Raven in der Cloud
29:48 Minuten
Die Tanz- und Techno-Tempel in Berlin werden wohl die letzten sein, die nach dem Lockdown wieder öffnen dürfen. Viele Feierwillige haben sich seit März draußen Alternativen gesucht. Doch was bleibt davon im Winter übrig?
Es ist nicht besonders schwer, den Club ohne Tür zu finden. Immer der Musik nach: Es ist Mitte August, ein Samstagabend 23 Uhr, ich schlendere durch die Hasenheide. Überall auf den Wiesen des riesigen Parks zwischen Berlin-Kreuzberg und Neukölln sitzen Leute in kleinen Gruppen zusammen. Auf ihren Decken Kerzen, Lichterketten, Bier. Doch Party und Rave findet an dieser Stelle des Parks nicht statt, erzählt mir eine junge Frau, die hier mit ein paar Leuten zusammensitzt.
Ich flaniere weiter durch die Nacht – nach ein paar Minuten ist das erste Bummbumm zu hören, auf einer kleinen Wiese hinter einer Baumgruppe, tanzen etwa 15 Leute um eine Akkubox. Alle sind um die 20, alle nicht mehr ganz nüchtern.
Der junge Mann in weißem T-Shirt und schwarzen Shorts ist nicht zum ersten Mal hier. Er wohnt in der Nähe, für ihn ist die Hasenheide seit ein paar Wochen sein Lieblingsclub, erzählt er und wippt dabei mit dem Oberkörper zu den Beats.
"Es ist ja auch bewiesen, dass unterm freien Himmel die Infektionsrate gleich null ist. Der Berliner Senat hat jetzt ein Gesetz auf dem Tisch, ob die Clubs Open Airs machen können. Ich fände das auch geil, aber bis dahin haben wir die Hasenheide."
Tanzen trotz Corona
Nach und nach füllt sich die kleine versteckte Wiese mit immer mehr Leuten, überall tanzen jetzt kleine Grüppchen zu ihrer Musik. Vor einer größeren Box bewegen sich vielleicht 50, 60 Raver, der DJ, ein hoch gewachsener Brasilianer mit nacktem Oberkörper scrollt durch die Playlist auf seinem Handy. Er winkt ab, als ich mit ihm reden will.
Ich spreche eine Gruppe junger Frauen an, die auf den gerade entstandenen Dancefloor zusteuert. Die drei sind Lehrerinnen aus NRW – für ein langes Wochenende in Berlin. Und wie in coronafreien Zeiten – gehört für sie Tanzen auch jetzt dazu: "Wir versuchen, uns immer an die Abstandsregelungen zu halten. Natürlich ist es nicht immer so einfach."
Reporter: "Könnt ihr die Kritik daran verstehen, dass hier gefeiert wird?"
"Ja komplett. Aber ich finde, es ist auch viel so das eigene Abwägen. Bei der Frage gibt es wenig richtig oder falsch. Es ist so emotional aufgeladen. Ich zum Beispiel arbeite von zu Hause und habe auch keine Risikopatienten um mich rum. Bei anderen ist das anders. Die Gruppen sind auch überschaubar hier. Aber ja: Es ist auch schwer zu verteidigen. Es ist schwierig, das zu verteidigen."
"Ja komplett. Aber ich finde, es ist auch viel so das eigene Abwägen. Bei der Frage gibt es wenig richtig oder falsch. Es ist so emotional aufgeladen. Ich zum Beispiel arbeite von zu Hause und habe auch keine Risikopatienten um mich rum. Bei anderen ist das anders. Die Gruppen sind auch überschaubar hier. Aber ja: Es ist auch schwer zu verteidigen. Es ist schwierig, das zu verteidigen."
Schon seit März, seit die Berliner Clubs coronabedingt dichtmachen mussten, wird hier in der Hasenheide gefeiert. Anfangs unter dem Radar, bis im Mai die ersten Journalisten auf die Lichter und die laute Musik aufmerksam wurden. Seitdem sind die Hasenheide und deren nächtliche Besucher zum Inbegriff der Corona-Sorglosigkeit geworden, viele würden auch sagen, Verantwortungslosigkeit.
