Trost trotz Abstand
07:58 Minuten
Bereits seit Jahren schenken die Rote Nasen Clowns in Kinderhospizen wie dem „Sonnenhof“ in Berlin-Pankow todkranken Kindern unbeschwerte Minuten. Studien belegen, wie wertvoll das ist. Zu Corona-Zeiten gilt das noch einmal mehr.
Jana Hampel und Laura Erceg-Simon stehen dicht voreinander. Mal hebt Laura ein Bein, dann Jana. Beide Frauen haben rote Clownsnasen auf den Nasen, auf Lauras Kopf sitzt eine gelbe große Schleife, Jana trägt rote kniehohe Socken. Die beiden Klinikclowns des gemeinnützigen Rote Nasen Deutschland e.V. bereiten sich auf ihren Rundgang im Hospiz "Sonnenhof" der Björn-Schulz-Stiftung in Berlin-Pankow vor.
"Ich habe noch so eine Übung, die gut ist, der stehende Storch." Jana und Laura besprechen sich, was sie gleich vorhaben.
Doch zuvor, vor jedem Besuch hier im Kinderhospiz, sagt Jana Hampel, stehe jetzt ein Coronatest an. Erst das Stäbchen tief in die Nase, dann heißt es im Foyer das Ergebnis abwarten. 15 Minuten später haben sich die Frauen komplett umgezogen – aus Jana wird Fräulein Schleife und aus Laura Friedel.
Vor dem eigentlichen Rundgang bekommen sie noch ein Briefing mit der Heilerziehungspflegerin Claudia Artl: "Wir haben zurzeit tatsächlich nur sechs Kinder. Mit vielen Familienmitgliedern und Geschwistern. Ich fange mit Charka an. Sieben Jahre, Zustand nach Stammzellentransplantation im August 2020, ist mobil, geistig fit. Wir haben vor ein paar Wochen angefangen, dass wir mit ihm Schulunterricht machen, also alles, was für die Vorschule ist. Dass wir ihn so ein bisschen vorbereiten. Der ist total wissensdurstig und wissbegierig."
Balance zwischen Nähe und Distanz
Laura fragt: "Ist er in Jasmin immer noch verliebt?", und Claudia Artl und sie scherzen: "Charka hatte zwischendurch schon mehrere Freundinnen. Er möchte sich nicht festlegen."
Bis zu zwölf Kinder – die hier Gäste genannt werden – können im Hospiz "Sonnenhof" aufgenommen werden, sagt Claudia Artl.
"Dann haben wir Amir. Acht Jahre alt. Hat eine Epilepsie mit einer bösartigen Neubildung. Da übernimmt größtenteils die Versorgung die Mama, die ist auch meist im Zimmer. Da muss man alle Angebote, was man mit ihm machen möchte, vorher mit der Mama absprechen.
"Kann er noch hören?", fragt Jana nach. "Ist fraglich", antwortet Claudia Artl, "aber wir gehen davon aus, dass er hören und sehen kann."
In diesen Zeiten ist die Frage wichtig, wie körperlich nah die Clowns den Kindern kommen können.
"Jetzt zu Coronazeiten darf das natürlich nicht so nah sein. Und wenn jetzt ein Kind nicht hört und nicht sieht, aber Berührung mag, ist es wichtig, dass man ihr nah kommt, und berührt. Aber natürlich immer mit Achtung. Ich würde jetzt ein Kind nie so anfassen, wie ich meine eigenen Kinder anfasse", sagt Laura.
Und Jana erzählt eine Geschichte, die sie noch immer berührt: "Und dann hatte ich auch mal ein Erlebnis bei einem Kind, das wir länger begleiten haben, und was ich ins Herz geschlossen hatte, und der auch selber Clown werden wollte, wenn er groß ist. Noch zwei oder drei Wochen vor seinem Tod war ich in seinem Zimmer, und er sagte: Fräulein Schleife, komm mal zu mir ins Bett, ich möchte dich umarmen. Dann bin ich in sein Bett, und er hat mich umarmt. Das war schön, aber ungewöhnlich."
