Coach Carsten Stahl

Ein Mann gegen Mobbing

Anti-Mobbing Coach Carsten Stahl
Nicht unumstritten, aber erfolgreich: der Anti-Mobbing Coach Carsten Stahl © Jakob Schmidt
Von Jakob Schmidt |
Mobbing an Schulen - wie lässt sich das Phänomen wirkungsvoll bekämpfen? Der Coach Carsten Stahl wählt unkonventionelle Methoden. Sein Stil ist umstritten, doch der Erfolg scheint ihm recht zu geben.
Carsten Stahl nutzt zwei Werkzeuge für seine Arbeit. Eine Flipchart und sich selbst.
"Tun Sie mir nen Gefallen, lieber Herr Reporter? Fangen Sie nicht an zu weinen. Es ist verdammt schwer, nicht zu weinen …"
Eine Grundschule in Frankfurt/Oder. Kinder strömen in die Turnhalle und zappeln ungeduldig auf Holzbänken herum. Vor ihnen steht ein Hühne, ein 1,90 m großer, tätowierter Muskelberg. Viele Kinder hier kennen sein Gesicht. Jahrelang hat er die Hauptrolle in einer RTL2-Serie gespielt. Sie fiebern auf seinen Auftritt hin.
"Ich schwöre euch etwas bei dem Leben meiner Kinder: Noch kein Erwachsener war ehrlicher zu euch, als ich es heute zu euch sein werde. Jetzt denkt ihr euch: Was? Der alte Knacker? Wartet ab!"
Bereits zum fünften Mal innerhalb weniger Monate besucht Stahl diese Schule. Mit einigen Klassen hat er intensive Seminare durchgeführt, konkrete Konflikte zwischen den Schülern aufgearbeitet. Heute spricht er vor Viert- und Sechstklässlern.
"Wenn das hier eure Seele wäre, passiert mit normalem Mobbing das mit eurer Seele."
Das einfache Konzept: radikale Subjektivität. Kaum professionelle Distanz.
"Eure Seele wird zerrissen!"
Knapp zwei Stunden lang erzählt er emotionale Anekdoten aus seiner eigenen Vergangenheit als Opfer - und späterer Täter. Die Kinder sind die ganze Zeit aufmerksam – Stahl macht Eindruck. Höhepunkt ist die Geschichte eines kleinen Jungen, der in seiner Schulzeit besonders stark gequält wird.
"Seht ihr diesen kleinen zehnjährigen Jungen vor euch? Mit euren Augen. Seht ihr ihn bildlich vor euch, wie er in der Grube liegt und weint? Keine Luft kriegt, blutet und keiner hilft ihm. Seht ihr ihn vor euren Augen? Könnt ihr euch den vorstellen, diesen kleinen zehnjährigen Jungen, könnt ihr das?
Und dieser kleine zehnjährige Junge – war ICH! ICH WAR DAS!"
Stahls Blick wandert durch die Reihen. Einige Kinder fixiert er – schaut ihnen scharf und lange in die Augen.
"Ich hab euch doch gesagt, ich bin einer von euch, oder? Schaut mich heute an! Ich wiege 112 Kilo! Habe drei schwarze Gürtel. Bin ausgebildet an fast jeder Art von Schusswaffe. Ich bin Personenschützer. War ich das damals schon?"
"Nein!"

Selbstverpflichtung gegen Mobbing

"Ja, mein Name ist Adrienne Spohn, ich bin hier seit zwei Jahren die Schulleiterin an dieser Schule. Bin mit meinen Kollegen hier viele neue Wege gegangen und unter anderem war einer dieser Wege jetzt dieser Besuch auch von Carsten Stahl."
Wie sind denn die Erfahrungen aus dem, was er hier gemacht hat?
"Also wir haben sehr positive Erfahrungen damit gemacht. Die Schüler haben ganz schnell Sachen wirklich für sich umgesetzt. Sie haben ganz eindeutig gesagt auch, sie sind wieder zu einer Klassengemeinschaft zusammengewachsen und die Nachhaltigkeit, die bleibt, die ist einfach wirklich im Schulhaus spürbar, in den Klassen spürbar. Und das klappt hervorragend."
Am Ende der Veranstaltung bekommen alle Kinder die Möglichkeit, ein großes Transparent zu unterschreiben. Eine Selbstverpflichtung gegen Mobbing. In den Klassen, in denen ein solches Banner bereits hängt, erzählt Spohn, habe das einfache Mittel einen großen Effekt gehabt. Auch nach der heutigen Veranstaltung wollen ausnahmslos alle Kinder unterschreiben.
Anti-Mobbing Coach Carsten Stahl bei seinem Training in einer Schule in Frankfurt/Oder
Anti-Mobbing Coach Carsten Stahl bei seinem Training in einer Schule in Frankfurt/Oder© Jakob Schmidt
"Bei uns wurde auch schon mal über WhatsApp was verbreitet. In unserer Klasse kommt es halt regelmäßig vor, dass sowas passiert."
"Das war jetzt schon so das erste Mal, dass man da frei drüber sprechen konnte und auch seine Gedanken mal rauslassen konnte. Also das war schon eine tolle Sache hier!"
"Er bringt es auch mit Emotion irgendwie rüber, was die Lehrer dann meistens nicht so machen …"

Eine Frage der Methode?

Über 100 Schulen hat Stahl in den letzten drei Jahren besucht. Kritiker äußern Zweifel, ob seine emotionalen Achterbahnfahrten tatsächlich auch langfristig eine positive Wirkung haben. Wer aber bei Schulen anruft, wo Stahls Besuch schon länger zurückliegt, spricht mit Lehrern, die immer noch ähnlich begeistert sind wie Schulleiterin Spohn.
"Ja, es unterscheidet sich ganz klar von dem, was wir jeden Tag tun. Also ob wir nun mit Schulpsychologen oder anderen Leuten zusammenarbeiten. Wir sind immer diejenigen, die immer wieder versuchen, über die Schiene zu arbeiten: Du bist gut, du schaffst das, wir können das, wir machen das. Und Carsten findet eben ganz klare Worte. Worte, die wir so gar nicht nutzen können."
"Die größte Lücke, die wir haben, ist – und das ist das Entscheidende – dass zwar viele das richtige wollen, aber nicht zusammenarbeiten. Da gibt es die Polizei, die macht ihr Ding. Die Psychologen machen ihr anderes Ding. Die Lehrer machen ihr Ding. Und evaluierte gute Projekte machen ihr Ding. Das heißt: Alle ziehen in verschiedene Richtungen anstatt ein Tau zu nehmen und den Karren aus dem Dreck zu ziehen."
Carsten Stahl sieht seine Methode nicht als Selbstzweck. Betont selbst, dass sein Ansatz nur funktionieren kann, wenn Lehrkräfte seine Impulse langfristig in den Unterricht integrieren.
"Ich sehe mich als Werkzeug. Für den Lehrer und für den Direktor. Und wenn da ein Nagel in der Wand ist und den möchte er rausziehen. Dann braucht er ein Werkzeug dazu. Er wird es nicht mit der Hand probieren. Dann wird er sich verletzen. Oder es wird nicht funktionieren. Und so sehe ich mich."
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