Im Park gibt es keine Türsteher
Es ist inzwischen kurz nach eins, in normalen Zeiten füllen sich jetzt die Berliner Clubs. Und so ist es auch ein bisschen an diesem Abend. Immer mehr Leute strömen auf die Wiese – und ins Epizentrum des grünen Clubs in Berlin: den Wald. Hinter der Wiese beginnt ein Dickicht aus Büschen und hohen Buchen – Hunderte Meter in den Park hinein. Ich folge der Menge auf den ausgetretenen Pfaden, überall leuchten sich Feierwillige mit Handylampen ihren Weg.
Nach ein paar Metern kommen wir auf den "Hauptfloor" der Hasenheide, eine Lichtung mitten im Wald, knapp 100 Leute tanzen hier. Am Rand der Lichtung stehen fast nur Männer, alle muskulös die Oberkörper nackt, küssen umarmen sich. Schon vor Corona war hier im Dickicht der Heide ein Treffpunkt für schwule Männer - für Party und unverbindlichen Sex.
Jetzt trifft diese Szene auf Grundschullehreinnen aus NRW, Jugendliche, die nur mal gucken wollen – und Obdachlose, die hier im Park leben. Die Hasenheide ist ein Schmelztiegel – Türsteher gibt es hier nicht.
Plötzlich verstummt die Musik, die Menge verschwindet ins Dickicht. Vier sehr helle Punkte nähern sich der Lichtung. Die Polizei. Die Beamten leuchten ein paar Minuten in den Wald hinein, dann ziehen sie sich wieder zurück. Zehn Minuten später ist die Musik wieder an: "Die Hasenheide müsste eigentlich … Katz-und-Maus-Heide heißen."
Sitzen erlaubt, Tanzen verboten
Normalerweise ist der Außenbereich des Berliner Clubs About Blank ein kleines Chillout-Paradies. Zwischen Bäumen und Büschen stehen Himmelbetten, es gibt eine Außendusche und Sitzflächen aus Europaletten – auf denen sich die Clubgänger nach dem Tanzen in großen Gruppen ausruhen.
An diesem warmen Samstag im August sitzen die Gäste zu dritt oder zu viert brav separiert an Tischen. Wenn sie einer anderen Gruppe zu nah kommen, oder an der Bar Getränke holen, setzen sie ihre Maske auf. Sektgarten nennt das Blank diese Veranstaltung - es ist der Versuch, Clubleben und Corona irgendwie kompatibel zu machen, erzählt mir Elisabeth Steffen, sie gehört zum Kollektiv, das den Club leitet.
"Wir haben ja Mitte März schließen müssen und konnten auch keine Partys mehr veranstalten – dann gab es ja irgendwann die Verordnung, dass Restaurants und Biergärten wieder öffnen dürfen – dann haben wir gesagt, ok machen wir einen Sektgarten, damit unsere Gäste wieder herkommen können und unsere Künstler wieder spielen können", sagt sie.
Reporter: "Die Leute sollen also sitzen und nicht tanzen?"
Elisabeth Steffen: "Ja, wir achten auch drauf, dass die Abstände eingehalten werden, keine großen Gruppen an den Tischen entstehen, wenn jetzt eine Person am Tisch steht und bisschen mit den Füßen wippt, wird die nicht gleich gezwungen, sich wieder hinzusetzen, aber wir achten darauf, dass kein Pulk auf der Tanzfläche entsteht. Weil wir finden, dass es einfach eine riskante Situation ist, wenn viele Leute zusammenkommen."
Elisabeth Steffen: "Ja, wir achten auch drauf, dass die Abstände eingehalten werden, keine großen Gruppen an den Tischen entstehen, wenn jetzt eine Person am Tisch steht und bisschen mit den Füßen wippt, wird die nicht gleich gezwungen, sich wieder hinzusetzen, aber wir achten darauf, dass kein Pulk auf der Tanzfläche entsteht. Weil wir finden, dass es einfach eine riskante Situation ist, wenn viele Leute zusammenkommen."
