Clowns und Querdenker

Von Ulrich Woelk · 17.05.2013
Ein falsches Wort und es folgt die große Schelte. Doch was wäre Politik ohne Ausrutscher? Wenn man sich an vergangene Politiker-Aussagen erinnert, dann sind es ja oft Anekdoten voll von politischen Unkorrektheiten und Ausrutschern, meint der Schriftsteller Ulrich Woelk.
In Meyers großem Taschenlexikon – ja tatsächlich, das steht trotz Wikipedia noch in meinem Bücherregal – heißt es in dem Eintrag über Clowns: "Die komischen Nummern des Zirkus-Clowns zeigen meist den tragikomischen Kampf mit der Tücke des Objekts oder dem überlegenen Gegner."

Wie wahr!, wird vermutlich auch Peer Steinbrück gedacht haben, als ihm sein Berlusconi-Clown-Vergleich medial um die Ohren flog. Ja, die Tücke des verbalen Objekts – an der sind schon eine Menge Politiker tragikomisch gescheitert. Nun gut, die Kunst der diplomatischen Rede ist eine der ältesten politischen Disziplinen überhaupt, aber ist es deshalb sinnvoll, bereits von einem Kanzlerkandidaten zu verlangen, sich der Selbstzensur der politisch-diplomatischen Korrektheit zu unterwerfen? Und wenn ja: Ab welcher Stufe der politischen Karriereleiter sollte man anfangen, sprachliche Vorsicht walten zu lassen?

FDP-Chef Philipp Rösler, von dem ganz sicher niemand annimmt, dass er je Kanzler werden wird, erging es nämlich kaum anders, als er in der Debatte über den NPD-Verbotsantrag erklärte, Dummheit lasse sich nun einmal nicht verbieten. Auch da sahen viele die Grenze des politisch Erlaubten überschritten. Die Mitglieder und Wähler einer rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Partei lediglich als dumm zu beschimpfen, sei verharmlosend oder zumindest zu salopp und oberflächlich.

Das war aber eigentlich kein Argument, sondern höchstens eine Tatsachenfeststellung: Politische Zuspitzungen, Pointierungen und Statements sind immer oberflächlich, weil sich komplexe Inhalte und Zusammenhänge nicht auf einzelne Sätze, Vergleiche oder Tweets reduzieren lassen. Sollen wir deswegen auf sie verzichten? Sollen wir deswegen stets nach der umfassenden Analyse verlangen?

Gewiss: Es soll nicht immer politischer Aschermittwoch sein. Und schon gar nicht möchte ich verbalen Attacken und Polemiken das Wort reden, die sich allzu gerne als frech und politisch unkorrekt gerieren, letztlich aber nichts anderes sind, als gezielte Geschmacklosigkeiten auf Kosten anderer. Aber ebenso wenig ist es gut für die politische Kultur, wenn alle Akteure immer schon die Schere der politischen Korrektheit im Kopf haben. Machen wir uns nichts vor: Gelegentliche Frechheiten, Übertreibungen und Zuspitzungen gehören im politischen Alltagsgeschäft dazu – sonst schlafen wir auf den Zuschauerrängen des interessierten Bürgers am Ende noch ein.

Im Übrigen zeigt sich immer wieder, dass die Verknappung von politischen Sachverhalten auf griffige Formeln eine unter parteipolitischen Gesichtspunkten durchaus heikle Angelegenheit sein kann. So bezeichnete jüngst der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, die solidarische Konstruktion des Länderfinanzausgleichs – immerhin im Grundgesetz verankert – als "absolut bescheuertes System" – eine Formulierung, die der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer gerne aufgriff und durch die Anmerkung ergänzte: "Wir sind solidarisch, aber nicht blöd."

Politik ist immer beides: Der Versuch, für bestimmte gesellschaftliche Problemstellungen Lösungen und Antworten zu finden, aber auch eine Inszenierung, ein Theater der Meinungen und Weltanschauungen. Wenn alle Beteiligten nur noch darauf achten, nichts zu sagen, was von einer wachsamen Öffentlichkeit gegen sie verwendet werden könnte, wird dabei etwas verloren gehen, was zu einer lebendigen Diskussionskultur gehört.

Sogar der Fauxpas erscheint vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht. Dass 1992 der seinerzeitige bayerische Ministerpräsident Max Streibl einen umstrittenen Polizeieinsatz gegen Demonstranten in München damit rechtfertigte, man habe halt "nach bayrischer Art etwas härter" zugelangt – daran erinnern wir uns nach mehr als 20 Jahren noch! Und dadurch hat der Ausrutscher ja vielleicht, gleichsam ex negativo, sogar etwas bewegt.

Zu reden bedeutet, spontan zu sein. Und spontan zu sein bedeutet, Fehler zu riskieren. Ich glaube – und dies gilt nicht nur für Politiker, sondern eigentlich für jeden, der sagt, was er denkt – wir sollten nicht versuchen, uns ständig zu kontrollieren. Wir verlieren dabei mehr an Lebendigkeit, als wir an Sicherheit gewinnen. Und wenn wir wirklich einmal total daneben liegen, dann berufen wir uns auf die Mutter aller politischen Frechheiten, die Konrad Adenauer nachgesagt wird: "Was geht mich mein Geschwätz von gestern an."

Ulrich Woelk, geboren 1960 in Köln, studierte Physik in Tübingen und Berlin. Sein erster Roman, "Freigang", erschien 1990 im S. Fischer Verlag und wurde mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Seit 1995 lebt Ulrich Woelk als freier Schriftsteller in Berlin. Seine Romane und Essays sind unter anderem ins Chinesische, Französische, Englische und Polnische übersetzt. Zuletzt erschien "Joana Mandelbrot und ich".
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Ulrich Woelk© Bettina Keller