CO2-Zertifikate

Deutschlands teures Versagen im Klimaschutz

Ein Kohlekraftwerk im Ruhrgebiet.
Ein Kohlekraftwerk im Ruhrgebiet. © dpa / picture-alliance
Hans-Jochen Luhmann im Gespräch mit Ute Welty |
Deutschlands Versäumnisse im Klimaschutz werden richtig teuer: Experten rechnen bis 2020 mit bis zu zwei Milliarden Euro für CO2-Zertifikate. Dabei muss das Problem seit 2016 im Umweltministerium bekannt gewesen sein, sagt der Experte Hans-Jochen Luhmann.
Ute Welty: Die Versäumnisse im Klimaschutz bedeuten nicht nur einen erheblichen Imageverlust für die Bundesrepublik, sie werden auch richtig teuer. Seit Beginn des Monats müssen nämlich für jede Tonne CO2 sogenannte Zertifikate dazugekauft werden. Das schreibt der europäische Emissionshandel vor. Rund 20 Euro kostet derzeit ein solches Zertifikat für eine Tonne. Experten schätzen, dass bis 2020 rund 100 Millionen Tonnen kompensiert werden müssen, und ein solcher Experte ist auch Hans-Jochen Luhmann vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie. Guten Morgen, Herr Luhmann.
Hans-Jochen Luhmann: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Was ist da Anfang Oktober passiert, dass Deutschland jetzt Zertifikate dazukaufen muss?
Luhmann: Es gibt eben zwei Arten der Begrenzung, den Emissionshandel für die Großemittenten, die großen Unternehmen, und dann gibt es den Rest, die ganzen Kleinquellen, und dafür sind die Nationalstaaten zuständig. Da gibt es ebenfalls eine Grenze, und wenn die Grenze überschritten wird, dann muss eben der jeweilige Staat dafür haften, und das ist in Deutschland in den letzten Jahren passiert. Und sozusagen netto geht man jetzt ins Defizit in diesem Monat, und insofern braucht das jetzt mehr öffentliche Aufmerksamkeit.

Zuwenig öffentliche Aufmerksamkeit

Welty: Können Sie denn irgendwelche Vorbereitungen der Bundesregierung erkennen auf mögliche Milliardenzahlungen? Denn davon sprechen wir ja am Ende des Tages?
Luhmann: Bevor man sich auf die Milliardenzahlungen vorbereitet, wäre natürlich die erste Frage, ob man irgendwelche Maßnahmen erkennt, um die Zahlungen zu vermeiden. Und dann ist die Antwort nein, die sehe ich nicht. Und zweitens, ich sehe auch nicht, dass es Maßnahmenvorbereitungen gibt, die Sachen in den Haushalt einzustellen.
Welty: Warum ist das so? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
Luhmann: Nein, viel einfacher. Ich glaube einfach, das Thema ist nicht in öffentlicher Aufmerksamkeit. Das ist jetzt finanzrelevant, also müssen es die Leute, die für Finanzen zuständig sind, auch wirklich begreifen. Und irgendwie hat die Umweltseite es geschafft, das zwei Jahre lang oder drei Jahre lang nicht zu thematisieren, sodass jetzt allmählich erst die Finanzer, die Haushälter im Bundestag aus allen Wolken fallen.
Welty: Wen meinen Sie mit der Umweltseite?

Schweigen statt Problematisieren

Luhmann: Die ersten, die es sehen konnten, waren natürlich die Leute vom Umweltministerium, und da ist das etwa seit 2016 durchschaubar gewesen.
Welty: Und warum ist nichts passiert? Müsste ich wahrscheinlich das Umweltministerium fragen und nicht sie, aber sie werden ja wahrscheinlich eine mögliche Erklärung haben.
Luhmann: Mein Eindruck ist das Problem des Fremdschämens. Irgendwie meinte man, dass sein eigenes Versagen und statt die Chance zu sehen, dass man es ja, wenn man es an die große Glocke hängt, man Macht ausübt, hat man gemeint, oh, da ist uns was passiert, davon schweigen wir lieber. Kennt man ja so aus dem normalen Leben. So erkläre ich mir diesen mir politisch, also im Machtkalkül nicht wirklich verständliche Vorgehensweise.
Welty: Aber die Erfahrung zeigt doch, dass man mit Vogel-Strauß-Politik meistens nicht sehr weit kommt.
Luhmann: Da sprechen Sie einen wahren Satz aus.

