Der Beitrag ist eine Wiederholung vom 26.06.2017
Vater, Mutter, Mutter, Kind
Kathleen, Marianna und Alex haben zu dritt einen Sohn. Kathleen ist die leibliche Mutter, Marianna ihre Partnerin und Alex der Vater. Solche Modelle der Co-Elternschaft werden immer beliebter. Doch das deutsche Familienrecht ist dafür schlecht gerüstet.
"Für mich war es klar, dass ich Kinder haben möchte. Wir haben ein sehr enges Familienverhältnis zwischen meiner Mutter und ihren Brüdern und Geschwistern. Daher sind wir immer viele Leute bei Familientreffen. Und ich möchte gerne auch Kinder haben, aber es war jetzt noch nicht so ausgeprägt die Entscheidung, möchte ich sie selber gebären oder sind sie einfach da, fallen vom Himmel. Aber sie sollen da sein, das stand auf alle Fälle fest."
Was bis vor kurzem noch ein Wunsch war, ist dabei, Wirklichkeit zu werden. Kathleen ist schwanger und erwartet in wenigen Wochen ihr erstes Kind, einen Sohn. Die 33-Jährige mit dunkelblondem Kurzhaarschnitt, die aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, wirkt trotz ihres riesigen Babybauchs noch sehr fit. Mit der fast gleichaltrigen Polin Marianna lebt sie in einer lesbischen Partnerschaft. Das Leben in der Einzimmerwohnung eines Altbaus im Berliner Stadtteil Friedrichshain spielt sich in der geräumigen Küche ab, in der sie sich gerade das Abendessen zubereiten: Lachs, Avocado, Vollkornbrot. Für den Nachtisch rührt Marianna Hüttenkäse mit Honig an:
"Wenn wir uns entschieden haben, dass wir eigentlich zusammen sind und danach, dass wir heiraten, es war klar, dass wir Kinder haben möchten, beide. Und das war ein kleiner Krieg zwischen uns, kleiner Streit, weil ich wollte zuerst und Kathleen wollte auch zuerst. Ja, sie ist sieben Monate älter."
Marianna mit großen braunen Augen und hellblondem Pferdeschwanz lächelt verschmitzt. Die Ältere der beiden sollte anfangen mit dem Kinderkriegen, so einigten sie sich schließlich.
Auf der Suche nach dem passenden Vater
Kathleen: "Das war uns beiden relativ klar, welchen Weg wir gehen wollen."
Marianna: "Wir hatten ganz viel Glück, dass unsere Konzepte gleich waren. Wir wussten von vornherein, dass wir einen aktiven Vater haben möchten, dass wir nicht in Disko gehen und einen Mann auf die Seite zu nehmen und versuchen, sich zu befruchten."
Kathleen: "Samenbank war auch kein Thema für uns. War klar, wir müssen einen Mann finden, der da Bock drauf hat, und es muss ein schwuler Mann sein, weil es einfach mal... das Risiko von einem heterosexuellen Mann, der lernt doch eine Frau kennen, die Frau kann keine Kinder kriegen, die will das Kind sehen. Das ist ein viel größerer Rechtsstreit, der da aufpoppt, der am Anfang gar nicht sichtbar ist. Und man sagt, das ist ein schwuler Mann und alle wissen, worauf sie sich einlassen. Alle wollen das Kind und alle wissen, sie müssen sich das reinnehmen und reinteilen von vornherein, und da kann keiner einen höheren Anspruch erheben als bei einem heterosexuellen Paar."
