Comeback des Konservatismus

Rezensiert von Josef Schmid |
Für Wolfram Weimer haben sowohl die 68er wie auch die 89er abgewirtschaftet. Die Linken sind mit ihren Ideen gescheitert, die Krise hat die spaßorientierten Liberalen in ihre Schranken gewiesen. Bleibt für Weimar nur der Weg zu einem modernen konservativen Denken.
Polemik ist eine Kunst, die vor allem auf Bildung beruht. Sie ist die Kunst der Anspielung mit allen Mitteln des Bildungskanons und Sprachvermögens, um einer Überzeugung Kraft zu verleihen. Auch um eine wichtige Aussage vor der Ablage zu retten, die ihr bei ausgewogener, einschläfernder Darstellung droht. Die Kunst der Polemik verfällt gerade dann, wenn der verbindliche Bildungskanon schwindet und eine fragmentierte und apathische Öffentlichkeit hinterlässt. Mit dem Autor Wolfram Weimer ist ein Polemiker der Spitzenklasse am Werk, dessen Methodik, heiße Themen aufzutischen, ebenso Rezeption verdient wie der Inhalt seiner Essays. Die Darstellungsform und der Aufreizungsgrad eines Themas entsprechen hier einander und erfüllen in glücklicher Weise das Erste Gebot der Zunft: Du sollst nicht langweilen!

Hier springt ein Autor mit einem zentralen Gedanken aus den Geleisen des verordneten Mainstream. Er muss wissen, wem man mit der Behauptung, die laufende Krise werde uns konservativ machen, aufs Dach steigt.

Für Wolfram Weimer hat die jeweilige Mentalität von zwei Generationen abgewirtschaftet: Die 68er, die Linken greifen mit ihrem verbrauchten Links-rechts-Denken zu kurz:

"… das klassische linke Denken geht davon aus, dass vor allem Verteilungsfragen die Geschichte bestimmen. Wir haben aber gerade gelernt, dass plötzlich ganz andere Kategorien wie Religion (im arabischen Raum), Natur (im westlichen Raum) und Nation (in Russland und China) als Massenbeweger virulent sind. Das Feld der Wertedebatten, der Kampf der Kulturen, die ökologischen Streitlinien konturieren sich entlang völlig neuer Denkhaltungen. Bürgerdebatten um Moscheebau, Demografie, Sterbehilfe, Klimaschutz und Klonforschung taugen nicht für politintellektuelle Universalisten."

Doch dann geht Wolfram Weimer noch mit seiner eigenen Generation, den "89ern" ins Gericht – mit jenen erzliberalen lockeren Spaßvögeln in ihrer "ironischen Nische" – die nach dem Fall der Mauer nur noch freies Feld vor sich sahen und das rund um den Globus.

Die Spaßgesellschaft endete mit dem Donnerschlag jenes 11. September und das bedeutete einen "kulturellen Backlash". Denn nach Hohn auf eine deutsche Leitkultur, nach Hybris gegenüber vormodernen Bindungsformen wie Religion und Familie, nach Schönreden multikultureller Zustände dann das! Also musste man Religion und Kultur global eine größere Rolle einräumen, als sie in Europa innehaben. Die nun seit Monaten wütende Finanzkrise hat dem beschwingten Lebensgefühl der 89er den nächsten Schlag versetzt:

"Die Rückkehr der Religion seit 2001 war der wichtigste Vorbote dieses Gezeitenwechsels. Nun kehrten die Identitätsfrage und das Sicherheitsdenken in allen Facetten wieder. Der linken wie der liberalen Grundkonstitution sind gewissermaßen die Beine weggezogen, auch wenn es nach den ersten Reaktionen auf die Weltfinanzkrise noch einmal schien, als kämen die alten Genossen zurück."

Wolfram Weimer gibt sich als Sehender einer blinden Generation freier Glückskinder. Nun haben sie sich einiges – mit seiner Hilfe - hinter die Ohren zu schreiben:

Maßlose Entgrenzung gefährdet die Freiheit selber, - Werte sind gefragt statt Wertpapiere, - Kinderlosigkeit, Verlust jedes Nationalbewusstseins und Unterscheidungsvermögens von innen und außen, von Kreuz und Kopftuch sind Indizien des Zerfalls und nicht von Freiheit und Weltoffenheit, - Globalisierung braucht lokale Kompetenz, muss Intelligenz am Ort binden; dazu braucht die Nation ein gutes Image, ein zündendes Logo und nicht ein ständiges Absehen von sich selber.

Es geht nicht mehr um das Wohl und Wehe einer geistig eingebrochenen Deutungselite, sondern um die millionenfachen Normalen. Sie wollen das Gegenteil von Revolution, nämlich "Kohäsion", ein Zusammenrücken, das auch in Krisenzeiten besonnen bleiben lässt.

"Da das Globalisierungszeitalter die Revolution gewissermaßen im Dauermodus programmiert hat, gibt es bei den Menschen eher ein ständiges Interesse an Stabilität und Kohäsion. Sicherheit ist den meisten Menschen viel wichtiger geworden als Gerechtigkeit (zum Ärger der Linken) oder Freiheit (zum Leidwesen der Liberalen). - Die Linke hatte ihre beiden Jahrzehnte, die Liberalen hatten sie, jetzt sind die Konservativen dran."

Mit Pisa-Schock, Arbeitslosigkeit, Armutsängste, Terrorängste und der Auswanderung qualifizierter Deutscher ist klar geworden, dass der global-progressive Komplex den Problemen zugrunde liegt und keinen Ausgang aus ihnen verheißt. Da führt nur ein neuer Konservativismus heraus, sagt Weimer, - konservative Tugenden des Maßhaltens, der Sparsamkeit, der Verlässlichkeit; sie stehen gegen Hast und Hektik in einer zerfließenden Moderne ohne Halt. Ein aufgeklärter Konservativismus will nicht erwünschte Zustände einrichten, sondern einem Bewusstsein von Tradition und Herkunft, von Identität und Mythos Geltung verschaffen.

"Denn das Konservative fungiert in diesem Sinne immer als Damm der Alltagsvernunft und der Tradition gegen den rasenden Strom der Moderne (…) es verweist auf Traditionsspeicher, auf Religion, Kultur, Werte und Ethos als Gegenprogramm zur Machbarkeit wissenschaftlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Modernisierungszwänge."

Der Konservative ist berufen, die totalitären Entgleisungen der Moderne menschlich zu korrigieren: Glaube statt Geld, Heimat statt Hypotheken, Familie statt Finanzen.

"… die konservative Wende zeichnet eine starke Familiarisierung des Denkens vor. Kinder und Mütter rücken plötzlich ins Rampenlicht und entfachen ein Demografiebewusstsein wie zuletzt im 19. Jahrhundert."

Es ist erstaunlich, wie Wolfram Weimer in einem Büchlein mit 28 Kurzessays einen geistigen Wandel zu einem frischen Konservativismus verständlich macht. Er handhabt die Sprache wie ein Florett. Mit eleganter Ironie werden die abgestandenen gestrigen Denkfiguren zermartert, bevor sie den Todesstoß empfangen.
Wolfram Weimer: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Wolfram Weimer: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"© Gütersloher Verlagshaus