Eine ungezwungene Gemeinschaft
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Co-Housing, das heißt, Dinge und Räume gemeinsam nutzen - wenn man will. Zwei Projekte in Wien zeigen, wie es gehen kann und was gemeinschaftliches Leben ermöglicht. Auch wenn das Zusammengehörigkeitsgefühl sich nicht automatisch einstellt.
Im Nordbahnhof-Viertel von Wien fällt das "Wohnprojekt Wien" gar nicht so auf. Die blitzblanken Straßen werden gesäumt von den weißen, schlichten, energetisch und finanziell optimierten Gebäuden, die man derzeit von München bis Hamburg überall sieht.
Auch das Wohnprojekt Wien ist ein Haus dieser Generation. Doch auf den zweiten Blick ist irgendwas anders. Holzverkleidung, Sonnenblumen auf den Balkonen, eine Regenbogenflagge. Im Café unten im Haus warten Nadine Hilmar und Stefanie Reinberg.
"Wir haben ganz am Anfang eine Traumrunde gemacht, wo wir zusammengesessen sind und jeder hat einmal gesagt, wie er sich das vorstellt", sagt Nadine Hilmar, Grafikdesignerin, dreifache Mutter.
"Also es waren ganz viele, die gesagt haben, ich möchte auf der Dachterrasse stehen, und da oben haben wir eine Sauna. Und ich möchte eine Bibliothek haben, wo ich mich zurückziehen kann. Und im Prinzip alles, was wir gesagt haben in dieser Runde, ist Realität geworden."
Die andere Bewohnerin, Stefanie Reinberg, ist in Rente. Auch sie lebt hier seit Beginn, seit 2013. Sie nimmt sich Zeit, uns durch diesen gelebten Traum zu führen.
Sauna und Kräutergarten auf dem Dach
"Da gibt es eben einen Waschraum mit zwei Waschmaschinen, der wird nicht von allen genutzt. Da gibt es eben eine sehr gut ausgestattete Werkstatt..."
Stefanie Reinberg führt durch Gänge und Räume, die an sich völlig unspektakulär wirken. Die Utopie spiegelt sich nicht so sehr in der Architektur wider, sondern in dem, was die Bewohner darin machen.
Reinberg führt aufs Dach, da, wo die Gemeinschaftssauna ist. Da, wo man vom Kräutergarten aus einen Wahnsinnsblick bis zum Stephansdom hat. Da, wo einige Bewohner kürzlich beschlossen haben, einen Bienenstock aufzustellen.
"Da vorne sieht man eh, wie sie raus- und reinfliegen."
Sogar zwei Wohnungen für soziale Härtefälle gibt es im Haus. Stefanie Reinbergs eigene Wohnung ist klein, aber das macht nichts.
"Es gibt die Möglichkeit, Gäste in den Gästeappartements am Dach zu nutzen. Und es gibt die Möglichkeit, wenn ich mehr Gäste habe als Geschirr, dann die Gemeinschaftsküche mit zu nutzen. Und das heißt, ich kann sozusagen meinen eigenen Lebensraum relativ reduzieren, weil das auch finanzielle Implikationen hat."
Engagement in Arbeitsgruppen
Co-Housing, das heißt, Dinge und Räume gemeinsam nutzen. Co-Housing heißt aber auch, sich zu engagieren in Arbeitsgruppen, die das Haus verwalten, die Werkstatt, die Bienen, die Sauna. Co-Housing heißt auch, einmal die Woche gemeinsam zu kochen. Wenn man will.
"Für uns war von Anfang an ein wesentlicher Punkt: die Individualität in Gemeinschaft", sagt Nadine Hilmar. "Das heißt: Ja, wir haben auch eine große Gemeinschaftsküche, aber es gibt eben auch die Wohneinheiten, wo jeder seine eigene Küche hat, und jeder kann die Tür zu machen."
Eine Gemeinschaft, die auf Freiwilligkeit basiert. Wo man auf den Gängen häufig die Nachbarn trifft, wo man jemanden bitten kann, in den Ferien die Blumen zu gießen. Aber alles undogmatisch, ungezwungen.
