Comic

Kampf gegen das Vergessen

Von Klemens Kindermann |
Der Spanier Paco Roca erzählt die Geschichte von Emilio, der an Alzheimer erkrankt und von seinem Sohn in ein Heim gegeben wird. Hier kämpft er einen aussichtslosen Kampf. Rocas Comic ist schön gezeichnet und einfühlsam erzählt.
„Die Wolke verschwindet nicht, sie wandelt sich in Regen.“ Mit diesem Zitat Buddhas beginnt der wunderbare und preisgekrönte Sachcomic des Spaniers Paco Roca.
In farblich zurückhaltenden Bildern, meist in hellen Gelb-, Braun und Orangetönen gehalten, wird hier die Geschichte von Emilio erzählt. Der ehemalige Leiter einer Bankfiliale erkrankt an Alzheimer, dieser heimtückischen Krankheit, die alten Menschen ihres Kurzzeitgedächtnisses beraubt, ihrer Orientierung, ihrer Sprache und ihres Urteilsvermögens. Bis heute ist Alzheimer unheilbar.
Zu Anfang des Buches sind die Symptome bei dem 72-Jährigen noch wenig ausgeprägt, umso härter trifft ihn die Diagnose. Denn nachdem sein überforderter Sohn ihn in einem Altersheim untergebracht hat, erlebt Emilio täglich, was mit den anderen Alzheimerpatienten geschieht. Im schlimmsten Fall kommen sie in die geschlossene Abteilung des Heims. Ein Ort des Schreckens, in dem die Betroffenen wegesperrt, allein mit ihrer Resterinnerung leben.
Mit wenigen Strichen fein gezeichnet
Gemeinsam mit seinen Mitbewohnern nimmt Emilio den - wenn auch vergeblichen - Kampf gegen das Vergessen auf. Da ist etwa sein Zimmergenosse Miguel, der die anderen gerne mal bestiehlt oder gegen Bezahlung mit unerlaubten Dingen versorgt und so den Heimalltag ein wenig aufpeppt. Und da ist Antonia, die zwanghaft abgepackte Lebensmittel bunkert, um diese ihrem Enkel zu schenken.
Die drei bilden den harten Kern; beobachten und kommentieren das Leben um sich herum und trotzen gegen den reglementierten Alltag, indem sie sich heimlich ein Auto beschaffen, um nachts auf Abenteurertour zu gehen. Die drei zieren auch das Cover des Buches: Auf einer Wiesen gehend, lächelnd ins Gespräch vertieft, fliegen aus Emilios Kopf Fotografien, die stellvertretend für sein Leben stehen.
In den Farben orange, braun, schwarz gehalten, wirkt die diese Zeichnung fast schon beschwingt. Ebenso die mit wenigen Strichen fein gezeichneten Gesichter der drei Alten. Nichts wirkt hier übertrieben. Und so sind alle Zeichnungen im Buch, schlicht in der Farbe, grandios im Ausdruck.
Doch das Alter und seine Folgen sind unerbittlich. Die unerlaubte Fahrt endet im Unfall. Dolores und Modesto, die anfangs noch mit den dreien am Essenstisch sitzen, sind eines Morgens weg. Modestos Alzheimer hat sie in die geschlossene Abteilung katapultiert. Denn obwohl Dolores noch für sich selbst sorgen kann, begleitet sie ihren geliebten Mann, der ihr in Kindertagen eine Wolke geschenkt hat (und dem Buch unter anderem auch seinen Titel), indem er mit ihr auf den Kirchturm geklettert ist. Doña Rosario hingegen erinnert sich nur noch daran, wie sie als junge Frau im Orientexpress Richtung Istanbul saß.
Den Finger in eine gesellschaftliche Wunde gelegt
Neben den fantastischen Bildern sind es genau diese Erinnerungen, die Paco Rocas Buch auszeichnen. Wenn sich etwa Doña Rosario in den Bildern wieder in die junge Frau verwandelt, die sie mal war, schön und edel anzuschauen. Oder wenn Dolores und Modesto lachend auf einem Kirchturm stehen, dann wird einem bewusst, wir sind es, von denen dieses Buch erzählt.
Mehr noch: Paco Roca legt den Finger in eine gesellschaftliche Wunde, denn oft werden alte Menschen als Ballast empfunden und so lässt man sie lieber allein, von Fremden versorgt, im Altersheim vor sich hin darben. Wie eng dieser Blick aufs Alter aber ist, macht Paco Roca mit seinen eingängigen Bildern klar. Nur wer den Wandel als wertvoll begreift, der kann mit Veränderung leben lernen.
Am Ende des Buches erkennt Emilio seine Freunde nicht mehr, aber der eigenwillige Miguel versorgt ihn dennoch liebevoll weiter. Und Antonia steigt immer öfter zu Doña Rosario in den Zug und begleitet sie auf ihrer Reise. Paco Rocas Sachcomic ist damit das Beste, was es derzeit zum Thema gibt.

Paco Roca: Kopf in den Wolken
übersetzt von André Drescher
Reprodukt Verlag, Berlin 2013
104 Seiten, 18,00 Euro

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