Fußballfans vergessen nie
Außenstehende greifen sich ratlos an den Kopf, wenn entfesselte Fußballfans wie verfeindete Klans verbal und oft auch körperlich aufeinander losgehen. Im Fall von Schalke 04 und Dortmund wird die Feindschaft seit vielen Jahrzehnten gepflegt.
Nicht erst seit 1971 hassen die Herthafans die Anhänger von Schalke 04. Ein DFB-Pokalspiel wurde am Grünen Tisch gegen die Hertha umgewertet. Die Berliner schieden aus, der Verein aus dem Ruhrgebiet kam eine Runde weiter. Während man in der Hauptstadt nicht vergessen kann, ist den S04-Fans das damalige Geschehen heute ziemlich egal. Klarer sind die Beziehungen zu Borussia Dortmund. Die Schalker nennen den BVB Lüdenscheid Nord, im Gegenzug wird Schalke 04 Herne-West genannt.
"Liebe deinen Nächsten" - gibt es nicht im Sport
Regionale Feindschaften ergeben sich fast von selbst. Das Gebot "Liebe deinen Nächsten" wird im Sport ins Gegenteil verkehrt. Wenn der HSV und Werder Bremen aufeinandertreffen geht es hart zur Sache, und man kann froh sein, wenn es bei Schmährufen bleibt. Neuerdings haben sich die Anhänger von Borussia Dortmund die Fans von RB Leipzig ausgeguckt. Sie fallen über sie her und veranstalten einen Protestmarsch. Man verachtet diesen ‚Brauseclub‘. Wen hassen eigentlich die Bayernfans?
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
"Wenn hier jetzt einer mit einem Schalke-Trikot in Dortmund wär, der würd sich natürlich vieles anhören müssen. Das würde ich auch keinem raten jetzt, genauso umgekehrt, ich meine, so naiv wird auch keiner sein."
Thilo Dianielsmeyer, Leiter des Fanprojektes von Borussia Dortmund. Der Mann sitzt in einem Büro nahe der Innenstadt, draußen pulsiert der Verkehr. Zu Spieltagen treffen sich dort alle möglichen Fans des BVB, auch Ultras, die vor der Tür schon einmal von Hooligans des eigenen Vereins attackiert wurden. Anhänger anderer Vereine lassen sich hier nicht blicken. Ebenso wird sich kaum ein Fan von Borussia Dortmund im Trikot nach Schalke wagen.
"Würde ich jetzt nicht unbedingt machen, man muss ja die Leute auch nicht provozieren, dann würde man für Aufsehen sorgen, das muss nicht sein."
Schalke-Fan: "Ich würd aber nie dat Dortmunder Stadion betreten."
Zwei Gestalten von der Gegenseite, in blau-weiß.
Schalke-Fan: "Schon aus Prinzip nicht, und ich fahr auch nicht mehr von diesem Bahnhof ab. Hab ich mir auch geschworen. - Umsteigen ist da unmöglich. Also die Luft ist so schlecht da, da steigen wir in Bochum oder Hamm um. Ich sag immer, wenn wir da durchfahren, wir müssen die Luft anhalten."
Eine jahrzehntelange Animosität, die gepflegt wird
Borussia Dortmund und Schalke 04 können getrost als Paradebeispiel dafür herhalten, wenn Fans sich gegenseitig nicht riechen können. Sie hängen sich zu sehr auf der Pelle. Eine jahrzehntelang gewachsene, nachhaltige Animosität, die natürlich auch gepflegt wird.
Schalke-Fan: "Dat ist nur auf die Enge eben, man mag sich einfach nicht, ne. Also 20 Kilometer liegen die Stadien wirklich auseinander, und dadurch diese Enge .zueinander. Man ist entweder Schwarzgelb oder Königsblau oder so Exoten wie Bochum dazwischen. Da haben wir gar kein Problem mit - Rot Weiß Essen hatten wir damals noch Riesenprobleme gehabt, als die oben gespielt hatten, aber das war eben auch diese Nähe."
Regionale Feindschaften ergeben sich fast von selbst. Das Gebot "Liebe deinen Nächsten" wird im Sport ins Gegenteil verkehrt:
"Das ist 1860 und Bayern München, das ist St. Pauli und HSV, das ist Manchester City und Manchester United, FC Everton, Liverpool und und und, und das kennt man ja sogar bis in die Kreisliga rein."
Manuel Andrack. Autor von Wanderbüchern und aber auch von Abhandlungen über den Wahnsinn, Fan zu sein. Er hockt in einer Kölner Kulturkneipe und plaudert aus dem Nähkästchen.