Die Verantwortlichen zur Kasse bitten

Welty: Inwieweit könnten diese drohenden Zahlungen denn auch dafür sorgen, dass man das Verfahren für ein nachhaltiges Klimaschutzgesetz eben auch nachhaltig beschleunigt?
Luhmann: Das ist ein guter Treiber. Um es noch mal in der Struktur wirklich klar zu machen: Man kann es verhindern. Und die Struktur ist, dass man eben jedes Jahr sozusagen das Doppelte zahlen muss. Und das kann man dann vermeiden. Man muss im ersten Jahr eine Milliarde zahlen, im nächsten zwei, dann sechs, und dann steigert sich das. Das kann man alles vermeiden, wenn man sagt, wir wollen entsprechende Gelder in die Hand nehmen, um nicht diese Strafzahlungen machen zu müssen.
Welty: Und wo soll dieses Geld dann herkommen?
Luhmann: Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Bundesregierung fährt weiterhin den Kurs, dass sie alle Kosten übernimmt, was sie ja sozusagen perspektivisch an Haushaltsmitteln eh einstellen muss – es geht ja jetzt nur noch darum, dass sie weniger einstellen muss möglicherweise. Aber man kann natürlich auch sagen, wir machen das nicht alles selbst, sondern geben die Kosten weiter an diejenigen, die wirklich die Verantwortlichen sind, also sprich die Bauern, die Gebäudebesitzer, die Mieter, die Autofahrer. Das sind die Kleinschwellenbetreiber, und die kann man natürlich auch ein bisschen ernstlicher zur Kasse bitten.

Zuwenig Ambitionen beim Klimaschutz

Welty: Klimaschutz kann nur gelingen, wenn alle Sektoren mit einbezogen werden, Sie haben es gerade schon angesprochen, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft. Finden Sie das in den bisherigen Entwürfen und Plänen der Bundesregierung gelungen?
Luhmann: Insbesondere bei der Landwirtschaft und beim Verkehr finde ich es deutlich unterambitioniert. Gerade noch mal durch die Dieselaffäre steigen die Menschen um auf Benziner, damit wird der spezifische CO2-Ausstoß höher, und das sieht man auch an diesem jetzigen Anstieg der Klimaschulden ist wesentlich der Verkehr ursächlich, und da spielt diese Dieselsache eine Rolle. Und da müsste man eben reagieren.
Welty: Welche politischen Konsequenzen fürchten Sie, wenn das nicht passiert?
Luhmann: Ich bin eigentlich zuversichtlich, im Gegenteil. Ich glaube, dass diese Situation einen neuen Drive bringen wird, weil jetzt andere politische Kreise mit einbezogen sind. Und jetzt ist es ja Sache des Finanzministers, noch mal neu abzuwägen, ob er wirklich meint, er sollte sich diese Privilegierung der Dienstwagen aus Steuermitteln weiterhin leisten. Ob er wirklich weiterhin meint, er sollte sich die Falschbasierung in der CO2-basierten Kraftfahrzeugsteuer weiterhin leisten. Es sind also jetzt Kalküle innerhalb des Finanzministeriums, um die Klientelpolitik zur Förderung der überbordenden Pkw-Nutzung und des Kaufs von Großautos ein bisschen einzuschränken. Insofern bin ich da ganz zuversichtlich. Ich finde es eine gute Botschaft.

Treibhausemissionen in der Landwirtschaft reduzieren

Welty: Und in Bezug auf die Landwirtschaft, was erwarten Sie da?
Luhmann: Das ist ein ganz schwieriges Thema. Da muss man meines Erachtens viel breiter ansetzen, da müssen die Maßnahmen vorbereitet werden, da muss man technologisch Entwicklung machen. Das ist so weit unvorbereitet – ganz anders als im Verkehrssektor –, da bin ich der Auffassung, man muss ein Großprogramm aufsetzen, um die Landwirte besser in die Lage zu versetzen, dass sie ihre Treibhausemissionen deutlich einschränken können.
Welty: Die Versäumnisse im Klimaschutz können richtig teuer werden. Einschätzungen dazu von Hans-Jochen Luhmann vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie. Ich danke Ihnen!
Luhmann: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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