Der Tod als Spielmoment
Es dauert nicht lange, da treffen Fräulein Schleife und Friedel auf Ibu. Der etwa siebenjährige Junge sitzt krumm im Rollstuhl, vor sich auf dem Tablett eine Schnabeltasse mit Saft. Ibu lächelt, als er die zwei Clowns sieht. Die tun so, als wäre zwischen ihnen und Ibu eine Scheibe, die jetzt geputzt wird.
"Wir brauchen Putzmittel... Da ist aber ein hartnäckiger Fleck", also noch mal putzen. Die Kinder lieben Slapsticks immer, sagt Laura, alias Clown Friedel: "Das ist erstaunlich, wenn man gegen eine Wand läuft, gegen eine Tür, alle lachen, das ist… die Schadenfreude ist doch die schönste Freude."
Und Jana ergänzt: "Wir hatten mal ein Kind, das hat uns absolut erzählt, wie das ist. Er war schon mal tot, und wenn man tot ist, dann ist man durchsichtig, und dann kann man durch Wände laufen. Da haben wir gesagt, ja, super, versuchen wir das mal. Dann hat er uns, glaube ich, totgeschossen, und dann haben wir versucht, durch Wände zu laufen - ging natürlich nicht. Und das war so ein schöner Spielmoment, da hat das so eine Leichtigkeit gekriegt, und war kein Tabu."
Die Kinder sind unruhiger geworden
Klamauk ist jetzt wichtiger denn je. Zurzeit erschweren die durch Covid-19 bedingten Hygienemaßnahmen die Arbeit der Pflegekräfte. Plastikkittel verhindern tröstliche Körperwärme, der Mundschutz verdeckt größtenteils das Gesicht, und die Mimik lässt sich nur erahnen. Die Kinder sind unruhiger als sonst.
Nur Ibu ist gerade glücklich. Denn heute sind seine Geschwister da. Seine kleinere Schwester wird sofort in das Clown-Spiel mit eingebunden.
Nicht immer, sagen beide Clowns, wäre das Verhältnis zu den Eltern der Kinder hier einfach: "Man begegnet manchmal auch hier Eltern, die daraus ein Tabu machen. Das muss man auch respektieren, man versucht dann nicht, sozusagen deren Grenze zu überschreiten, aber trotzdem bei sich zu bleiben."
Erlösung von jahrelangem Leiden
Im Untergeschoss des "Sonnenhof" ist der Abschiedsraum. Gleich hinter der Tür steht ein Kinderstuhl mit einem braunen Teddybären darauf. Hat der Teddy einen blauen Schal mit einer Sonne darauf um den Hals, sagt Claudia Artl, sei der Gast im Sonnenhof verstorben. "Ist der Schal grün, ist das Kind aus dem ambulanten Bereich, also wird wahrscheinlich in der Häuslichkeit betreut, und roter Schal bedeutet andere Einrichtung, Klinik. Es gibt ja auch die Möglichkeit, dass Kinder in der Klinik versterben und zu uns kommen."
Seit zwölf Jahren arbeitet Claudia Artl hier im "Sonnenhof". Auch wenn der Abschiedsraum freundlich und liebevoll möbliert ist, für manche Eltern, sagt sie, wirke er befremdlich: "Dann gibts auch immer die Möglichkeit, dass die Kinder in den Gästezimmern aufgebahrt werden, und dann stellen wir den Teddy einfach vor die Tür. Das ist den Eltern selber überlassen."
Auch in Corona-Zeiten hat sich an diesem Prozedere nichts geändert, denn alle Besucher des "Sonnenhofs" bekommen den Corona-Schnelltest, erst danach dürfen sie eintreten. Artl erzählt: "Wir als Kinderhospiz haben die Möglichkeit, die Gäste 72 Stunden aufzubahren. Das hat den Vorteil, dass auch Schulklassen, Eltern, Verwandte, sich ganz in Ruhe verabschieden können."
In der Mitte des Raumes steht die Bahre. Darauf liegt eine bunte, flauschige Decke. Für viele sei das Sterben oft eine Erlösung von jahrelangem Leiden, sagt Claudia Artl: "Ich finde es faszinierend, wenn man in die Gesichter der Kinder schaut, die verstorben sind, dann sieht man eine absolute Grundentspannung. Die ganzen Krampfleiden, die ganzen Spastiken, die vielen Medikamentengaben - das fällt alles so aus dem Gesicht raus. Die Kinder sehen einfach losgelöst und befreit aus."