Den werdenden Vater Alex lernten die Frauen über das schwul-lesbische Magazin "Siegessäule" kennen, in dem sie eine Anzeige schalteten. Der gebürtige Augsburger ist 30 Jahre alt, hat dunkles Haar, ist durchtrainiert. Und wie der Zufall es wollte, wohnt er nur einen Block von Kathleen und Marianna entfernt. Auch Alex hatte eigentlich schon immer einen Kinderwunsch, schob die Initiative, Vater zu werden, aber weit nach hinten, erzählt er mit einem breiten Grinsen:
"Ich dachte immer, ach ja, mit Ende 30, frühestens 35 würde ich das gerne machen. Aber dann ist vor zwei Jahren meine Mutter gestorben und das war ein ziemlicher Einschnitt, weil ich gemerkt habe, meine Familie ist immer kleiner geworden. Familie ist sehr wichtig für mich, und wenn du Familie haben willst, dann musst du selbst was machen."
Eines Nachts, als Alex gerade von einem Kneipenabend nach Hause kam und während der U-Bahn-Fahrt in der "Siegessäule" blätterte, fiel ihm die Annonce der beiden in die Hände. Ein schicksalhafter Moment, sagt er rückblickend.
"Und dort stand da drin: Deutsch-polnisches lesbisches Paar sucht Samenspender für aktive Vaterrolle. Und dann dachte ich mir, das hört sich doch ganz gut an."
Familiensinn als große Gemeinsamkeit
Für Kathleen und Marianna war diese Zeit der Suche und des Wartens ein Geduldsspiel, erinnern sie sich.
Kathleen: "Die Anzeige war online, und dann gab es ein paar Tage später ein paar E-Mails. Die paar beschränkten sich auf vier. Wir waren ganz enttäuscht, vier E-Mails nur. Von diesen vier E-Mails waren zwei eine Vollkatastrophe. (Marianna lacht.) Ja, wir konnten nicht zurück antworten."
Marianna: "Ein paar Männer wollten von uns ein Kind, dass wir ihnen dieses Kind geben."
Kathleen: "Also einfach gebären. Den anderen hat man nicht verstanden, der hat ganz kryptisch geschrieben. Und dann waren zwei, wo man drauf antworten konnte, das klang ganz entspannt. Eins davon war Alex gewesen."
Alex: "Und dann hatten wir ein bisschen hin- und hergeschrieben, um zu sehen, ob es von den Vorstellungen passt. Wie weit man als Vater einbezogen wird in so ein Familienmodell. Manche lesbischen Paare möchten ja überhaupt keine männliche Vaterfigur in diesem Familienmodell. Meine beiden Mädels, ich nenne sie immer 'meine Mädels' (lacht), die wünschen sich doch eine stärkere Rolle durch mich."
Kathleen: "Von seiner Art, Marianna war sofort blink, blink, blink in den Augen, als er schon zur Tür rein kam. Und wir wussten nicht, was uns erwartet. Dann haben wir relativ schnell uns auch jede Woche getroffen mit Alex."
Marianna: "Wir haben erfahren, vom Charakter passt es auch."
Kathleen: "Die Vorstellungen, dass uns allen dreien Familie wichtig ist, auch so große Feste, dass da 20-30 Leute zu Weihnachten kommen und wir das mögen und das gerne aufrecht erhalten wollen, so wie wir erzogen worden sind. Dass man alles entspannt macht, dass Sport wichtig ist im Leben von dem Kind."
Ein polnisch-bayerisches-ostdeutsches Kind
Der Familiensinn und die Begeisterung für Sport sind die großen Gemeinsamkeiten der drei. Kathleen, die in einer Druckerei arbeitet, macht in ihrer Freizeit viel Sport, genau wie Alex, der im Gesundheitswesen tätig ist. Marianna hat den Sport sogar zum Beruf gemacht und ist Sportlehrerin. Spannend, aber auch herausfordernd sind die unterschiedlichen Kulturen, die hier aufeinanderprallen, so Alex.
"Es ist allgemein ein sehr lustiges Projekt. Wir haben diese ostdeutsche Familie aus Mecklenburg. Meine Familie aus Bayern, und dann noch die polnische. Das ist ja schon eine gewisse Herausforderung. Ich glaube, das Lustigste wird, wenn sich alle Großeltern mal treffen, und ein Bayer versucht, mit einem Ostdeutschen zu sprechen und dann noch die polnische Seite dazu kommt."
