Claudia Mönius: Religion ohne Kirche – 9,5 Thesen für ein erneuertes Christentum
Claudius Verlag, München 2020
208 Seiten, 18 Euro
"Es geht darum, das Göttliche in uns selbst zu finden"
10:51 Minuten
Kirche wegen Corona geschlossen? Die Autorin Claudia Mönius sieht darin kein Drama. In ihrem neuen Buch plädiert sie dafür, eigene Wege zum Glauben zu finden. Wie das gelinge, könne einem ohnehin keine Amtskirche vorschreiben.
Auch wenn sich die katholische Kirche mit dem synodalen Weg für Reformen öffnet: aus der Sicht vieler Christinnen und Christen wird sie immer realitätsferner. Die Autorin Claudia Mönius ist zwar Kirchenmitglied, übt aber deutliche Kritik. Sie wirbt für den heilenden Ur-Jesus und sieht die aktuellen Kirchenschließungen wegen Corona als Chance. Mit ihrem Buch "Religion ohne Kirche – 9,5 Thesen für ein erneuertes Christentum" möchte sie Menschen ermutigen, ihre eigenen Wege zur Spiritualität zu finden – auch außerhalb der Institution Kirche.
Ist die katholische Kirche reformierbar?
Christopher Ricke: Heute beschäftigen wir uns damit, wie sehr Religion unser Leben bestimmt und wie viel Anteil Kirche, also, die Amtskirche, daran überhaupt noch hat. Frau Mönius, ich sehe die katholische Kirche in Deutschland, die sich auf einen Reformweg gemacht hat, auf den synodalen Weg. Ich sehe den Papst Franziskus, der sich redlich müht, ich sehe viele, die sich wirklich anstrengen, die Amtskirche zu entwickeln. Ist es da nicht doch eher wohlfeil, die Kirche immer wieder zu bashen?
Mönius: Es kommt darauf an, was man unter bashen versteht. Ich sehe auch diese großen Anstrengungen, die unternommen werden von einzelnen, ich nenne da jetzt als Beispiel unseren neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz, den Bischof Bätzing. Ich finde, ein großartiger Mann, der wunderbare Anstrengungen unternimmt, um hier wirklich etwas auf den Weg zu bringen.
Aber man muss auch das Gesamtsystem sehen. Ich habe das Gefühl, dass manche Systeme, und da nenne ich in erster Linie jetzt mal die katholische Kirche, so abgedreht sind, dass es nicht mehr möglich ist, dass wir sie wirklich reformieren.
Spiritualität auf eigene Weise neu beleben
Ricke: Was ist da die Lösung? Umsturz, Verlassen, Flucht?
Mönius: Es ist die Frage, ob man die Kirche überhaupt so sehr in den Vordergrund stellen muss, eben die Amtskirche. Ich meine, wir haben eine wunderbare Religion, ich bin Christin durch und durch, wirklich mit Leidenschaft. Und ich glaube, es geht vor allen Dingen darum, Spiritualität neu zu beleben und sich wieder auf das zu besinnen, was unser Religionsstifter eigentlich auch wollte.
Ricke: Damit sind Sie bei Jesus Christus, aber in Ihrem Buch, da begegnet mir auch der Dalai Lama, da gibt es die buddhistische Forderung, die Dualität loszulassen, es gibt die These, dass es nur eine Konfession gibt. Das klingt schon so ein bisschen nach Synkretismus, also nach "Selbstbastelreligion".
Mönius: Zum einen würde ich mal sagen, dass es nicht nur eine rein buddhistische Forderung ist, diese Dualität aufzugeben. Wir können auch mal im Christentum gucken, denken wir an die großen Mystiker, denken wir an Theresa von Avila, Meister Eckhart.
Da war schon immer das große Credo, wir können das Göttliche in uns selbst finden, wir brauchen keine Mittler und wir brauchen schon gar niemanden, der uns sagt, wie es geht, sondern es geht darum, den ureigensten Weg und auch das Göttliche in uns selbst zu finden. Im Übrigen hat Jesus Christus auch nichts anderes vorgelebt.
Corona-Kirchenschließungen als Chance
Ricke: Na ja, aber es ist schwierig. Ich nehme mal einen Satz aus dem Familienkreis, den ich kürzlich erst gehört habe. Da sagte mir jemand: Aber dazu muss ich nicht in die Kirche gehen. Dumm ist nur: Wer das sagt, schneidet sich ja auch von dem Ort Kirche ab, der schneidet sich von der Gemeinschaft ab, dann ist es weg dieses gemeinsame Beten und Meditieren, dann ist sie weg, die Energie einer Wallfahrtskirche, dann ist er weg, der Gesang, der vielleicht das Herz erheben kann und tatsächlich zu einer Gotteserfahrung führen kann.
