Coco Chanel in der Nahaufnahme
Der französische Schriftsteller Paul Morand kannte Coco Chanel persönlich. Jetzt hat er seine Erinnerungen an die Modeschöpferin und seine Gespräche mit ihr veröffentlicht.
Wenn man dieses Buch in die Hand nimmt, stellt sich die Frage, ob es sich um eine Autobiografie handelt, wie der Untertitel "Coco Chanel erzählt ihr Leben" suggeriert, oder nicht vielmehr um Literatur, was der Titel sowie der Name des bedeutenden französischen Schriftstellers Paul Morand vermuten lassen.
Die Lektüre schließlich lässt keinen Zweifel daran, dass es sich tatsächlich um Literatur handelt, obwohl die Ich-Erzählerin ohne jeden Zweifel mit der Modeschöpferin gleichgesetzt werden muss, die die Frauen vom Korsett befreite, strenge Gegenentwürfe zur überbordenden Belle-Epoque-Mode schuf und das unsterbliche "kleine Schwarze" erfand.
Der Ton des Buches scheint tatsächlich der einer mündlichen Selbstdarstellung, ist aber bei genauerer Betrachtung viel zu stilisiert, um wirklich das wiederzugeben, was Mademoiselle Chanel – wie sie sich zeitlebens nennen ließ – an langen Winterabenden des Jahres 1946 Paul Morand in Sankt Moritz erzählte. Dort trafen sich die beiden im Schweizer Exil wieder, nachdem sie sich unter deutscher Besetzung – jeder auf seine Weise – stark kompromittiert hatten.
Im Text kommen "ihr Stolz, ihre Strenge, ihr Sarkasmus, ihre Zerstörungswut, ihre Schmählust, ihr Verwüstungsinstinkt, der Absolutheitsanspruch eines Charakters", wie Morand in seinem Nachwort über sie schreibt, deutlich zum Ausdruck. So deutlich, dass man sich fragt, ob Mademoiselle das Buch wohl autorisiert hat. Auch darauf gibt das Nachwort Antwort, denn der Autor beschreibt nicht nur, wie er sie Weihnachten 1921 kennen lernte, als sie ihn gemeinsam mit Picasso, Satie und vielen anderen Künstlern eingeladen hatte. Er erklärt überdies, dass er sich von den Gesprächen nur flüchtige Notizen gemacht hatte, die er 30 Jahre später – kurz vor dem eigenen Tod 1976 und nach dem Cocos am 10. Januar 1971 – zufällig wiederfand.
Aus diesen Notizen schafft er nun die Stimme der Verstorbenen neu und gibt ihr eine ungeheure Lebendigkeit – was allerdings auch dazu führt, dass viele der Namen und Anspielungen sich dem zumal deutschen Leser nur dank der ausführlichen Anmerkungen erschließen. Im Anhang findet sich außerdem eine tabellarische Biografie, anhand derer deutlich wird, dass Morand viele Elemente der sehr eigenwilligen Selbstdarstellung, gerade der frühen Jahre, wider besseres Wissen übernommen hat, um zumindest in diesem Punkt den Aussagen seiner Gesprächspartnerin zu folgen.
Somit entspricht dieses Buch der tatsächlichen Lebensgeschichte der Coco genannten Gabrielle Chanel einerseits weniger als deraktuelle Film von Anne Fontaine mit Audrey Tautou in der Hauptrolle, doch ist es frei von dessen Sentimentalitäten und zeichnet die Protagonistin damit vermutlich sehr viel lebensechter. Die berühmten Chanel'schen Aphorismen erscheinen auf der Leinwand als eingestreute Provokationen, wohingegen sie sich bei Morand perfekt in das gesamte Gewebe einfügen. Das mag auch daran liegen, dass er als einer der Väter des "style moderne" und Zeitgenosse Coco Chanel nicht nur persönlich kannte, sondern genau wie sie gegen überflüssigen Pomp Schlichtheit praktizierte.