Alex stellte die beiden Frauen bereits seiner Familie in Augsburg vor:
"Und dann waren wir alle zu Hause gesessen, bei meinem Vater zu Hause. Und meine Oma ist dann gekommen in der Erwartung, meine Frau kennenzulernen (lacht). Und dann wurde sie mit der Situation konfrontiert, dass da plötzlich zwei Frauen sitzen. Meine Oma dann so: Ja wie, hast Du jetzt zwei Frauen? Bist Du so beliebt? – Wir haben sehr lange und intensiv versucht, ihr das zu erklären, und wir haben uns totgelacht. Meine Oma hat immer gesagt: Ja, ich bin dafür zu altmodisch, aber Hauptsache gesund und sportlich."
Der Termin der Zeugung wird festgelegt
Kathleens und Mariannas Familien lernte Alex alle auf einmal kennen, da die beiden Frauen sich offiziell verpartnerten und eine große Hochzeit feierten. Zu dem Zeitpunkt kannte er Kathleen und Marianna erst vier Monate. Alex erinnert sich an seine weichen Knie vor dem Fest.
"Für mich war das schon ein bisschen... wenn du da jetzt zusagst zur Hochzeit, ist es schon so eine gewisse Verbindlichkeit. Und mir war dann schon bewusst: Die ganzen fremden Leute, die dann alle dort vertreten sind, die sind in Zukunft Teil deiner Familie oder was auch immer, Teil meines Lebens. Genau. Und ich habe mich zum Teil so gefühlt, als ob ich da mitverheiratet werden würde. Andererseits war es sehr gut, dass ich dorthin gegangen bin und gleich wusste, die haben ein funktionierendes Familienleben, das soziale Umfeld scheint sehr gut zu sein. Ich hab mich mit allen sehr gut verstanden."
Kathleen/Marianna: "Es waren 100 Leute, die auf einmal wussten, dass Alex Papa wird, und Alex war die Person da gegen diese 100 Leute. Aber er hat es ganz gut gemacht."
Kurz nach der Hochzeit informierten die beiden Frauen Alex, wann es günstig sei für einen ersten Versuch, Kathleen zu befruchten.
Alex: "Der biologische Termin wurde festgesetzt. Klar, man hätte es auch einen Monat später machen können. Ich fand das eine relativ kurze Zeit, die Monate – Januar bis Juni ist jetzt nicht so lange, um die wahrscheinlich wichtigste Entscheidung im Leben überhaupt so zu treffen. Aber bei mir ist es so, dass ich wichtige Entscheidungen immer aus dem Gefühl oder aus dem Bauch heraus treffen kann. Die sind dann auch immer richtig. Dann war eben der Tag gekommen, wir haben das mit der sogenannten Bechermethode gemacht, d.h. man kann das zu Hause machen sozusagen. Man besorgt sich dann Spritzen in der Apotheke."
Kathleen und Marianna waren weniger nervös, sie sahen den Moment der Zeugung eher pragmatisch:
Kathleen/Marianna: "Da gibt es ja verschiedene Gründe, warum, oder warum es nicht klappt. Richtige Ernährung, kein Stress, das ist ja bei ganz normalen Paaren, die Kinderwunsch haben, nichts anderes so. Wir haben einfach volles Rohr – entgegen dem, was man in der Schule lernt – wir haben mich mit Sperma zugepumpt." – "Sechs Tage hintereinander, morgens und abends." – "Zwei Wochen später waren halt zwei Streifen auf dem Schwangerschaftstest."
Die drei waren doch recht überrascht, dass es gleich beim ersten Versuch klappte. Zurzeit sind sie auf Wohnungssuche. Am liebsten wäre ihnen eine WG mit zwei zusammengelegten Wohnungen.