"Die Gruppe hat mich von Anfang an angesprochen. Das waren eben nicht diese Kommunen-Hippies, die jetzt unbedingt alles gemeinsam … und gemeinsam singen und tanzen. Wir waren eigentlich alle ziemlich bodenständig."
Ökosiedlung mit Begegnungsräumen
Utopischer geht es in Gänserndorf zu, eine knappe halbe Stunde außerhalb von Wien. Dort hat der Architekt Helmut Deubner vor drei Jahrzehnten eine Ökosiedlung geplant. 15 Jahre später folgte die Co-Housing-Siedlung "Lebensraum".
"In den 80er-Jahren war es für mich so, dass die Priorität eines Siedlungskonzeptes die Ökologie hatte. 15 Jahre später, wo das Projekt 'Lebensraum' umgesetzt wurde, war der Schwerpunkt nicht in erster Linie das Ökologische, weil das ist eigentlich schon Standard gewesen, sondern mehr die neue Form eines Zusammenlebens und einer gegenseitigen Stützung der Bewohner."
Der "Lebensraum" ist ein Siedlungskomplex mit 32 Wohneinheiten. Nicht hoch wie in der Stadt, sondern weitläufig verzweigt. Backstein, Holz und Lehm, und Glas – viel Glas. Lichtdurchflutete Gänge führen an den Wohnungen vorbei, an Schuhregalen, Kinderspielzeugen, Trocknungsgestellen für Kräuter.
"Die Rolle der Architektur habe ich so verstanden, dass es wichtig ist, dass die Leute sich ungezwungen begegnen. Und die Anlage ist so aufgebaut, dass sich durch die Gänge und die Anordnung des Gemeinschaftsraumes und der Waschküche und der Brunnenanlage sich die Leute ungezwungen begegnen."
Mit dem Leben in alten Dörfern vergleicht Deubner das. Auch im "Lebensraum" gibt es gemeinschaftliches Essen. Es gibt Gärten, die von einigen Bewohnern bewirtschaftet werden. Es gibt ein Tipi, einen Beachvolleyballplatz, ein Schwimmbecken. Es gibt Hühner und Schafe, an denen die Kinder ihre Freude haben. Es gibt Carsharing-Autos, aber nicht jeder beteiligt sich daran. Das Erfolgsrezept auch hier: Niemand muss bei allem mitmachen – oder mitbezahlen.
Suche nach dem Platz in der Gemeinschaft
Roman Hausmann, 28 Jahre, Wirtschaftswissenschaftler, lebt seit eineinhalb Jahren mit seiner Frau und zwei Kindern hier.
"Unser Hauptanliegen war eigentlich auch wegen der Kinder hierherzuziehen, vor allem weil wir uns gedacht haben, dass die Idee vom gemeinschaftlichen Leben für Kinder einfach toll ist."
Klingt nach einem Paradies. Und doch, ganz einfach ist es nicht. Noch sucht die junge Familie ihren Platz in der Gemeinschaft.
"Was die Kinder angeht, ich habe schon auch das Gefühl, dass es teilweise schwierig ist, gerade für meine ältere Tochter, sich zu integrieren", sagt er.
"Und ich habe mich mit mehr Leuten schon unterhalten und könnte mir vorstellen, dass das diese Gemeinschaft in gewisser Weise hervorbringt, dieses Gefühl, wir sind unsere Gemeinschaft, und wir sind schon in gewisser Weise anders als die anderen und dass sich das auch auf die Kinder überträgt."
Die Co-Housing-Gemeinschaft kennt sich seit Jahren, manche seit der Gründung. Bis man da ankommt, als Neuer, als Zugezogener, das kann dauern. Roman ist nicht der Einzige hier, der das spürt. Aber es geht eben nicht um Gleichmacherei, sondern um ein Zusammenleben von ganz verschiedenen Menschen.
Leopold Buchinger, einer der ersten Bewohner des Lebensraums. "Also wir haben eines nicht: Wir haben keinen gemeinsamen ideologischen oder spirituellen Überbau. Unsere Erwartungshaltungen sind nicht so hoch. Und das Wir-Gefühl müssen wir uns schon immer wieder erkämpfen."