Clemens Setz: "Der Trost runder Dinge"

Eine Lektion in Sachen "Normalität"

05:54 Minuten
Cover von Clemens J. Setz "Der Trost runder Dinge", im Hintergrund sind rote Tomaten zu sehen
Tomaten, Auberginen oder eine verschneite Stadtlandschaft – darin finden die Heldinnen und Helden von Clemens Setz Trost. © Suhrkamp/EyeEm/Brian Cockley/Collage: DLF Kultur
Von Daniela Strigl |
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Was ist "normal"? Die Heldinnen und Helden im Erzählungsband „Der Trost runder Dinge“ von Clemens Setz wissen es nicht. Der Autor schärft den Blick dafür, dass wir nicht alle dasselbe sehen – und so wird die Lektüre zum Abenteuer.
Der "allgemeine Trost runder Dinge", er zeigt sich für die Protagonisten in Clemens Setz' jüngstem Erzählband in Form von Auberginen oder Tomaten oder einer verschneiten Stadtlandschaft. Die Menschen sind des Trostes bedürftig, weil ihnen das Leben zu nahe und dabei zu Leibe rückt, weil sie unter der Wucht eines Schicksalsschlags wanken oder weil sie, allzu dünnhäutig, allzu fantasiebegabt, von klein auf unter Angstattacken leiden wie zum Beispiel Herr Zweigl in der Geschichte "Geteiltes Leid". Als Alleinerzieher zweier Buben wünscht er sich nichts sehnlicher als diese vernichtende Erfahrung mit ihnen zu teilen, ein pädagogisch eher problematisches Unterfangen.
Der Schriftsteller Clemens J Setz auf der Leipziger Buchmesse 2018.
Der Schriftsteller Clemens J. Setz auf der Leipziger Buchmesse 2018.© imago stock&people
Unorthodox ist auch die Methode, die sich Frau Mag. Annamaria Perchthaler ausgedacht hat, um ihren Sohn zu erreichen, der nach einem Unfall im Wachkoma liegt: Sie bestellt Call Boys zu sich nach Hause und bezahlt sie dafür, dass sie ihren Job im Angesicht des Kranken erledigen, was begreiflicherweise nicht jedermanns Sache ist, der höfliche Jürgen jedenfalls fühlt sich überfordert.
Zu viel wird die Zumutung, für normal zu halten, was nicht normal ist, in "Das Schulfoto" auch dem Vater eines Mädchens, der sich gegenüber der Direktorin rechtfertigen muss, warum er das Klassenfoto abbestellt hat – weil da auch Daniel drauf zu sehen ist, der Mitschüler, der in einer Art Apparat steckt und die übliche Form eines Kindes vermissen lässt: "Ich meine, das hier hat nicht mal einen Blick, es sieht aus wie eine Steckdose!"
Haarscharf an der Grenze zwischen Witz und Wahnwitz bewegen sich die meisten dieser Erzählungen, in denen Clemens Setz seinen Figuren mit mildem Verständnis auf ihren Wegen und Abwegen folgt. "Der Trost runder Dinge" erteilt uns eine Lektion in dem, was man so Normalität nennt: Setz‘ Helden und Heldinnen können im Grunde gar nicht bestimmen, was "normal" ist, und sie setzen es bei anderen nicht voraus.

Eine ganz eigenwillige Bildlichkeit

Als Epizentrum abweichenden Sozialverhaltens erscheint hier die scheinbar biedere steirische Landeshauptstadt Graz. In die brillante Eröffnungserzählung "Südliches Lazarettfeld" (die Adresse existiert wirklich) sind offensichtlich Erfahrungen eines reisenden Autors eingeflossen: Das Ich macht sich zu einem Treffen österreichischer Schriftsteller im kanadischen Banff auf, strandet jedoch bereits am heimatlichen Flughafen und muss bei der Rückkehr zu seiner Frau feststellen, dass das Abenteuer, das völlig Unerwartete sich nicht in der Ferne ereignet, sondern zu Hause.
Clemens Setz unterhält und irritiert auch durch eine ganz und gar eigenwillige Bildlichkeit (Flugzeuge, "ernst wie Fiakerpferde", ein Kater, "kompakt wie Brot"), durch die virtuose Spielerei einer Erzählung im typischen SPAM-Deutsch.
Er schärft den Blick, auch dafür, dass wir nicht alle dasselbe sehen. In der für Setz‘ Verhältnisse geradezu zarten Liebesgeschichte "Otter Otter Otter" entdeckt der Ich-Erzähler bei seinem ersten Besuch bei einer blinden Frau ein Gewirr von obszönen Sprüchen an den Wänden, von dem die Wohnungsinhaberin offenbar nichts weiß – "Otter Otter Otter" ist die einzige harmlose Beschriftung.
An anderer Stelle heißt es: "Das Leben dauert ja nicht ewig. Irgendwann ist es zu Ende, und man berechnet die Summe der erlebten Abenteuer." Dieses Buch wird man dazu zählen.

Clemens Setz: Der Trost runder Dinge
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
320 Seiten, 24 Euro

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