Die Krise als Spielfeld für Investoren
Reporter: "Wie würdest du die Situation der Clubs insgesamt beschreiben – ihr habt ja die Möglichkeit, outdoor was zu machen, andere haben das gar nicht?"
Elisabeth Steffen: "Ich sehe zwei Tendenzen, die sich entwickeln, einerseits eine Abwanderung in den Underground, selbstorganisierte Raves. Auf der anderen Seite sieht man jetzt schon, dass diese Krise ein Spielfeld für Investorinnen ist und noch stärker werden kann in den kommenden Monaten, dass Clubs von größeren Unternehmen übernommen werden und es eine noch stärkere Kommerzialisierung gibt."
Elisabeth Steffen: "Ich sehe zwei Tendenzen, die sich entwickeln, einerseits eine Abwanderung in den Underground, selbstorganisierte Raves. Auf der anderen Seite sieht man jetzt schon, dass diese Krise ein Spielfeld für Investorinnen ist und noch stärker werden kann in den kommenden Monaten, dass Clubs von größeren Unternehmen übernommen werden und es eine noch stärkere Kommerzialisierung gibt."
Inzwischen hat die DJane die Musik lauter gedreht – einige Sektgartenbesucher tanzen jetzt zwischen den Tischen vor der Bühne. Sie werden aber nach ein paar Minuten vom Personal wieder zu ihren Sitzen gebeten. Tanzen ist hier wirklich nicht.
Ein schwüler Sonntagnachmittag Ende August. Ich stehe in einem Labyrinth aus halbhohen Absperrgittern – neben mir Raverinnen im Bikini, Raver oben ohne. Der Außenbereich des Berliner "Club Ost" in Alt-Treptow. Ich bin auf einem völlig legalen Rave – seit einigen Wochen trauen sich die ersten Veranstalter in Berlin wieder Partys zu organisieren, bei denen auch getanzt und nicht nur am Tisch gesessen werden darf. Natürlich mit Hygienekonzept.
Überall haben die Veranstalter Eisengitter aufgestellt, so Laufwege abgegrenzt und Tanzquadranten angelegt. Damit die Raver auf Abstand bleiben und nicht alle vorne am DJ-Pult tanzen.
"Na ja, ich würde mal sagen, ein Rave sieht anders aus. Es ist ein guter Anfang, ich hoffe, dass wir noch Regelungen finden werden, unsere Kultur noch ein bisschen authentischer auch unter Corona-Bedingungen ausleben zu können."
Reporter: "Was fehlt dir denn?"
"Grundsätzlich erst mal Leute! Und ein bisschen die Ausgelassenheit. Man merkt schon unter Corona-Bedingungen, die Leute sind sich schon auf eine Art nah, aber es ist eine gedrücktere Stimmung als sonst."
Reporter: "Was fehlt dir denn?"
"Grundsätzlich erst mal Leute! Und ein bisschen die Ausgelassenheit. Man merkt schon unter Corona-Bedingungen, die Leute sind sich schon auf eine Art nah, aber es ist eine gedrücktere Stimmung als sonst."
"Die Indianer tanzen zu 160 Bpm"
Es ist kurz vor 18 Uhr, der Außen-Club füllt sich langsam. Denn in zwei Stunden legt hier eine Legende der Berliner Technoszene auf: Dr. Motte, der Erfinder der Loveparade. In den letzten Monaten hat er nur in seinem Wohnzimmer aufgelegt und gestreamt – jetzt spielt er wieder vor echtem Publikum.
"Es ist unsere Kultur, wir haben das entwickelt", sagt er. "Ich bin ja DJ seit 1985, es gehört einfach dazu, dass die Menschen tanzen wollen das ist in unseren Genen drin, das machen wir seit Menschengedenken. Die Indianer tanzen zu 160 Bpm – dieses Bumm, Bumm, Bumm, Bumm – tagelang, und kommen in Trance und wir machen das auch tagelang und kommen in Trance. Weil wir in Resonanz gehen mit dem ganzen Frequenzspektrum, dass die elektronische Tanzmusik gerade perfekt darstellen kann. Und wir wollen das mit allen anderen genießen. Wir müssen aber erst mal gucken, dass wir es open air irgendwie hinkriegen und es auch durchziehen. Und dann ist das Wetter auch egal, wir ziehen uns dann auch Regenklamotten an, aber wir wollen diese Musik genießen."
