Claudia Weber: Der Pakt. Stalin, Hitler und die Geschichte einer mörderischen Allianz 1939-1941
C.H. Beck München 2019
276 Seiten, 26,95 Euro
Als Hitler und Stalin gemeinsame Sache machten
07:33 Minuten
Vor 80 Jahren wurde der "Hitler-Stalin-Pakt" geschlossen: Sowjetunion und Nazi-Deutschland teilten Ostmitteleuropa unter sich auf. Nun beschreibt die Historikerin Claudia Weber, in welchem Ausmaß die totalitären Regime tatsächlich kooperierten.
Am 23. August 1939 wurde in Moskau der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag unterzeichnet, der als "Hitler-Stalin-Pakt" in die Geschichte einging – und nach dem Krieg zumindest in Westeuropa der historischen Amnesie anheimfiel. Zum 80. Jubiläum dieses blutigen Experiments totalitärer Interessenverknüpfung schreibt die Osteuropa-Wissenschaftlerin Claudia Weber, Professorin an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder, in ihrem soeben erschienenen, skrupulös recherchierten Buch "Der Pakt":
"Das Bündnis zwischen Hitler und Stalin bestimmte die ersten 22 Monate des Krieges im Osten und Westen Europas. Dennoch kommt es oft wie ein Präludium daher, wie ein hinführendes Vorspiel zum 'eigentlichen' Krieg, der erst an jenem Julimorgen 1941 begonnen habe. In der teleologischen Sichtweise läuft der gesamte Krieg allein auf diesen Moment zu, in dem der Entscheidungskampf zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus aller Gewalt im Zeitalter der Ideologien Sinn verleihen sollte."
Der Pakt der Diktatoren
Was aber geschah zwischen Hitlers Einmarsch in Polen 1939 und seinem Überfall auf die Sowjetunion zwei Jahre später? In den – erst nach dem Zerfall der UdSSR publik gewordenen – geheimen Zusatzprotokollen wurde der östliche Teil Polens und das Baltikum Stalins Reich zugeschlagen, so dass am 17. September 1939 600.000 Soldaten der Roten Armee in diesen Teil Polens einmarschierten, während andere Einheiten die baltischen Staaten besetzten, wo dann auch sogleich die Massen-Liquidationen und Deportationen nach Sibirien einsetzten.
Gerade deshalb ist es Claudia Weber um die Vergegenwärtigung dieser verdrängten "Verflechtungsgeschichte" gegangen. Dem Besuch des Nazi-Außenministers Ribbentrop in Moskau folgte zum Beispiel die Visite einer offiziellen Sowjet-Delegation im besetzten Krakau, um mit dem dortigen "Generalgouverneur" Hans Frank die Details von Bevölkerungsumsiedlungen zu besprechen, oder ein Treffen von SS und sowjetischem Geheimdienst NKWD im Tatra-Ort Zakopane.
Mörderisches Pingpong
Der nachfolgende Massenmord an 22.000 polnischen Armeeangehörigen im Wald von Katyn erhält dadurch eine zusätzliche Schreckensdimension: "… denn Geheimdienst-Chef Beria schlug Stalin die Erschießung der polnischen Offiziere erst vor, nachdem der Versuch, sie auf der Grundlage des deutsch-sowjetischen Umsiedlungsabkommens in das Generalgouvernement abzuschieben, von den Deutschen abgelehnt worden war."
Opfer dieses mörderischen Pingpongs wurden auch jene fliehenden polnischen Juden, die am 2. Dezember 1939 in der polnischen Kleinstadt Hrubieszów "… unter den Maschinengewehrsalven der Deutschen und der sowjetischen Grenztruppen elendig starben."
Man liest nicht ohne Empörung, dass Geschehnisse wie diese bereits vor Jahrzehnten von polnischen Historikern aufgearbeitet worden waren, in Deutschland jedoch kein Aufsehen erregten, sondern mitunter sogar dem perfiden Verdacht ausgesetzt wurden, die Singularität des Holocaust zu relativieren.
Ein vermeintlich historisches Buch
Was ebenso in Vergessenheit geraten ist: die damaligen Kreml-Befehle an die dänischen und französischen Kommunisten, mit den nazideutschen Besatzern zu fraternisieren und eine Kampffront gegen das "imperialistische England" zu bilden.
Der allzeit willfährige Lyriker Johannes R. Becher, nach dem Krieg in der DDR Walter Ulbrichts Kulturminister, dichtete dazu sogar die passenden Huldigungszeilen an Stalin: "Nimm diesen Strauß mit Akelei / zum Zeichen für das Friedensband, das fest sich spannt zur Reichskanzlei."
Im August 1939 hatte Ribbentrop davon geschwärmt, dass "die deutsch-sowjetische Freundschaft nunmehr endgültig etabliert" sei und die beiden Nationen sich in osteuropäischen Fragen "niemals mehr hereinreden lassen" würden. Achtzig Jahre später sprechen vor allem Politiker der SPD mit Blick auf das expansionistische Putin-Regime noch immer vom "Nachbarn Russland" und erklären die aktuellen baltischen, ukrainischen und polnischen Ängste pathologisierend mit "historischer Sensibilität".
Selten zuvor war ein vermeintlich historisches Buch derart augenöffnend wie dieses.