Mönius: Das sehen wir ja momentan bei einem ganz aktuellen Beispiel, es wird uns im Moment ja praktisch von außen abgeschnitten, wir können uns gar nicht mehr versammeln in diesen Kirchen. Gerade jetzt, denke ich, haben wir eine riesengroße Chance, das anders anzugehen.
Wir können uns natürlich verbinden, aber jetzt eben ein jeder für sich. Ich rufe gerade zusammen mit einer jungen Akademikerin dazu auf, dass wir jeden Abend uns jeder bei sich hinsetzen, um zu beten und zu meditieren unter dem Motto: Gemeinsam bitten, hoffen, wünschen.
Wenn abends um 21 Uhr jeder sich hinsetzt und wirklich auf seine Art und Weise betet oder singt, damit wir diese Krise auch gut überstehen, was soll denn daran Synkretismus sein? Ich würde sagen, nichts ist notwendiger als das, das brauchen wir.
Die Institution Kirche wirkt entrückt
Ricke: Aber ich komme noch mal zurück zur Kritik an der Kirche. Die kann ja berechtigt sein, durchaus begründet, aber muss ich die Kirche deshalb verlassen? Ich verlasse ja auch nicht das Gesundheitssystem, wenn ich da berechtigte Kritik dran habe.
Mönius: Sagen wir so, brauchen wir denn unbedingt die Kirche? Geht es darum, das System Kirche aufrechtzuerhalten, um gläubig zu sein, um eben Spiritualität zu entdecken? Ich sage ja auch nicht, man muss Kirche unbedingt verlassen. Ich denke, es ist alles besser als nichts.
Wenn wir uns jeder besinnen auf das, was ursprünglich gedacht war, was auch die christliche Lehre will, dann können wir selbstverständlich das auch als Kirche im Sinne von Versammlung um den Tisch des Herrn das Miteinander leben.
Aber in weiten Teilen ist die Amtskirche, sind die Amtskirchen oder die institutionalisierte Kirche ja so unendlich weit weg von dem, worum es eigentlich geht. Und dann schütten eben viele das Kind mit dem Bade aus, indem sie sich auch von Religion abwenden, weil sie das alles nicht differenzieren.
Reformen von innen gegen viele Widerstände
Ricke: Dann bleiben wir mal bei der Religion und wir bleiben auch ein bisschen bei der Amtskirche. Ich habe hier mal zwei Beispiele: Es gibt ja durchaus Versuche, die Botschaft Christi immer wieder in die Gegenwart zu holen. Da gab es von Heiner Geißler vor 17 Jahren ein Buch: "Was würde Jesus heute sagen? Die politische Botschaft des Evangeliums", das gab damals eine ziemliche Aufmerksamkeit.
Dann gibt es Versuche, die Texte neu zu übersetzen. Ich denke da an Norbert Lammert, der hat das Vaterunser übersetzt, ohne das so umstrittene "Und führe uns nicht in Versuchung". Da haben wir zwei prominente Christen, die durchaus für Reformen standen, die aber in der Kirche geblieben sind, die ihre Reformen von innen versucht haben.
Mönius: Ja, es gab ja noch viel mehr prominente Beispiele, die Reformen erst mal von innen versucht haben. Denken wir an einen Herrn Drewermann. Der wollte das auch von innen heraus reformieren, aber ist dann so stark ...
Ricke: Der ist ja draußen.
Mönius: Ja eben, nicht freiwillig! Also, der ist ja so stark an die Grenzen gestoßen, weil er eben sich so auf die Botschaft besonnen hat und weil er wirklich gesagt hat oder bis heute sagt: Worum geht es denn hier eigentlich und was ist denn die Grundbotschaft?
Also, es gab immer wieder Ansätze das zu reformieren oder daran zu erinnern, aber wenn sich Kirche eben immer wieder sperrt und noch immer auf unbarmherzigen Normen und Vorschriften beharrt – denken wir doch nur an den Umgang mit geschiedenen Menschen, mit wiederverheirateten Menschen, ich bin jetzt bei der katholischen Kirche.
Oder denken wir an diese unsägliche Missbrauchsdebatte und noch immer die Versuche, abzuwiegeln und zu vertuschen – da kann man doch irgendwann nur noch sagen: Leute, lasst es gut sein, kümmert euch um Spiritualität, aber orientiert euch nicht an dem Verhalten der Amtskirchen.