Reporter: "Das heißt, Open Airs bis November?"
Dr. Motte: "Nee, wir ziehen das durch."
Reporter: "Komplett?"
Dr. Motte: "Würde ich sagen, ja! Dann müssen wir halt auch Glühwein ausschenken. Ich habe da kein Problem mit – weiter tanzen!"
Dr. Motte: "Nee, wir ziehen das durch."
Reporter: "Komplett?"
Dr. Motte: "Würde ich sagen, ja! Dann müssen wir halt auch Glühwein ausschenken. Ich habe da kein Problem mit – weiter tanzen!"
Es ist Oktober, Tag der Deutschen Einheit – ein warmer Herbstnachmittag. Nach wie vor ist Corona das alles bestimmende Thema, jeden Tag wachen wir mit neuen Zahlen auf - doch die sind noch moderat, etwa 1000 Neuinfektionen pro Tag – so mancher hofft, dass Deutschland um die zweite Welle herumkommt, Weihnachten alles wieder gut ist.
Der Club als Gesamtkunstwerk
Bekleidet in einem transparenten Glitzerbody wacht die "Wächterin der Disco" über die Wilde Renate. Drei Fragen müssen wir hier beantworten, um in die nächsten Räume zu kommen.
Meine Begleiter und ich haben die korrekten Antworten parat und kommen an der Performerin des queeren Künstler-Kollektivs "Bad Bruises" vorbei in den nächsten Raum: ein Meer aus Discokugeln, dann in eine Bar, getaucht in dunkles rotes Licht. Sie wird geführt von einer unheimlichen Person, halb Mensch halb Roboter.
Die Wilde Renate: Der Friedrichshainer Club, in dem normalerweise bunte Elektro-Partys gefeiert werden, ist an diesem Samstagnachmittag ein Gesamtkunstwerk. Die Tanzflächen sind unterteilt in kleine, verwinkelte Räume, in jedem einzelnen eine Performance oder Installation. "Overmorrov" heißt die immersive Ausstellung, die die Künstler um Kurator Benjamin Strafe hier geschaffen haben. Das Performance-Festival ist Teil des Tags der Clubkultur.
Die Berliner Clubs haben den Tag der Deutschen Einheit für sich umgewidmet, um ein Lebenszeichen zu senden. Hallo, wir sind noch da – wenn auch anders, erzählt der Kurator der Ausstellung zwischendurch im Außenbereich der Wilden Renate, wo die Gäste an diesem Nachmittag beim Bier sitzen, statt zu tanzen.
"Wir haben mit der Renate gequatscht und überlegt, was wir Sinnvolles mit dem Ort hier machen können", sagt er. "Und da es auch schon ein paar Kunstprojekte davor in Berlin gab, die in leeren Clubräumen waren, dachten wir, es ist eine geile Idee, eine Ausstellung zum Thema zu machen und so viele Künstler von uns zu involvieren wie möglich und so viele Arbeitsplätze wie möglich zu schaffen."
Schon seit einigen Wochen läuft die Performance-Ausstellung jetzt hier in der Renate, erzählt der Kurator. Der Club kann damit ein paar Einnahmen generieren, 70 Performer ihre Miete zahlen.
Kultursenator im Kitkatclub
Ein paar Kilometer weiter streift Berlins Kultursenator Klaus Lederer durch den verwinkelten Keller des Kitkatclub. Hier in den Darkrooms, wo in coronafreien Zeiten sexpositive Partys laufen, haben nun Künstler und Fotografen eines Party-Kollektivs ihre Werke ausgestellt.
