IS-Terror
© Rowohlt Verlag
Begegnung mit dem Mörder: Über die Macht der Vergebung
07:46 Minuten
Colum McCann/Diane Foley
Übersetzt von Volker Oldenburg
American Mother. Eine Geschichte von Hass und Vergebung Rowohlt Verlag, Hamburg 2024240 Seiten
25,00 Euro
Eine Mutter trifft den Mörder ihres Sohnes. Warum macht sie das? Kann das Treffen etwas klären, Vergebung ermöglichen? Diane Foley erzählt eine berührende Geschichte über das Leben ihres Sohnes und ihre eigenen Strategien, dem Wahnsinn zu begegnen.
Oktober 2021: Diane Foley trifft Alexanda Kotey. Der IS-Terrorist hat ihren Sohn James Foley entführt, gefoltert und war an seiner im Internet veröffentlichten Hinrichtung beteiligt. James Foley war Journalist, als Freelancer unterwegs in Syrien. Er wollte als Kriegsreporter bezeugen, was in Syrien passierte, welch unermessliches Leid und welche Hoffnung schon damals viele Menschen im möglichen Sturz von Assad sahen.
Ein Jahr fehlt jede Spur
Am 22. November 2012 wurde der damals 39-Jährige zusammen mit dem britischen Korrespondenten John Cantlie entführt. Ein Jahr fehlte von den Männern jede Spur. Erst als sie zu einer Geiselgruppe des IS, bestehend aus westlichen Journalisten und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, stießen, erhielten Diane Foley und ihre Familie Nachrichten und Lösegeldforderungen: 100 Millionen Dollar und die Freilassung von Guantanamo-Sträflingen. Dann käme James frei.
Doch weil die US-amerikanische Regierung Verhandlungen mit den Terroristen ablehnte (man würde keine Terrorgruppen finanzieren), kam der Deal nicht zustande - anders als bei den Mitgefangenen aus Dänemark, Frankreich und Spanien. Warum macht ein Land das? Auch darum geht es in diesem Buch, das der Schriftsteller Colum McCann in enger Zusammenarbeit mit Diane Foley geschrieben hat.
Mischung aus Report und Diktat
Eine Mischung aus Report und Diktat ist so entstanden, mal lyrisch erschütternd, dann wieder getragen von den Schilderungen einer trauernden Mutter, die ihrem Kind Gerechtigkeit widerfahren lassen will, die über lange Strecken von seiner Einzigartigkeit und seinem Mut berichtet.
Jetzt also sitzen sich Mutter und Mörder gegenüber: Er gefesselt an den Beinen, auf dem Weg in ein Hochsicherheitsgefängnis, wo er in Isolation den Rest seines Lebens in einem kleinen Raum verbringen soll. Sie, auf der anderen Seite des Tisches, trägt Armreifen. Das ist ein kleines Detail. Beides klirrt, die Armreifen und die Fesseln. Man hört es förmlich und spürt: die Anspannung, die in diesem Treffen liegt. Diane Foley ist hier, weil sie glaubt, ihr Sohn hätte das auch getan, um zu erfahren, wer ihn tötete und warum.
Zwei Mal kommen die beiden zusammen. Und das sind die starken Stellen im Buch, wenn man merkt, die Frau kämpft, sie trägt ihren toten Sohn weiter: Nur der, dessen Geschichte nicht weitererzählt wird, ist vergessen. Das lässt sie nicht zu, diese über 70-Jährige, die selbst vor dem US-Präsidenten Obama kein Blatt vor den Mund nimmt. Ihn des Scheiterns anklagt, denn Obama tut nichts, um James, den Journalisten, zu retten – anders als etwa einen Soldaten.
Neuer Umgang mit entführten US-Bürgern
Diane Foley schluckt Demütigungen herunter, nimmt falsche Versprechen nicht lange übel, denn am Ende erreicht sie mit unglaublicher Ausdauer, dass Obama einen neuen Umgang mit entführten US-Bürgern implementiert. Der Levison Hostage Taking und Accountability Act passierte 2020 den Kongress.
Alexanda Kotey erzählt von seinen Kindern, die er nie richtig kennenlernen wird, von seinem Glauben, seiner Wut auf die Amerikaner, die mit Luftangriffen in islamischen Ländern Zivilisten töten, ohne sich schuldig zu fühlen. Diane Foley hört letztlich nichts wirklich Neues. Kotey sagt nicht, wo die Leiche ihres Sohnes zu finden ist. Und doch setzt sie sich mit ihm auseinander, versucht zu verstehen und seine Entschuldigung ernst zu nehmen. Und genau darin liegt ihre große Stärke.
Letztlich ist dieses Buch ein Zeitzeugnis über den Kampf der radikalen Islamisten, die mit Folter und öffentlichen Hinrichtungen Angst in die Welt tragen wollten; über die Arbeit von Journalisten in Kriegsgebieten; über den Umgang mit Entführten und den Umgang mit Gefangengen in Rechtstaaten; vor allem aber ist es ein Buch über eine Mutter, die selbst sehr gläubig ist, eine ehemalige Krankenschwester, die für ihren Sohn über sich hinauswächst. Am Ende wünscht sie Alexanda Kotey, Frieden zu finden. Und er, der gläubige Muslim, wird ihr die Hand schütteln, entgegen seines Glaubens, weil: „Sie ist für jeden wie eine Mutter“.