Das Göttliche in mir: christliche Mystik oder Esoterik?
Ricke: Wenn Sie als Christin sagen, kümmert euch um die Spiritualität, aber gleichzeitig auf das Geländer, auf den Rahmen, den die Amtskirche gibt, verzichten, wie groß ist denn das Risiko, dass das irgendwie so in Richtung Esoterik abrutscht, wo dann jemand sagt, ach, mit Jesus' Energie kann man auch Krebs heilen.
Mönius: Wissen Sie, ich mag schon diesen Begriff Esoterik nicht so gerne. Das ist ja auch ein weites Feld und immer wieder so ein Totschlagargument, um neue Ansätze im Keim zu ersticken. Gerade von Kirchenvertretern wird dieser Begriff sehr gerne verwendet, damit man die Leute linientreu hält, damit man wirklich immer wieder sagen kann: Nein, du musst es so machen, wie wir es vorschreiben.
Mir geht es darum, dass man sich immer wieder besinnt, dass man sich rückbesinnt, dass man in die Innerlichkeit geht, zum Beispiel über Meditation, auch über Gebet. Natürlich kann man auch in der Bibel lesen, das ist doch alles gar keine Frage, da stehen wunderbare Dinge drin. Aber es geht doch zuallererst darum, dass ich dem Göttlichen in meiner eigenen Innerlichkeit begegne und dass das für jeden auch etwas anderes sein kann.
Gotteserfahrung durch Trance
Ricke: Aber wie organisieren Sie das, wie macht man das? Es gibt ja – ich lasse den Begriff Esoterik jetzt weg – aber es gibt ja in einem bestimmten Milieu Menschen, die in die Hyperventilation gehen, die durch besondere Atemtechniken sich in Trance versetzen, und andere Beispiele gibt es da sicherlich auch noch. Ist das alles in Ordnung, dient das alles der christlichen Gotteserfahrung?
Mönius: Ich glaube, es gibt da keinen vorgegebenen Weg, ich denke, das Allerwichtigste ist, dass jede und jeder für sich schaut: Was will Gott mit mir, was ist mein Weg, wie finde ich zu diesem ureigensten Kern, der ja auch das Göttliche ist?
Das Göttliche ist ja in uns allen. Und ich glaube, Gott geht mit jedem und jeder einen ganz unterschiedlichen Weg. Und natürlich kann es sein, dass ein sich mit diesem von Ihnen beschriebenen Verfahren der Hyperventilation oder holotropes Atmen, so wird es auch genannt, dass er auch bestimmte Erfahrungen macht, die zu diesem All-Einen führen, Gotteserfahrung.
Es geht doch auch um ein Spüren von Gott und nicht nur um ein Hören und in der Ratio, im reinen Verstand begreifen, was wir ja letztlich sowieso nicht können.
Kurz vor dem erneuten Austritt
Ricke: Frau Mönius, Sie selbst sind ja in der katholischen Kirche groß geworden, Sie selbst sind Opfer sexueller Gewalt in der katholischen Kirche geworden. Sie sind ausgetreten, dann sind Sie wieder eingetreten. Es muss also auch für Sie etwas geben, was Sie da anzieht. Was ist das denn?
Mönius: Zum einen habe ich viele gute Erfahrungen gemacht innerhalb meiner katholischen Sozialisation, trotz der schmerzhaften und leidvollen Erfahrungen kann ich heute sagen, ich möchte es nicht missen, so groß geworden zu sein auch in dieser Gemeinschaft von Gläubigen, weil es auch sehr viel Stärkendes gab.
Ich bin dann tatsächlich sehr bewusst zunächst eben ausgetreten, hatte da auch meinen Glauben verloren, ich hatte mit Religion nichts mehr am Hut und habe den ganz langsam, allmählich, auch im Verlauf einer Psychotherapie wiederfinden können, weil ich gelernt habe, auseinander zu sortieren. Schmerzhafte, leidvolle Erfahrungen, aber auch Getragensein, auch von einer religiösen Gemeinschaft – und vor allem Glaube, Spiritualität, Kirche auseinander zu sortieren.
Ich bin wieder eingetreten, habe eben auch gute Begleiterinnen und Begleiter gehabt, stehe aber jetzt – 15 Jahre später – wieder an dem Punkt, wo ich mich frage: Kann ich diesem System wirklich noch länger angehören?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.