Kathleen: "Für uns ist es wichtig, dass der Vater, also Alex, da ist und auch sehr nahe an dem Kind dran ist und es auch oft und regelmäßig sieht und wir auch Alex' Eltern kennenlernen. Bei uns gibt es eben jetzt alles mal drei."
Das Recht kennt nur zwei Eltern
Die drei haben beschlossen, dass Marianna Kathleens Kind adoptieren wird. Rein rechtlich dürfen in Deutschland nur zwei Eltern das Sorgerecht für ein Kind haben. Ein dritter Elternteil, in diesem Fall also Alex, bleibt immer außen vor. Constanze Körner vom Regenbogenfamilienzentrum in Berlin berät Lesben, Schwule und Trans-Personen mit Kindern und Kinderwunsch. Sich über die rechtliche Situation zu informieren, sei das A und O für werdende Co-Eltern, um spätere Konflikte zu vermeiden, so Körner:
"Und natürlich bin ich froh über jede Familie, die einen Beratungsprozess bei mir vorher macht, weil man einfach sieht, hätte man das jetzt nicht gemacht, da kann auch einiges schiefgehen, weil Informationen sind oft nicht da, gerade im familienrechtlichen Sinne, Dinge werden oft nicht bedacht, was die weiterführende Familie betrifft, was macht es mit einem Kind, das acht Großeltern hat. Der Austausch ist das Grundlegende, was für alle hier wichtig ist, dass sie andere Familien hier kennenlernen und mit denen was machen."
Da auch Alex der Austausch mit Gleichgesinnten fehlte, schloss er sich einer Gruppe schwuler Väter an, die sich regelmäßig treffen und über ihre Erfahrungen sprechen. Die Männer in der Gruppe bereiten Alex mental darauf vor, was auf ihn zukommen kann. Zum Beispiel der 43-jährige Italiener Gianni, der die Gruppe aus Eigenbedarf gegründet hat, hat schon Erfahrungen mit dem Co-Parenting-Modell gesammelt. Gianni ist zierlich, hat braunes Haar, Drei-Tagebart. Mit der lesbischen Christine wohnt er in einer WG und hat mit ihr eine dreijährige Tochter:
"Natürlich es gibt Problematiken, die ersten zwei Jahre sind für alle Eltern schwierig. Es ist eine große Umstellung. In meiner Welt war ich der erste und ich wusste nicht, ob die Problematiken häufig passierten, ob es allgemeine Probleme für alle Väter oder Probleme zwischen Christine und mir waren. Aber es ist kein Problem der Regenbogenfamilie, sondern der Pioniere. Wir sind die ersten, die das machen, daher gibt es auch Problematiken, die wir nicht kennen. Deshalb diese Gruppe, damit auch eine Geschichte aufgebaut wird: Vorfälle, Ratgeber und so weiter."
Interesse an Co-Elternschaft wächst
Neben einem Ort, sich auszutauschen, fehlte Betroffenen lange eine Plattform, über die sich Menschen, die ein Co-Parenting-Modell leben wollen, kennenlernen. Ebenso aus Eigenbedarf rief Christine mit ihrer damaligen Freundin 2011 das Internetportal "familyship" ins Leben. Schnell merkten sie, dass der Zuspruch immens ist:
"Dass das wächst und wächst, womit wir am Anfang überhaupt nicht gerechnet haben. Dass wir gedacht haben, das ist so eine kleine Nische für Schwule und Lesben und das war's, dass sich dafür auch viele Heteros interessieren. Zum Beispiel Frauen um die 40, die nicht den richtigen Partner gefunden haben bisher. Oder Männer, die sagen, ich war jahrelang total vorsichtig, alle meine Freunde haben Kinder. Ich habe gerade keine Freundin, bin Mitte 40. Ich möchte jetzt auch nicht mit 60 Vater werden - kann ich zwar, will ich aber nicht. Die einfach nach alternativen Wegen suchen oder die sagen: Ja, mit der Liebe, das hält immer so zwei, drei Jahre, dann ist es vorbei."