"Das ist ne Geschichte, die hab ich von meinem Cousin, der Hannover 96 Fan ist. Es gibt da ja eine große Fanrivalität zu Eintracht Braunschweig, und da gibt es die schöne Geschichte von dem Braunschweiger Fan, der eben einen Supermarkteinkauf macht, und dann am Ende 30,96 zahlen soll, 30 Euro, 96 Cent, und sich weigert, und sagt: Nix mit 96, und dann nimmt er halt noch einen Kaugummi für 99 Cent, und dann steht am Ende eine andere Zahl und das kann er dann beruhigt zahlen, aber 96 geht gar nicht."
"Je physisch näher, desto größer die Rivalität"
Die Rivalitäten reichen bis in die letzten Winkel der Republik. Auf jedem Acker finden sich Fans, die einen Nachbaracker kennen, auf dem sich lauter Idioten tummeln.
"Gehen Sie mal auf die Dörfer, und wenn ich also meine Fußballlesung in kleineren Orten und Städten mache, und dann frage ich, was ist denn euer in Anführungszeichen Lieblingsclub, und dann schreit der ganze Saal: Das ist Unterortingen, ja, also das ist ganz klar, wer da irgendwie, wo es Derbies gibt, wo es Animositäten gibt, wo es teilweise bei Fußballspielen in ne Art Kirmesschlägerei ausartet, das hat man auf allen Ebenen das Phänomen. Und ist klar: Je lokal, je physisch näher man dem anderen ist, desto größer ist die Rivalität."
Wenn der HSV und Werder Bremen aufeinandertreffen, geht es hart zur Sache, und man kann froh sein, wenn es bei Schmährufen bleibt. Auch die Fans des 1. FC Köln und von Borussia Mönchengladbach sind sich spinnefeind, und wenn die Anhänger beider Mannschaften nach dem Spiel zufällig an einer Autobahnraststätte aufeinandertreffen, wird es kreuzgefährlich.
Schalke-Fan: "Die schlimmsten Fans, die ich hier kennengelernt habe, sind die Ultras von Frankfurt, und die Kölner. Die Kölner sind sowas von unanständig, aber ich sage: immer nur die Ultras. Nicht der normale Kölnfan. Sondern das sind wirklich Extremgruppen."
Die meisten Auseinandersetzungen laufen verbal ab
Manuel Andrack: "Eigentlich sind es schon Feindschaften. Also das muss man sich auch nicht schönreden, viele leben das auch so wie ne Art Ersatzkrieg, ne. Also früher ist man mit Hurra an die Front gefahren, und hat irgendwie irgendwelche Erbfeindschaften mit Franzosen und so`n Schwachsinn ausgefochten, das gibt`s Gott sei Dank nicht mehr, aber da ist natürlich irgendwie für viele junge Männer etwas anderes an die Stelle getreten, und das ist natürlich die große Identifikation mit ihrem Verein, dass anscheinend auch immer ein Feindbild gebraucht wird, und das ist dann eben der liebste Hassverein sozusagen."
Um es klar zu haben: Die meisten Auseinandersetzungen laufen verbal ab, und die Beschimpfungen muss man nicht unbedingt ernst nehmen, es sind im Grunde nicht mehr als Neckereien, im Stadion, am Arbeitsplatz, in der Kneipe, und man kann bei allen Lästereien noch immer mit einem schelmischen Lächeln auseinandergehen.
"Fußball ist in Dortmund viel mehr als Sport"
Aber manchmal wird es grundsätzlich. Wenn die sogenannte Fußball-Philosophie nicht mehr stimmt. Wenn plötzlich ein Brauseclub in der Tabelle vor dem Verein steht, dessen Fans sich vornehmlich von Pils ernähren.
Thilo Danielsmeyer: "Fußball ist in Dortmund viel mehr als Sport. Fußball ist ein Stück Gesellschaft, ist gewachsen hier über lange Jahre, und da fühlen sich die Menschen halt bedroht. Dass ein Plastikklub ihnen jetzt die Vorherrschaft wegnimmt, ist ein großer Wandel, den die Menschen hier nicht nur im Ruhrgebiet, sondern in ganz Deutschland mitgemacht haben, nichts ist konstant, aber was hier im Ruhrgebiet geblieben ist, ist der Fußball und BVB und S 04. Das gibt`s seit 50 Jahren, alles andere hat sich total gewandelt. Und daran wollen die Leute festhalten. Und da soll nicht für sie dieser Plastikklub RB Leipzig kommen und ihnen das wegnehmen. Und deshalb diese Rivalität, auch der Hass, der denen entgegenschlägt."
(mkn)