"Wir erleben ja heute in allen Clubs, das, was normalerweise in diesen Clubs nicht stattfindet, denn die Clubs sind ja zu", sagt er. "Deswegen haben sich alle überlegt teils auch in Zusammenarbeit mit Künstlerkollektiven, was können wir machen. Also ich bin einfach neugierig. Ich war jetzt auch beim Kitkatclub neugierig, weil, ich war schon im Kitkatclub, aber natürlich unter anderen Umständen. Und ich finde es total interessant, was sich die Kollektive ausgedacht haben, um einfach eine Clubkultur sichtbar zu machen, ohne dass es zu dem kommen kann, was in den Clubs normalerweise passiert, was pandemiebedingt nicht geht. Es ist auch ein bisschen verrückt, dass Menschen, die normalerweise Räume für Kontrollverlust und Feiern öffnen plötzlich sich Gedanken machen, wie sichere ich in meiner Einrichtung Hygieneregeln ab."
Der Berliner Kultursenator hat den Tag der Clubkultur ins Leben gerufen: 40 ausgewählte Clubs und Kollektive haben an diesem Tag ihre Pforten geöffnet – die meisten zum ersten Mal überhaupt seit Beginn der Pandemie.
"Die Clubs waren die Ersten, die zu gemacht haben und sie werden die Letzten sein, die aufmachen und das wissen sie auch", sagt er. "Die Clubbetreiberinnen haben in den letzten sechs Monaten in enger Kommunikation mit uns darüber nachgedacht, wie kann man die ökonomische Sicherheit bis zu dem Zeitraum gewährleisten, wo Clubbing wieder geht. Das wird noch eine ganze Weile dauern. Und in dem Zusammenhang haben wir über Soforthilfen nachgedacht, haben Soforthilfen etabliert, die die Liquidität sichern sollen. Und der Tag der Clubkultur ist eben eine Art Lebenszeichen."
Hell erleuchteter Darkroom
Im Raum nebenan hat inzwischen eine erste DJane ihr Set begonnen. Die Tanzfläche ist noch verwaist, nur zwei Männer Ende 20 sitzen in einer Ecke, nippen an ihren Gin Tonics. "Unser Hauptgrund, hier zu sein, ist Clubunterstützung. Irgendwie versuchen: Nach dieser ganzen Scheiße muss dieser Club weiter bestehen bleiben. Wir brauchen ihn, sonst kann ich auch in Pforzheim leben."
Vor Corona waren sie fast jede Woche hier feiern, erzählen sie. Ein bisschen seltsam sei es schon, jetzt im hell erleuchteten Darkroom zu sitzen. Aber - besser als nichts: "Die Ausstellung ist gut, die Leute sind voll nice. Hier hält jeder Abstand und die Sicherheit ist gewährleistet. Hier hat jeder Maske, jeder hält Abstand. Eigentlich das, was man sich wünscht zu Corona-Zeiten. Kultur. Sex. Und Abstand."
Es bleibt ein einmaliges Happening – schon am 4. Oktober macht das Kitkat wieder dicht.
In den Straßen des Berliner Regierungsviertels ist es am 28. Oktober, knapp vier Wochen nach dem Tag der Clubkultur, extrem laut. Eine Karawane aus Lkws fährt an Ministerien und Bundestagsgebäuden vorbei – auf den offenen Anhängern fette Boxen. Die Kultur- und Veranstaltungsbranche demonstriert an diesem Mittwochnachmittag, um auf ihre prekäre Lage hinzuweisen.
"Alarmstufe Rot" haben die Macher die Demo genannt, am Tag zuvor hat die Regierung den Lockdown Light beschlossen. Einer der Lkws ist für die Clubs und DJs unterwegs. Auf dem Wagen legt der Berliner DJ Dixon auf, Marvin Jam vom Berliner Club Kater Holzig spricht derweil ins Mikro.
Überleben vom Rententopf
"Wir fordern heute und hier", sagt er, "dass mit uns gesprochen wird, dass mit uns gesprochen wird, dass uns eine Perspektive gegeben wird. Und wir fordern: Deckel weg, Anerkennung aller Kosten und Unternehmerlohn."