Auch Giannis Partner Ralf hat die lesbischen Mütter seiner Tochter über familyship.de kennengelernt. Ralf wohnt nicht mit ihnen zusammen, sondern einen Stadtteil von ihnen entfernt, in Wedding.
Weder alleinerziehend noch Besuchsonkel
Es ist Samstagnachmittag. Ralf hat Freunde zu Suppe und Häppchen eingeladen. Seine zweijährige Tochter Sanja ist heute bei ihm. Sie ist wie ihr Vater strohblond. Und Gianni ist mit seiner Tochter gekommen. Er spielt mit den kleinen Mädchen Verstecken.
Ralf wirkt ruhig, reserviert, ein bisschen förmlich.
"Ich wollte das gerne mit einem Frauenpaar machen, lieber mit einem Paar als mit einer Frau. Wir haben das ja so aufgeteilt, dass ich weniger Verantwortung habe als die Mütter. Unsere Tochter ist weniger bei mir als bei denen. Und das war für mich auch ein bisschen der Rahmen, in dem ich mich sehen konnte. Ich habe das damals in der Anzeige, auf die die Mütter meiner Tochter reagiert haben, geschrieben: Ich möchte nicht alleinerziehender Vater sein, und ich möchte auch nicht nur Besuchsonkel sein. Und dazwischen, habe ich gesagt, bin ich sehr flexibel."
Ralf und Sanjas Mütter – die Sanja Mama und Mum nennt – haben sich ein Jahr Zeit gelassen, sich kennenzulernen, bevor sie ihr Kind in die Welt setzten. Das Jahr nutzten sie, um für sich eine Elternvereinbarung niederzuschreiben. Darin steht zum Beispiel, dass Sanja durchschnittlich sechs Tage im Monat bei Ralf verbringen soll.
"Unsere Tochter nimmt das sehr gut an, dass sie weiß, jetzt ist Papa-Zeit, und jetzt ist Mama- und Mumzeit."
Mangelnde rechtliche Anerkennung der Co-Elternschaft
Die kleine Sanja wächst zweisprachig auf. Ihre Mütter sprechen deutsch mit ihr, Ralf schwedisch. Ralf ist zwar Deutscher, aber hat viele Jahre in Schweden gelebt. Als Politologe kämpft er in Deutschland um mehr rechtliche Anerkennung von Co-Eltern oder Patchwork-Familien. Im Vergleich zu vielen westlichen Ländern hinke Deutschland hinterher, erklärt er. Schweden etwa sei viel fortschrittlicher:
"Es gibt das Konkubinat, Leute, die zusammen wohnen, die haben einen ganz anderen rechtlichen Status in Schweden. Die können zum Beispiel vererben oder sie können sich gegenseitig im Krankenhaus besuchen ohne Vollmacht, also, das Zusammenwohnen an sich auch ohne Eheschein, das hat in Schweden an sich auch einen ganz anderen Status, rechtlich gesehen. Und dadurch sind auch bei Patchwork-Familien, also, wenn dann neue Konstellationen zusammen wohnen, dann sind die rechtlich schon anders abgesichert als in Deutschland, wo nur die Registrierung beim Standesamt einen rechtlichen Wert hat."
Constanze Körner: "Es hängt ganz viel an unserem Familienrecht, das überhaupt nur auf zwei Eltern ausgelegt ist."
Hat Constanze Körner vom Regenbogenfamilienzentrum in Berlin festgestellt.
"Und ich gehe davon auch aus: in vielen Patchwork-Konstellationen in heterosexuellen Kontexten ist diese Zweielternschaft längst überholt. Es gibt mehr Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen für ein Kind... Es hängt einfach an dem Thema Öffnung der Ehe, gemeinsames Adoptionsrecht, was sozusagen die Gleichberechtigung von Regenbogenfamilien betrifft."
