Claus Leggewie über "Cancel Culture"

"Hier wird ja auf Verdacht randaliert"

06:33 Minuten
Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart auf der Bühne.
Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart wurde vom Hamburger Lesefest "Harbour Front" ausgeladen - angeblich aus Sorge vor Protesten. © Daniel Karmann/dpa
Moderation: Gabi Wuttke |
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Mit Sorge beobachtet der Politologe Claus Leggewie, dass Kulturschaffende nach Kritik im Netz bei Veranstaltungen ausgeladen werden. Er wünscht sich mehr Mut und Einsatz für die Meinungsfreiheit, die er durch zunehmenden Druck bedroht sieht.
Die österreichische Kabarettistin und Autorin Lisa Eckhart wurde vom Hamburger Lesefest "Harbour Front" ausgeladen, weil es angeblich Drohungen gegen die Veranstaltung gegeben habe. Kritiker werfen Eckhardt vor, antisemitische und rassistische Klischees zu bedienen. Eckhart ist aber nicht der einzige Fall, bei dem Wissenschaftler und Kulturschaffende nach Kritik im Netz wieder ausgeladen wurden.
Der renommierte Historiker Achille Mbembe hätte seine Eröffnungsrede zur diesjährigen Ruhrtriennale wahrscheinlich nicht halten können. Doch soweit kam es erst gar nicht, das Festival wurde coronabedingt ohnehin abgesagt. Auch der Kabarettist Dieter Nuhr bekam den Gegenwind aus dem Netz zu spüren. Sein Lob auf die Wissenschaft war von der Deutschen Forschungsgemeinschaft online entfernt und dann wieder eingestellt worden. Diese Form von Boykotten wird inzwischen von Kritikern als "Cancel Culture" beschrieben.

"Entmündigung eines mitdenkenden Publikums"

"Vieles was jetzt passiert, passiert auf der Basis blanker Gerüchte. Das ist die Entmündigung eines mitdenkenden und womöglich kritischen Publikums - und zwar im Schutz der Anonymität", sagt der Politologe Claus Leggewie. Die Veranstalter verhielten sich feige, weil sie sich dem Druck nicht aussetzten. Der Druck sei meistens virtuell, da gebe es zunächst Gerüchte. "Wenn wir so weitermachen, ist das ein Todesstoß für eine Gesellschaft, die auf Gedanken- und Meinungsfreiheit beruht," so Leggewie. "Hier wird ja auf Verdacht randaliert."
Der Politologe Claus Leggewie.
Der Politologe Claus Leggewie wünscht sich mehr Mut von Veranstaltern und Publikum .© imago images / teutopress
Das Buch von Lisa Eckhart, der Roman "Omama", sei nach noch gar nicht erschienen. Deshalb könne nur auf ihre früheren Wortmeldungen Bezug genommen werden. Diese passten bestimmten Leuten nicht und es werde Druck ausgeübt. "Das bedeutet, dass Kulturschaffende, die vom gesprochenen Wort leben, mundtot gemacht werden", kritisiert Leggewie. Man wolle sie virtuell töten und solche Wünsche seien von schwerster Aggressivität getragen: "Man möchte, dass Leute, die Meinungen haben, die einem nicht passen, der Schneid abgekauft wird, und man möchte sie zu Büßergesten veranlassen."

"Narzissmus der allerkleinsten Differenz"

Man müsse sich fragen, woher dieser "Wahn" komme, sagt Leggewie. "Es handelt sich meines Erachtens um einen Narzissmus der allerkleinsten Differenz." In der Regel seien dabei nicht ultrarechte und damit wirklich gefährliche Gegner unserer Gesellschaft und Demokratie im Visier, sondern es sei vielmehr ein Streit zwischen besonders Linken und anderen Linken oder zwischen Linken und Liberalen. Es gehe also um Ordnung im eigenen Lager.

Der Umgang mit Störern

Er habe zwar Verständnis dafür, dass ein Veranstalter nicht wolle, dass ihm die Bude demoliert werde. Aber seine Erfahrung zeige, dass es oft nur eine kleine Gruppe von Störern sei, die auch den Saal wieder verlasse, wenn das Publikum mutig genug sei. Sein Rezept gegen den wachsenden Druck lautet: Mehr Rückgrat von Kulturveranstaltern, die Artikulation der sogenannten schweigenden Mehrheit und notfalls polizeilicher Schutz von Meinungsäußerungen.

"Terror ohne Bekennerschreiben"

Diese "Sektierer", so Leggewie, hätten in der Regel keine Sprecher, sie träten als anonymes Kollektiv auf, ohne Transparenz oder elaborierte Begründungen, warum eine Veranstaltung angeblich nicht stattfinden könne. "Das ist voller paranoider Übertreibungen", sagt Leggewie. Es handele sich um einen "Terror ohne Bekennerschreiben", den man aus Revolutionen kenne. "Nur, dass im Moment gar keine Revolution im Gange ist, sondern eher die Reaktion auf dem Vormarsch ist".
(ckr)

Anmerkung der Redaktion: Das Harbour-Front-Festival hat sich zu weiteren Gesprächen mit dem Management und dem Verlag von Lisa Eckhart entschlossen. Auf Twitter hieß es, man habe einen Vorschlag unterbreitet, wie Lisa Eckhart weiter im Wettbewerb um den Klaus-Michael Kühne-Preis bleiben könne.
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