Neben dem Wagen her läuft ein Teil der Berliner Clubszene. DJs, Barkeeper, Party-Veranstalter. Alle auf Abstand, alle mit Maske. Immer, wenn der Lkw anhält, fangen manche von ihnen an, zu Dixons House-Beats zu tanzen. Markus Meinhard steht mit zwei DJ-Kollegen neben dem Truck. Wie so viele andere konnte er in den letzten Monaten kein Geld verdienen.
"Ich fühle mich insofern schlecht behandelt, dass ich als Soloselbstständiger seit 2004 unglaublich viele Steuern gezahlt habe und jetzt gerade von Hartz IV lebe, von 550 Euro all in", erzählt er. "Und die sagen so, komm damit klar oder nicht. Ich lebe gerade eigentlich von meinem Rententopf – meine Ersparnisse sind jetzt zu Ende und wir haben noch den langen Winter vor uns und wenn jetzt nichts passiert, werden wir alle kaputt gehen mit unseren ganzen Sachen."
Nach einer guten Stunde kommt der Demozug zum Stehen. In einer langen Schlange haben sie sich auf der Straße des 17. Juni postiert. Vorne, am Brandenburger Tor, startet gleich die Kundgebung. Marvin vom Kater Holzig ist mit seiner Ansprache durch. Der Party-Veranstalter steigt vom Club-Lkw.
"Die Clubs sind noch nicht verrammelt und verriegelt und zu aber so wie es aussieht, wird das zwangsläufig passieren", sagt er.
Reporter: "Was bedeutet das für dich persönlich?"
Marvin Jam: "Noch mehr Existenzsorgen. Ich habe von Anfang an seit Frühjahr versucht, mit der Situation konstruktiv umzugehen. Ich bin Musiker, habe gesagt, ich kann ins Studio gehen, ich kann machen, was es gerade gibt. Aber wir haben jetzt einen Punkt erreicht, wo man uns vonseiten der Politik zumindest Perspektiven aufzeigen muss. Oder zumindest erst mal aufzeigen muss, dass wir das Gefühl auch haben, wir werden ernst genommen mit unserer Situation und unseren Problemen. Alles andere, da denke ich persönlich nicht drüber nach. Und wie der Wasserstand ist, so sind dann die Sorgen gerade. Aber sie werden größer."
Marvin Jam: "Noch mehr Existenzsorgen. Ich habe von Anfang an seit Frühjahr versucht, mit der Situation konstruktiv umzugehen. Ich bin Musiker, habe gesagt, ich kann ins Studio gehen, ich kann machen, was es gerade gibt. Aber wir haben jetzt einen Punkt erreicht, wo man uns vonseiten der Politik zumindest Perspektiven aufzeigen muss. Oder zumindest erst mal aufzeigen muss, dass wir das Gefühl auch haben, wir werden ernst genommen mit unserer Situation und unseren Problemen. Alles andere, da denke ich persönlich nicht drüber nach. Und wie der Wasserstand ist, so sind dann die Sorgen gerade. Aber sie werden größer."
Virtuelle Dancefloors in London, Seoul und LA
Ein heruntergekommenes Fabrikgelände im Südwesten Berlins, kein Mensch zu sehen, alles dunkel, leer. Nur in einer Halle flackern Lichter in den Fensterscheiben. Hier soll gleich, in einer halben Stunde, ein Techno-Festival beginnen. Es ist mittlerweile Mitte Dezember, Deutschland ist voll im harten Lockdown, die Zahl der Neuinfektionen auf dem Höhepunkt, 25.000 Menschen sind inzwischen verstorben.
Ich finde eine offene Tür, schiebe mich durch dunkle Flure, bis ich irgendwann in der beleuchteten Halle stehe. Zwischen Drehbänken, alten Maschinenteilen steht ein DJ-Pult. Mehrere Kameras sind darauf gerichtet – ein Mann Mitte 20 hantiert an einem Beamer herum, der violette Blütenmuster auf die Hallenwand wirft.
