe anfahren können und dadurch Umsatzausfälle möglichst gering gehalten werden können. Wenn man es schaffen würde, das den Händlern und Gewerbetreibenden glaubhaft zu vermitteln, dass es sowas geben wird, dann könnte man eine größere Begeisterung für das Projekt auch auslösen."

Baustellenmanagement soll Sicherheit geben

Ein solches Entschädigungsmanagement wird kommen – verspricht Projektleiter Kai Mumme. Und auch ein sorgfältiges Baustellenmanagement:
"Es kann nicht sein, dass wir einen Straßenquerschnitt über ein, zwei Jahre komplett stilllegen. Das geht gar nicht. Wir sind hier dabei, wenn unsere Planungen soweit sind, dass wir dann auch in die Bauablaufplanung gehen können. Um dann auch mit den Anwohnern, Gewerbetreibenden letztendlich Planungsabschnitte festzulegen. Bauabschnitte festzulegen, in denen wir bauen. So dass trotzdem immer noch die Erreichbarkeit da ist und die Bauzeit innerhalb dieser Abschnitte auch wirklich optimierbar ist."
Taunusstein – eine 30.000 Einwohnerstadt an der geplanten Citybahn-Strecke – nur rund 10 Kilometer von der Wiesbadener Innenstadt entfernt. Zwei verschmutze Straßenschilder übereinander: "Bahnhof" und "Wiesbaden Park and Ride".
Auf einem zugewucherten Bahngleis stehen alte, rostige Güterwagons.
Der Bahnsteig des ungenutzten Bahnhofs in Bad Schwalbach. Der alte Wartesaal ist jetzt eine Kneipe.© Ludger Fittkau
Auf der Brachfläche an der Mitte der 1980er-Jahre stillgelegten Aartal-Bahnstrecke stehen tatsächlich viele Autos. Doch noch kann man hier lediglich in den Bus ins nahe gelegene Wiesbaden umsteigen. Am alten Bahnsteig steht ein alter, rostender Güterwaggon. Gleich auf der anderen Straßenseite liegt das Rathaus der größten Stadt im Rheingau-Taunus-Kreis. Der junge CDU-Bürgermeister Sandro Zehner empfängt mich in seinem Büro mit festem Händedruck:
"Vor über 30 Jahren hat die Deutsche Bahn entschieden, die seinerzeitige Aartalbahn vom Betrieb zu nehmen. Und seitdem sind die Stadt Taunusstein und die Kreisstadt Bad Schwalbach eben die einzigen beiden größeren Städte in Hessen, die nicht mehr mit der Schiene angebunden sind. Und das wollen wir ändern."

Bürgervotum könnte Pläne kippen

Sandro Zehner ärgert wie seinen Kollegen Martin Hußmann in Bad Schwalbach, dass die Städte und Gemeinden des Umlandes jetzt bei der Planung der Citybahn vom kommenden Bürgervotum in Wiesbaden abhängig sind. Die Landeshauptstadt entscheidet schlichtweg über die verkehrspolitische Zukunft von rund 70.000 Menschen in den Umlandgemeinden mit.
"Für was ich Verständnis habe ist, dass Wiesbaden das Thema für sich diskutieren muss. Ich glaube aber tatsächlich, dass der Bürgerentscheid für die Anrainer, für die Nachbarkommunen völlig schwierig nachzuvollziehen ist, weil wir tatsächlich in Mithaftung für der Ergebnis genommen werden."
Was aber passiert, wenn die Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger im Frühjahr 2020 gegen die Citybahn votieren? Das fragt auch der Bad Schwalbacher Bürgermeister Martin Hußmann:
"Wenn aber die Politik in Wiesbaden sagt, wir folgen aber trotzdem dem Votum unserer Bürger und sind gegen die Citybahn. Ja dann gute Nacht, das ist egoistisch gedacht und auch gegen die Umwelt und gegen einen modernen Nahverkehr. Ich hoffe, dass es so nicht laufen wird."

Verkehrsinfrastruktur und Ansiedlung parallel entwickeln

Ein Votum gegen die Citybahn würde auch dazu führen, dass mehrere Tausend Menschen, die in den nächsten Jahren zusätzlich in Taunusstein und Bad Schwalbach angesiedelt werden sollen, gezwungen sein würden, weiter mit dem Auto ins Rhein-Main-Gebiet zu pendeln. Geplant sei das anders, sagt der Taunussteiner Bürgermeister Sandro Zehner:
"Ja, natürlich! Wir haben jetzt gerade unseren Gesamtflächennutzungsplan fortgeschrieben. Der sieht große Siedlungserweiterungsbereiche vor. Die haben wir gerade an die Bereiche gelegt, wo künftig die Citybahn auch eine Erschließung sichert. Das heißt wir haben den besten Fall, dass wir Siedlungsentwicklung und ÖPNV-Entwicklung parallel laufen lassen können. Das ist schulbuchmäßig. Und das wollen wir auch realisieren.
Und damit können wir auch unseren Beitrag als Mittelzentrum zur Deckung der Wohnraumversorgung leisten. Wollen ihn auch leisten und können das natürlich auch zu anderen Kostenstrukturen leisten, als das in Wiesbaden der Fall ist."
"Denn die Baupreise und auch die Grundstückspreise sind bei uns natürlich deutlich niedriger. Also Frankfurt als Sitz der Europäischen Zentralbank boomt. Das strahlt natürlich aus über Wiesbaden und Mainz bis hier hin. Es gibt zunehmend Leute, die hier Grundstücke suchen und Häuser kaufen."

Es tut sich was in Bad Schwalbach

Auch die Passanten in der Innenstadt von Bad Schwalbach sind sich einig – wenn die Citybahn käme, würde die alte Kurstadt langfristig eine attraktive Alternative zum Wohnen in den teuren Großstädten des Ballungsraumes:
"Unser Kurpark ist sehr schön, es ist ein reines Erholungsgebiet für Familien mit Kindern. Es tut sich was in Bad Schwalbach."
"Es gibt viele leerstehende Wohnungen und Häuser. Die müsste man halt sanieren, es sind halt viele baufällig. Aber es gäbe schon die Möglichkeiten."
"Gerade für die Wohnsituation wäre das gut, super. Für viele Leute. Weil es sich entzerrt. Weil zum Beispiel Leerstand hier genutzt werden kann, weil man gut pendelt kann. Momentan ist es schwierig mit dem Pendeln, weil wie gesagt, verstopfte Straßen. Im Winter ist es schwierig, was ja bei der Bahn auch besser wäre."
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