Die Grande Dame des Comics
Aus ihrer Feder stammen die Agrippina-Comics und die Serie "Die Frustrierten": Die 75-jährige Französin Claire Bretécher war schon früh sehr erfolgreich in der von Männern dominierten Comicwelt. Nun erscheint der letzte Band um die jugendliche Agrippina. Ein Besuch in ihrer Wohnung in Paris.
Sie wohnt am Pariser Montmartre, in einem charmanten Viertel. Der Eingang zu ihrer Wohnung führt… - in eine Parkgarage. Hier holt mich Claire Bretécher ab. Sie ist schön und schlank , ihre 75 Jahre sieht man der mittelblonden Frau mit dem flotten Haarschnitt nicht an. Sie steigt die Treppen durch das Parkhaus bis zum Aufzug, dann noch eine Metalltreppe hoch bis in ihr Reich: Willkommen sagt die berühmte Comiczeichnerin und schließt ihre Tür auf.
Auf der linken Seite des Flurs hängen Gemälde, eine Zeichnung von Tim aus Tim und Struppi, selbstgemalte Werke, die 2011 in einem Band veröffentlicht wurden: Die Comiczeichnerin ist auch Malerin. Die Kunstwerke machen dem Blick auf die rechte Seite des Flurs Konkurrenz: Eine tolle Terrasse mit Pflanzen und Blumen und Blick auf die Dächer von Paris.
Claire Bretécher führt mich in den "Salon", das Wohnzimmer, wo sie in einem dicken Sessel Platz nimmt. Ich setze mich daneben und überreiche ihr den letzten Agrippina Band, der in Deutschland unter dem Titel "Fix und Fertig" herauskommt.
"Würde ich darin blättern, würde es mir wieder einfallen, aber so erinnere ich mich nicht. Außer, wenn ich es wieder lesen würde. Aber Deutsch verstehe ich ohnehin nicht, das würde nichts bringen."
In Frankreich kam der Comicband 2009 auf den Markt, deshalb erinnert sich die 75-jährige Comiczeichnerin nicht so genau daran: Agrippina verstreitet sich mit ihrer Großmutter, weil die ihr die megacoolen Stiefel aus Gürteltierleder vor der Nase weg kauft und verwünscht sie wütend.
Spott über den Alltag der modernen Frauen
Als Omi dann tatsächlich stirbt, fühlt sich Agrippina schuldig. Dabei ist Großmutter nicht wirklich tot. Und die Uroma macht derweil – statt über den Tod ihrer Tochter zu trauern - heimlich einen Graffiti-Kurs.
"Das ist unglaublich. In Wirklichkeit gibt es ja nicht viele Großmütter, die Graffitis machen. Damals malte mein Sohn Graffitis. Er hatte zwar nicht das Alter einer Oma, aber er gehörte zu einer Bande von Graffitikünstlern. Das ist ein paar Jahre her. Heute findet er Graffitis doof, so ändert sich das."
Claire Bretécher weist auf ein abstraktes Gemälde an der Wand, das von ihrem Sohn stammt. Die preisgekrönte Autorin macht sich lustig über den Alltag der modernen Frauen, ob sie sich mit anti-autoritärer Erziehung herumschlagen oder mit der Frage, wie und wo sie am besten nahtlos bräunen. Darum ging es auch in den "Frustrierten"-Bänden der 1970er-Jahre – fünf an der Zahl, die alle auf Deutsch übersetzt wurden.
Text und Zeichnung sind bei Claire Bretécher gleichberechtigt. Woher sie ihre Ideen für Bild und Dialog nimmt?
"Man stellt sich vor, dass Ideen überall um einen sind, aber für mich trifft das nicht zu. Das ist vielleicht bei talentierteren Menschen so. Ich will mich nur amüsieren. Aber es ist nicht leicht, eine Idee zu finden, die ein ganzes Heft füllt."
Die Seite 20, sagt Bretécher , sei oft die schwierigste.
"Ja, das geht meinen Kollegen genauso: Wenn wir auf der Seite 20 ankommen, reicht es uns. Wir haben genug von der Geschichte. Das kommt vor, ist aber nicht jedes Mal so."
Noch immer die erfolgreichste Frau in der Szene
Wie in jedem Agrippina-Band kommen vier Generationen von Frauen zu Wort: Die Jugendliche Agrippina und ihre Eltern. Diese sind derzeit mit ihrer Scheidung beschäftigt und haben ständig Sex, weil sie einander ja bald los sind. Dann die Omi, und die UGM: Die Urgroßmutter. Claire Bretécher hat das Leben der Frauen seit den 70er-Jahren mit ihren amüsierten Zeichnungen begleitet. Heute interessiert sie sich nicht mehr so sehr für die sogenannte Frauenfrage:
"Man hat soviel darüber geredet, dass ich davon genug habe. Als ich beim 'Nouvel Observateur' gearbeitet habe, machte ich zur Frauenfrage viele Zeichnungen. Heute ist mir das egal. Wenn irgendwo etwas Schreckliches geschrieben steht, merke ich das schon, und wenn ein Mann kritisiert, wie eine Politikerin gekleidet ist, finde ich das absolut grotesk. Ich hoffe, dass sich das heute keiner mehr traut."
Als ich sie darauf anspreche, dass sie in einem früheren Interview schwanger werden mit Krebs verglichen habe, wird sie lebhaft:
"Aber klar, es gab damals keine Pille, das war schrecklich. Ich habe das noch erlebt. Als ich jung war, war es tragisch schwanger zu werden. Tragisch. Heute hängt es davon ab, wo die Frau lebt. Aber in annähernd zivilisierten Ländern, wie den unseren, wird man heute im Prinzip schwanger, wenn man es möchte. Es gibt sicher Mädchen, die Dummheiten machen, aber das endet nicht tragisch. Das hoffe ich zumindest."
Heute ist Claire Bretecher nicht mehr die einzige Frau in der Comicszene, aber sie ist immer noch die erfolgreichste! Das Magazin "People With Money" hat sie soeben zur höchstbezahlten Comiczeichnerin der Welt ernannt. Allein im vergangenen Jahr habe sie 46 Millionen Dollar eingenommen. Mit ihren 75 Jahren ist deshalb unabhängiger als jemals zuvor:
"Wenn ich Lust auf etwas habe, kann ich es immer noch tun. Ich kann mich sogar selbst verlegen, so wie ich es früher gemacht habe. Aber zurzeit mache ich gar nichts. Ich trödele vor mich hin, ich bin nicht sehr dynamisch. Ich bereite eine Ausstellung für das Centre Pompidou vor, das beschäftigt mich ein bisschen."