In einer halben Stunde legt hier eine DJ-Crew los. Es ist einer von zehn Floors, die von DJ-Kollektiven in dieser Nacht gleichzeitig bespielt werden. Zwei davon sind hier in der Fabrik. Die anderen irgendwo auf der Welt, erzählt mir Nico Deuster, der Organisator des Festivals namens "Krake".
"Wir sind ja sehr erfahren mit normalen Festivals, aber das sind ja ganz andere Herausforderungen", sagt er. "Wir versuchen, das jetzt technisch auf die Beine zu stellen, dass zehn Streams gleichzeitig laufen."
Gleich können die Festivalbesucher sie virtuell betreten – von einem Dancefloor in den anderen wechseln. Ein internationales Technofestival quasi. Wenn alles läuft.
Reporter: "Wo sind diese ganzen Floors?"
Nico Deuster: "In Los Angeles, London, Seoul und Den Hag. Da muss man auch anders denken, normal hat man Ticketeinnahmen, wie kann man das finanzieren? Zahlen Leute für Online-Inhalte? Wenn nicht, warum nicht? Kann man einen Euro nehmen oder 20 Euro? Wir haben bei den Tickets jetzt eine flexible Struktur, man zahlt einen Euro und dann kann man über so eine Bar virtuelle Biere kaufen, dann kann man noch mal spenden und sich für drei Euro ein Bier kaufen."
Nico Deuster: "In Los Angeles, London, Seoul und Den Hag. Da muss man auch anders denken, normal hat man Ticketeinnahmen, wie kann man das finanzieren? Zahlen Leute für Online-Inhalte? Wenn nicht, warum nicht? Kann man einen Euro nehmen oder 20 Euro? Wir haben bei den Tickets jetzt eine flexible Struktur, man zahlt einen Euro und dann kann man über so eine Bar virtuelle Biere kaufen, dann kann man noch mal spenden und sich für drei Euro ein Bier kaufen."
Nico macht das analoge Krake-Festival zusammen mit seiner Frau seit zehn Jahren: Mehrere Bühnen über Berlin verteilt mit experimenteller elektronischer Musik. Eigentlich wollten sie es in diesem Jahr komplett ausfallen lassen. Sie hatten erst keine Lust auf das hunderttausendste Online-Kulturevent.
"Wir haben uns aber dann doch entschlossen, unter anderem, weil wir die Fördergelder, die wir hatten, sonst hätten zurückgeben müssen", sagt er. "Und wir kennen ja die ganzen Künstler und wissen, wie hart es für die alle ist, und wollten es möglich machen, damit wir das Geld weiterleiten können. Das war unsere Ausgangsmotivation. Sonst hätten wir es gelassen."
Ein paar Menschen in einer gigantischen Halle
Es ist jetzt zehn vor acht, Nico macht einen letzten Rundgang vor dem Start. Wir verlassen die Fabrikhalle, gehen über den Hof. Eigentlich sollte die Fabrik schon längst ein Club sein, erzählt mir Nico. Dancefloors, Garderobe, Toiletten, alles schon da. Im April sollte es losgehen. Jetzt weihen Nico und seine Leute den Club mit ihrem virtuellen Festival ein.
Wir öffnen eine Stahltür, kommen in eine noch größere Halle. In ein paar Minuten startet hier die Show für den Livestream. "Hier findet jetzt die erste Performance statt. Von Transformer, das ist eigentlich ein Visual Act, die extrem abgefahrene Sachen machen", sagt er.
Wo irgendwann Hunderte tanzen, stehen jetzt zwei einsame Lichtkünstler vor einer Projektionswand. Rechts davon eine DJane, mehrere Kameraleute. Keine zehn Menschen in der gigantischen Halle.
Nebel steigt durchs Dunkel, sphärisches Licht zu den sphärischen Klängen. Nico hastet zurück, schaut, wie der zweite Floor läuft. Ich bleibe im Nebel stehen, der einzige analoge Zuschauer im fast leeren Club.
Kein Silvester im Gretchen
Zwei Tage vor Weihnachten macht Pamela Schobeß ihren Club für mich auf. Das Gretchen in Berlin-Kreuzberg. Mit ihr will ich zum Abschluss meiner langen Recherche darüber sprechen, wie sie als Clubbetreiberin dieses verrückte Jahr erlebt hat.