Besprochen von Carolin Fischer
Paul Morand: Die Kunst, Chanel zu sein. Coco Chanel erzählt ihr Leben
Aus dem Französischen von Annette Lallemand. Mit Fotografien von Man Ray, Cecil Beaton, Horst P. Horst, Henri Cartier-Bresson, George Hoyningen-Huene, Roger Scholl und anderen.
Schirmer Graf Verlag, München 2009
282 Seiten, 19,80 Euro
Die Lektüre schließlich lässt keinen Zweifel daran, dass es sich tatsächlich um Literatur handelt, obwohl die Ich-Erzählerin ohne jeden Zweifel mit der Modeschöpferin gleichgesetzt werden muss, die die Frauen vom Korsett befreite, strenge Gegenentwürfe zur überbordenden Belle-Epoque-Mode schuf und das unsterbliche "kleine Schwarze" erfand.
Der Ton des Buches scheint tatsächlich der einer mündlichen Selbstdarstellung, ist aber bei genauerer Betrachtung viel zu stilisiert, um wirklich das wiederzugeben, was Mademoiselle Chanel – wie sie sich zeitlebens nennen ließ – an langen Winterabenden des Jahres 1946 Paul Morand in Sankt Moritz erzählte. Dort trafen sich die beiden im Schweizer Exil wieder, nachdem sie sich unter deutscher Besetzung – jeder auf seine Weise – stark kompromittiert hatten.
Im Text kommen "ihr Stolz, ihre Strenge, ihr Sarkasmus, ihre Zerstörungswut, ihre Schmählust, ihr Verwüstungsinstinkt, der Absolutheitsanspruch eines Charakters", wie Morand in seinem Nachwort über sie schreibt, deutlich zum Ausdruck. So deutlich, dass man sich fragt, ob Mademoiselle das Buch wohl autorisiert hat. Auch darauf gibt das Nachwort Antwort, denn der Autor beschreibt nicht nur, wie er sie Weihnachten 1921 kennen lernte, als sie ihn gemeinsam mit Picasso, Satie und vielen anderen Künstlern eingeladen hatte. Er erklärt überdies, dass er sich von den Gesprächen nur flüchtige Notizen gemacht hatte, die er 30 Jahre später – kurz vor dem eigenen Tod 1976 und nach dem Cocos am 10. Januar 1971 – zufällig wiederfand.
Aus diesen Notizen schafft er nun die Stimme der Verstorbenen neu und gibt ihr eine ungeheure Lebendigkeit – was allerdings auch dazu führt, dass viele der Namen und Anspielungen sich dem zumal deutschen Leser nur dank der ausführlichen Anmerkungen erschließen. Im Anhang findet sich außerdem eine tabellarische Biografie, anhand derer deutlich wird, dass Morand viele Elemente der sehr eigenwilligen Selbstdarstellung, gerade der frühen Jahre, wider besseres Wissen übernommen hat, um zumindest in diesem Punkt den Aussagen seiner Gesprächspartnerin zu folgen.
Somit entspricht dieses Buch der tatsächlichen Lebensgeschichte der Coco genannten Gabrielle Chanel einerseits weniger als deraktuelle Film von Anne Fontaine mit Audrey Tautou in der Hauptrolle, doch ist es frei von dessen Sentimentalitäten und zeichnet die Protagonistin damit vermutlich sehr viel lebensechter. Die berühmten Chanel'schen Aphorismen erscheinen auf der Leinwand als eingestreute Provokationen, wohingegen sie sich bei Morand perfekt in das gesamte Gewebe einfügen. Das mag auch daran liegen, dass er als einer der Väter des "style moderne" und Zeitgenosse Coco Chanel nicht nur persönlich kannte, sondern genau wie sie gegen überflüssigen Pomp Schlichtheit praktizierte.
Besprochen von Carolin Fischer
Paul Morand: Die Kunst, Chanel zu sein. Coco Chanel erzählt ihr Leben
Aus dem Französischen von Annette Lallemand. Mit Fotografien von Man Ray, Cecil Beaton, Horst P. Horst, Henri Cartier-Bresson, George Hoyningen-Huene, Roger Scholl und anderen.
Schirmer Graf Verlag, München 2009
282 Seiten, 19,80 Euro