Konsequenzen für die Kinder
Gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland dürfen nur eine eingetragene Partnerschaft eingehen, wie Marianna und Kathleen. Sie haben verglichen mit Eheleuten weniger Rechte.
Ralf: "Und das ist halt inzwischen in vielen anderen Ländern nicht mehr so, in ganz Westeuropa ist das inzwischen anders. Und selbst Länder wie Kolumbien oder die USA und viele andere Länder haben das inzwischen so geregelt, dass die Ehe einfach ein einheitliches, gleiches Institut ist, egal ob es gleichgeschlechtliche oder unterschiedlich geschlechtliche Paare sind."
Mangelnde Rechte von Co-Eltern haben auch für ihre Kinder Konsequenzen, erklärt Ralf.
"Sobald Kinder mit dabei sind, hat man das gleiche Problem, dass wenn Eltern in den Konstellationen, in denen sie leben, gar nicht rechtlich wiedergegeben werden, dann sind auch die Kinder nicht richtig abgesichert. Man hat Kinder, die mit drei Eltern aufwachsen oder mit vier Eltern, aber rechtlich nur mit zweien. Das Gesetz trägt dazu bei, dass man den Kindern ihre Eltern eigentlich vorenthält."
Als weniger düster empfinden Kathleen und Marianna ihre rechtliche Situation, denn Marianna kennt Schlimmeres aus Polen. Da haben Familien, die von der traditionellen abweichen, kaum Handlungsspielraum.
Marianna: "Generell ist es ganz schwierig. Meine beste Freundin versucht auch schwanger zu sein, sie ist in einer Beziehung mit einer anderen Frau und sie wollte das in einer Klinik machen als alleinerziehende Mutter, und das ist nicht erlaubt in Polen. Du musst einen Mann haben, der unterschreibt die Dokumente, dass er sich um dieses Kind kümmert. Dann kannst du das eventuell machen, die künstliche Befruchtung."
Das Klima der Toleranz war einer der Gründe für die beiden, warum sie sich entschieden haben, in Berlin zu leben.
Kathleen: "Während wir in Berlin leben, ist es wirklich wie eine Blase, wie ein Paradies. Wenn man mal woanders guckt, was es da überhaupt an Bedarf und Optionen für Frauen oder Männer gibt, das ist ja verschreckend, wie man sich da verhalten muss und wie die Leute einem begegnen. Selbst innerhalb Deutschlands irgendwo auf dem Land zu sein, ist ja schon manchmal kritisch oder bedarf einer Herausforderung."
Co-Eltern: Jeder Tag ein Coming out
Was bedeutet es für Co-Eltern und ihre Kinder, in einer Welt zu leben, in der das traditionelle Familienmodell Vater, Mutter, Kind dominiert? Mit dieser Frage hat sich die Beraterin von Regenbogenfamilien Constanze Körner beschäftigt:
"Wenn man als gleichgeschlechtliche Familie ein Kind hat, bewegt man sich in einer heterosexuellen Welt mit Kindern. Und das bedeutet, dass man eigentlich jeden Tag ein Coming Out hat und das muss man auch wissen und aushalten können. Und man muss den Rücken stark machen für die Kinder. Man muss in die Institutionen gehen, wo die Kinder sich auch aufhalten, also Kita, Schule, Freizeit und immer vorangehen als Eltern. Das muss man können, und das muss allen bewusst sein, dass das so kommen wird."
Aber es habe sich in den letzten Jahren viel getan, so Körner. Sie erinnert sich an Zeiten, als Kinder aus Co-Parenting-Familien noch auf dem Schulhof zusammengeschlagen wurden.
