Alternativkultur zwischen Spätzle und Bausparkasse
Vor 50 Jahren wurde in Schwäbisch Hall der Club Alpha 60 eröffnet. Zunächst gedacht als "Geselligkeitsverein", entwickelte er sich zu einem Treffpunkt für linke, alternative Kultur in der schwäbischen Provinz: Längst hat sich "Alpha 60" über Baden-Württemberg hinaus einen Namen gemacht als soziokulturelles Zentrum - mit Bar, Bühne und Programmkino.
Schwäbisch Hall. So heißt nicht nur eine bekannte Bausparkasse, so heißt vor allem ein pittoreskes Städtchen im Nordosten Baden-Württembergs. Mittelalterliche Fachwerkhäuser und ein Fluss namens Kocher prägen das Stadtbild. Im Sommer ziehen die Freilichtspiele viele Besucher an. Dann wird der Marktplatz und die imposante Treppe vor der St. Michaels-Kirche zum Theater.
Alternativer Freiraum in der Bausparer-Stadt
Die 39.000 Einwohner zählende Stadt ist stolz auf ihr Kulturangebot. Neben den Freilichtspielen ist die Kunsthalle Würth beliebt bei Touristen. Auch wirtschaftlich steht Hall, wie die Bewohner ihre Heimat nennen, gut da. Viele mittelständische Unternehmen sind hier angesiedelt.
Man könnte meinen, Schwäbisch Hall wäre eine von vielen beschaulichen Kleinstädten im Süden Deutschlands – wäre da nicht der Club Alpha 60: das älteste noch existierende soziokulturelle Zentrum Baden-Württembergs und eines der ältesten Deutschlands. Seit 50 Jahren bietet der Club einen Freiraum für alternative, niederschwellige Kultur.
Den Nerv der Jugend getroffen
Walter Müller, stadtbekannter Lokalpolitiker und inzwischen pensionierter Frauenarzt, gründete den Club Alpha 60:
"Ich war Student in Heidelberg und habe da so die Veränderungen in der Gesellschaft, im kulturellen Bereich, im politischen Bereich, mitbekommen, miterlebt und habe gedacht: Das will ich auch in meine Heimatstadt Schwäbisch Hall bringen! Ich habe dann noch andere Studenten gesucht, die mitmachten und wir haben dann zusammen diesen Verein gegründet."
Der Club traf den Nerv der Jugend. Hier konnte man Musik hören, Leute kennenlernen und diskutieren. So einen Ort gab es Mitte der 1960er Jahre nicht noch einmal in der Umgebung. Eine Bombendrohung, eine Polizeirazzia und ein Gemeinderat, der den soziokulturellen Club am liebsten geschlossen hätte, waren einige Widrigkeiten, mit denen die Betreiber in den 90er-Jahren zu kämpfen hatten.
Reibungen zwischen Stadt und Club
Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim sieht in den Reibungen zwischen Stadt und Club aber auch eine Erklärung, warum es das soziokulturelle Zentrum noch heute gibt:
"Sicherlich gehört auch dazu, dass es immer so einen Antagonismus gegeben hat. Aber der Antagonismus war nie so stark, dass man sozusagen gekündigt hat, oder dass man den Laden geschlossen hat. Ich glaube die Stadt ist mit dem Club gut gefahren und in dem Ergebnis, wenn man heute erfährt, dass es vielleicht der älteste soziokulturelle Club Deutschlands ist, ist offensichtlich der Club mit der Stadt auch gut gefahren."
Heute organisiert der Verein Konzerte, Lesungen und politische Veranstaltungen. Auch ein Programmkino wird von den ehrenamtlichen Mitarbeitern unterhalten. Inzwischen ist es ruhig geworden um den Club Alpha 60. Vielleicht liegt es daran, dass es nicht mehr so viele Tabus zu brechen gibt. Vielleicht haben sich die Schwäbisch Haller auch einfach an den aufmüpfigen Verein gewöhnt.
Abschied von der Übergangslösung
Ein anderer Grund ist der bevorstehende Umzug in neue Räumlichkeiten, der die Mitglieder vollkommen in Anspruch nimmt. Der ist auch dringend nötig, weil der Verein seit 30 Jahren in einer "Übergangslösung" untergebracht ist: Einer ehemaligen Kegelbahn, die sich direkt am Stadteingang befindet.
Ende des Jahres soll das marode Gebäude abgerissen werden. Der Club Alpha lässt sich so schnell nicht unterkriegen. Solange immer genügend Hände mit anpacken, wird es in Schwäbisch Hall auch weiterhin einen Ort geben, an dem alternative Soziokultur und schwäbische Provinz zu einer ganz eigenen Mischung verschmelzen.
Jessica Wieland, die seit Jahren im Vorstand aktiv ist, schaut in die Zukunft:
"Ich glaube, die Leute, die den Club nicht leiden können, werden ihn auch in einem neuen Gebäude nicht leiden können. Und die werden auch da was finden, was man in ihren Augen nicht richtig macht. Aber man macht das ja auch nicht für die Leute, die eh immer was Negatives sehen!"
(hum)
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