Wir gehen durch eine Gewölbehalle, setzten uns an die Bar. Auch hier sind Kameras aufs DJ-Pult gerichtet, für die allwöchentlichen Livestreams. In normalen Jahren würde hier bald die Silvesterparty steigen, erzählt mir die Clubbetreiberin. Sie nimmt kurz ihre Maske ab, zieht an ihrer Zigarette.
"Wir machen an Silvester immer eine tolle Drum and Bass Party", erzählt sie. "Hier vorne auf dem großen Floor und auf dem zweiten Floor machen wir die ganzen anderen Musikstile, die wir normalerweise machen. Das ist so ein Abend, wo wir clubtechnisch versuchen, unsere komplette Bandbreite abzudecken. Da sind dann ganz viele von unseren Stammgästen, die sich auch darauf freuen. Da ist die ganze Familie zusammen und dann freut man sich, wenn man so das alte Jahr verabschieden und das neue beginnen kann."
Reporter: "Und jetzt?"
Pamela Schobeß: "Ja tatsächlich ist dieses Jahr das erste Jahr für mich nach 23 Jahren Clubleben, in dem ich nicht im Club bin. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was wir machen. Ich glaube, wir sitzen vor dem Fernseher."
Pamela Schobeß: "Ja tatsächlich ist dieses Jahr das erste Jahr für mich nach 23 Jahren Clubleben, in dem ich nicht im Club bin. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was wir machen. Ich glaube, wir sitzen vor dem Fernseher."
Pamela Schobeß vermisst das alles sehr, sie ist seit 23 Jahren auch Clubbetreiberin, erst in Prenzlauer Berg, jetzt hier in Kreuzberg. Seit ein paar Jahren leitet sie auch die Interessenvertretung der Berliner Clubs, die Clubcommission. Partys und Konzerte veranstalten, es ist ihr Leben. Immerhin ist sie inzwischen sicher, dass sie nicht pleite geht.
"Wir haben in Berlin tatsächlich Glück, wir sind eines von vier Bundesländern mit einem guten Landesprogramm zur Sicherung der Clubkultur", sagt sie. "Es gibt etliche Bundesländer, die haben gar keine Landesprogramme für die Clubkultur und die Bundeshilfen reichen leider nicht. Klaus Lederer, unser Kultursenator hat uns versprochen, dass diese Hilfen solange fortgesetzt werden, wie wir sie brauchen, aber tatsächlich gibt es auch die November- und Dezemberhilfe und das hilft natürlich auch."
Hoffen auf das Frühjahr
Schobeß zeigt mir noch kurz den kleineren Raum ihres geliebten Clubs, die "Box". Ein Mischpult, ein paar Verstärker, eine Wand aus Boxen. Hier zeichnen sie jetzt hin und wieder kleine Konzerte auf, erzählt sie. Was man halt so macht, wenn eigentlich nichts mehr geht. Wann sich hier wieder Menschen nahekommen, sich im Rausch verlieren, bis in den Morgen tanzen? Schobeß weiß es nicht.
"Ich hoffe, dass wir im März 2021 wieder nach drinnen gehen und veranstalten können", sagt sie. "Ich glaube, dass wir im Januar sowieso nicht, im Februar auch nicht, vielleicht kann man ab März ein bisschen was machen. Ist dann eher meine positive Einstellung. Wir hoffen halt total, dass wir im Frühjahr wieder nach draußen gehen können. Wir machen wirklich total viel und machen ganz viel Kultur und versuchen, alles möglich zu machen. Aber was wirklich einfach fehlt und was man nicht ersetzen kann, sind die Menschen. Die Gäste und einfach auch diese glücklichen Gesichter von den Menschen, die zu uns kommen."
Nach einer knappen Stunde verlasse ich den leeren Club, gehe raus in die kalte Dezembernacht. Eine Betonstele steht vor dem Gretchen. Wo normalerweise Plakate auf die nächsten Partys hinweisen, steht nur knapp: "Don‘t forget about us."