"So was höre ich überhaupt gar nicht mehr. Und auch hier in der Stadt hat sich viel getan, dass sich auch die Institutionen mit Themen wie Vielfalt und Regenbogenfamilien und so weiter auseinandersetzen müssen und Fortbildung machen müssen, auch die Fachkräfte. Das bewirkt natürlich ganz viel."
Das Co-Parenting-Modell offensiv vertreten
"Vor Hänseleien von anderen Kindern kann man das eigene Kind leider nicht beschützen", sagt die Kinder- und Jugendpsychologin Frauke Reiprich.
"Aber zu wissen, wo komme ich her, und dass es was Gutes ist, wo ich herkomme, dass ich da meine Stärke her beziehe, das wünsche ich natürlich jedem Kind, dass es das mitnehmen kann, weil ich dann auch ganz starke Kinder und Jugendliche erlebe in meiner Arbeit. Wenn ich dem Kind was wünschen könnte, dann starke Familien und Eltern, die genau das signalisieren, weil das Kind sich ja mit seiner Familie identifiziert. Und das bedeutet auch: Wenn ich eine starke Familie habe, ist das dann auch Teil von mir, dann habe ich auch was Starkes in mir."
In der Kita von Giannis Tochter wissen sowohl Erzieherinnen als auch Eltern anderer Kinder, dass die Dreijährige einen schwulen Vater und eine lesbische Mutter hat. Gianni ist der offene Umgang mit ihrem Co-Parenting-Modell sehr wichtig:
"Ich war immer sehr offen. Ich wollte immer Leute so zum Denken bringen. Mit meinem Leben, mit meinem Beispiel. Ich wollte mich nicht verstecken. Es gibt viele Regenbogenfamilien, sie wollen eher nicht darüber reden, wenn sie in die Kita das Kind bringen. Sie haben Angst, dass das Kind gemobbt oder diskriminiert wird. Es gibt diese Gefahr. Aber für uns ist wichtiger, sehr offen und dass die Leute mit diesem Thema konfrontiert werden."
Auch Alex hat keine Sorge, dass er und seine Co-Parenting-Familie wegen ihres Umfelds in Zukunft Probleme bekommen werden. An seinem Arbeitsplatz etwa wissen schon alle Bescheid:
"Das Feedback von Kollegen, Familien, Freunden war bisher durchweg positiv. Klar, es wird mal interessant, wie sich das dann gestaltet, wenn die Kinder älter sind, 15, 18, 25, wie sich das dann auswirken wird. Und wenn ich mal irgendwann wieder einen Partner haben sollte, muss man ja auch irgendwie erklären, es gibt nicht nur mich, sondern noch zwei Frauen, noch zwei, drei Kinder dazu, noch zwei Katzen oder so. Also, ich habe jetzt die Entscheidung getroffen, und die ist ganz gut."
Mehr Eltern - mehr Möglichkeiten für das Kind
Auch Ralf steht zu seiner Entscheidung:
"Ich finde das Co-Parenting ein sehr schönes Modell, sehr positiv, dass wir unserer Tochter mehr Hände, mehr Eltern, mehr Möglichkeiten geben können, weil wir eben zu dritt sind und nicht zu zweit oder alleine."
Dass Sanja Eltern hat, die kein Liebespaar sind, sei eher ein Vorteil, ist Ralf überzeugt:
"Das, was wir miteinander besprechen und was wir miteinander leben, geht immer vom Kind aus oder bezieht sich immer auf das Kind. Und da ist ja in Liebesbeziehungen nicht so, da spielen alle möglichen Dinge zwischen den Erwachsenen eine Rolle. Was die Eltern zusammen machen, das interessiert die Kinder doch überhaupt nicht. Welche Kinder wollen denn wissen, was ihre Eltern im Schlafzimmer so machen? Das wollen sie wirklich als allerletztes und überhaupt nie wissen. Das ist denen sowas von egal."
