Clemens J. Setz: Bot. Gespräch ohne Autor
Suhrkamp Verlag, 2018
180 Seiten, 20,00 Euro
Oft verblüffend, manchmal Nonsens
"Bot. Gespräch ohne Autor" ist ein Interviewband mit Clemens J. Setz, bei dem er aber nicht antwortete, sondern für das die Antworten aus seinen Journalen zusammengesucht wurden. Ein unheimliches Vergnügen, meint unsere Kritikerin.
Clemens Setz wird bewundert und oft missverstanden. Die Welt, die der Grazer Autor erforschen möchte, ist nicht das Diesseits, sondern die digitalisierte Zukunft. Sein Traumjob wäre Dichter im Weltraum. Als der Verlag Clemens Setz fragte, ob er einen Interviewband mit der Herausgeberin Angelika Klammer machen wollte, scheiterte das Unternehmen am ungeordneten mündlichen Textstrom des Autors. Geschult an Theorien Alan Turings, Autoren wie Philip K. Dick und Douglas Hofstadter, kam Clemens Setz die Idee, das "Interview" aus seinen "Journalen" zusammenzusuchen.
Eine Denkbiografie
Angelika Klammer stellte also Fragen wie "Sammeln Sie Untergangsszenarien?", oder "Gibt es viel Nutzloses in Ihrem Tagebuch?" an die "Journale" und suchte sich selbst aus der Setz’schen Textmasse die Antworten. Die sind oft verblüffend, manchmal Nonsens, meistens interessant. Sie ergeben eine Art Denkbiografie des Schriftstellers. Untergangsszenarien findet Setz zum Beispiel im Katalog einer amerikanischen Roboterfirma, die Frage nach dem Nutzlosen im Tagebuch beantwortet er mit dem Bellen eines Hundes in der Hörbuchfassung von Thomas Manns "Tonio Kröger". Keine der Antworten ist direkt, Fragen provozieren eigene Geschichten. "Bot. Gespräch ohne Autor" von Clemens Setz gibt Einblick in die Gedankenwelt eines idiosynkratisch-empfindsamen Mannes, der Mathematik studierte und überkommenen Gewissheiten und den Menschen allgemein misstraut.
Die Antworten enthalten oft komische, immer überraschende Gedanken für eine zukünftige Welt. In seiner Gedankenwelt werden Kirchen zu Raumstationen, Roboter zu den neuen Gärtnern der Erde. In der Beziehung zwischen Roboter und Mensch sieht er die zentrale Zukunftslösung. Der Buchtitel "Bot" ist von "Roboter" abgeleitet. Bot ist auch ein Computerprogramm, das Fragen weitgehend automatisch beantwortet.
Der Autor als "Sadomodernist"
Clemens Setz, der physische (in jeder Stadt geht er in eine Apotheke) und vielleicht auch gedankliche Hypochonder, dem Tiere sehr am Herzen liegen, ist immer bereit, nach Belanglosem, wie die Veränderung von Sommersprossen unter Sonneneinstrahlung, zu fragen. Belanglos oder nicht, das sind keine Kategorien, die für ihn nicht existieren. Wer sich über Clemens Setz in dieser Antwortmaschine ein Bild machen möchte, trifft einen humorbereiten vielseitigen Autor. Antworten sucht er im Buch Hiob, in der Barockliteratur, in Schriften des 18. Jahrhunderts, blättert im Grimm’schen Wörterbuch und in Gebrauchsanweisungen für Roboter.
Er sei ein "Sadomodernist" liest Setz über sich selbst, was von ihm lakonisch mit "hm, schade" kommentiert wird. Am liebsten scheint ihm das Träumen und das nächtliche Reisen mit Google Street View durch verbotene Gegenden wie die Straßen des atomverseuchten Fukushima oder realen Reisen mit dem Zug. Der phantasiebegabte Autor gibt den Bildern der "alten" Welt neuen Drive. Niemand kennt die Zukunft, Clemens Setz formuliert sein brennendes Interesse am forschenden Spekulieren. "Bot. Gespräch ohne Autor" ist eine gemischte Antwortsammlung aus origineller Intelligenz und Zukunftsvisionen. Ein unheimliches Vergnügen.