Der Phönix des französischen Chansons
300.000 verkaufte Alben in einer Woche: Renaud ist in Frankreich ein Kassenschlager wie vor der Krise der Musikindustrie. Nach zehn Jahren Abwesenheit feiert der Chansonnier ein fulminantes Comeback. Die Attentate von Paris trieben ihn zurück ins Rampenlicht.
"Toujours debout" heißt der Titelsong: "immer noch am Leben, immer noch in Form, immer noch aufrecht..." Das ist autobiografisch, denn der Künstler Renaud war zehn Jahre lang in der Versenkung verschwunden. Die People-Presse berichtete von seinen Alkoholexzessen. Anlässlich seines neuen Albums zeigte sich Renaud nun in den 20 Uhr-Nachrichten des Fernsehsenders TF1: Gepflegt, mit halblang geschnittenem grauem Haar und kurzem grauen Vollbart. Und nüchtern. Zum vergangenen Jahrzehnt meinte er:
"Ich war verloren wegen dieses verdammten Aperitifs mit Anis aus Marseille. Ich trank davon einen Liter am Tag, ich hatte Kopfweh, mein Körper tat mir weh, ich fiel über mein Glas. Aber das ist vorbei, dieser Renaud ist beerdigt."
Renaud Séchan, wie der Sänger mit bürgerlichem Namen heißt, feiert ein Comeback, wie es keiner erwartet hätte. Seit dem Erscheinen seines neuen Albums am 8. April sind fast 300.000 Exemplare verkauft. Seine für den Herbst geplante Tournee ist praktisch ausverkauft. Dieser Erfolg liegt sicher an der persönlichen Geschichte des Stars, der in Frankreich seit 1975 als Rebell und Protestsänger berühmt und beliebt ist und der immer wieder auszudrücken vermochte, was viele Franzosen empfinden.
Schock durch den Angriff auf "Charlie Hebdo"
Es war das Attentat auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015, das den Sänger aus seiner Alkohollethargie erweckte. Ihn schockte der Angriff auf die Pressefreiheit, aber Renaud verlor dabei auch Freunde, die Zeichner Wolinski und Cabu. Am 11. Januar 2015 war er auf der Pariser Demonstration dabei.
"Wir waren Millionen, Protestanten, Katholiken, Muslime, Juden und Ungläubige, unter dem wohlwollenden Blick von Tausenden Polizisten, alle solidarisch". So singt Renaud im Song "Ich habe einen Bullen geküsst". Das hätte sich der bald 64-Jährige vor 30 Jahren nicht vorstellen können! Er vergisst nicht, zu erwähnen, dass auf der Demo auch Despoten und "Minister ohne Ruhm" dabei waren. Doch eigentlich gilt sein neunjähriger Sohn Malone als Auslöser für die Läuterung.
Das meint auch ein anderer Chansonnier, Grand Corps Malade, der Renaud vor zwei Jahren um einen Titel bat für sein Projekt:
"Er brachte erstmals wieder gleich vier Verse am Stück heraus. Sie lauteten wie folgt: Du wolltest Lärm machen wie ich manchmal, aber pass auf deinen kleinen Finger auf, mir hat das Leben die Finger verbrannt. Das kam auf einmal, da sagte ich zu ihm, du bist wieder da!"
Renaud ist eine Art "Phönix des französischen Chansons", der immer wieder aufsteigt aus der Asche: Der Mann machte seit Mitte der 70er-Jahre als Sänger aus fast jedem Album eine Goldene Platte und feierte auch als Schauspieler Erfolge. Doch vor 20 Jahren war er schon einmal fast nicht erkennbar und falsch singend auf die Bühne getreten: Das war nach der Scheidung von seiner ersten Frau Dominique. Doch gleich danach schrieb Renaud 2002 einen seiner größten Hits, "Manhattan Kabul", der damals schon von Gewalt und Terror handelte.
Neues Leben dank Entziehungskur
Sein Biograf Alain Wodraschka wundert sich nicht über den erneuten Erfolg:
"Die Karriere von Renaud besteht aus Höhen und Tiefen. Er tickt so."
Als Renaud seinen treuen Gitarristen um die künstlerische Leitung bat war, Michael Ohayon erschüttert:
"Am Anfang sagte er, ich mache ein letztes Album, bevor ich sterbe. Er hatte die Energie der Verzweiflung. Er war sehr schwach aber sein Hirn funktionierte perfekt."
Als Renaud im Oktober 2015 in Brüssel ins Studio ging war seine Stimme allerdings im Eimer. Er machte daraufhin eine Entziehungskur. Seit über sechs Monaten rührt er keinen Tropfen Alkohol an. Sein Gitarrist Michael Ohayon meint:
"Das Album hat sein Leben gerettet. Heute ist er in Form, das ist wunderbar."
Auf seinem Album erzählt Renaud - wie immer - von seinen existenziellen Ängsten. Auch von denen eines Mannes, der älter wird, wie er selbst. Mal sind die Songs bewegend, mal sentimental, mal flott. Zwei Chansons drehen sich um die Pariser Attentate. Der Protest-Sänger der 70er-Jahre findet auch nach 40 Jahren Karriere noch die Worte die den Franzosen zu Herzen gehen.