"Ich glaube, das interessiert Kinder sehr wohl, und Kinder haben ja eine Fantasie davon, was ist Sex machen, was machen Erwachsene, was ist Sex, wie funktioniert das?", wendet Psychologin Frauke Reiprich ein.
"Und selbst wenn sie das nicht interessieren würde, werden sie in Deutschland damit konfrontiert, weil sie das in der Schulausbildung haben, das ist verpflichtend dran. Natürlich werden Kinder im Schlafzimmer nicht dabei sein, aber hier Kindern erklären zu können, was das bedeutet, was das für Partnerschaften bedeutet und warum das etwas Beglückendes sein kann, das finde ich etwas sehr Wichtiges für Kinder, um für sich selber zu überlegen: Wie will ich denn mein eigenes Leben mal irgendwann gestalten?"
Vorteil, wenn Vater und Mutter kein Liebespaar sind
Alex hat sich mit dem Gedanken, ob die Kinder ihre Eltern als Liebespaar erleben, bereits auseinandergesetzt:
"Falls es doch mal zu einem Konflikt kommen sollte, hat man einfach die emotionale Ebene nicht, sondern man kann sich da auf das Kind oder das Wohl des Kindes beziehen. Für die Kinder selbst, es gibt ja die Liebesbeziehung zwischen Marianna und Kathleen. Für mich ist es immer noch so, das ist was anderes. Als ich klein war, gab es das zumindest in Augsburg nicht, ich glaube, das sind sehr solche Rollenmodelle, die man gewohnt ist."
Auch Kathleen, Marianna und Alex haben, wenn auch nicht so detailliert wie Ralf, eine Art Vertrag aufgesetzt. Ein wichtiger Punkt, den sie vereinbart haben. Kathleen und Alex müssen Polnisch lernen, denn Marianna wird in ihrer Muttersprache mit dem Kind sprechen. Außerdem dürfen sie jeweils keine Kinder mit anderen haben. Kurz vor der Geburt ihres Sohns versuchen sich Kathleen, Marianna und Alex noch gegenseitig in ihrer Zuversicht zu bestärken.
Marianna: "Wegen zukünftige Mutter von seinem Kind, er hat auch ganz viele Ängste, er macht ein Kind und danach hat gar nicht Kontakt mit dem Kind, weil diese blöde Lesben nehmen das Kind und verbieten Kontakt."
Kathleen: "Darüber haben wir auch gesprochen, wo ich meinte, es ist genauso anders herum, du könntest auch irgendwann sagen, du hast keinen Bock mehr. Und er: Ja, das geht auch in beide Richtungen. Es ist ein großes Vertrauen und da ist jemand Fremdes für beide Seiten, für ihn wie für uns. Und auf einmal sind da zwei lesbische Frauen und ein schwuler Mann, ist ja auch eine ganz andere Lebenseinstellung oder Lebensweise, die da aufeinander prallen."
Marianna: "Man muss immer irgendwelche Kompromisse finden."
Kathleen: "Und drüber sprechen. Bisher haben wir immer über alles kommuniziert, wenn was war."
Alex: "Letztendlich funktioniert so etwas nur mit Vertrauen. Das ist immer so ein Punkt. Was viele sagen: Das ist doch alles sehr riskant, hast du dir das gut überlegt?! Ein guter Freund von mir hat mal gemeint, ja, weil wir hatten eine Diskussion mit meinen Freunden, wir waren sechs, sieben Leute. Da meinte ein Freund, das fand ich eine sehr passende Aussage: Ja, der Alex kann sich nicht die einfache Möglichkeit aussuchen, für den Alex gibt es keinen einfachen Weg, es ist immer ein bisschen komplizierter. Das fand ich ganz treffend, man muss sich für einen Weg entscheiden. Und ich hoffe, dass es gut funktioniert."
Nachsatz: Inzwischen ist das gemeinsame Kind von Kathleen, Marianna und Alex geboren, ihr Sohn Piotr.