Wie Superman im Mainstream landete
Auf der ComicCon in San Diego wird es auch in diesem Jahr erneut Superhelden-Alarm geben. Der als Batman verkleidete "Geek" ist längst kein Randphänomen mehr. Laut dem Comic- und Computerspielexperten Hans-Joachim Backe geht es bei der Identifikation mit den Superhelden auch um Machtphantasien.
Heute beginnt die ComicCon in San Diego, quasi die Mutter all der ComicCons. Auch in Deutschland haben sich die Comic- und Science-Fiction-Fans schon in großer Zahl getroffen. Die erste German ComicCon Ende 2015 in der Dortmunder Westfalenhalle zog 30.000 Besucher an, in Stuttgart kamen vor kurzem schon über 50.000 Fans.
Iron Man, Superman, Batman im Kino, Herr der Ringe, Game of Thrones, Star Trek, Krieg der Sterne, Comics in Buchläden, Graphic Novels, PC-Games: Alles boomt. Generationen, die mit diesen Geschichten groß wurden, tragen sie weiter - eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis es normal ist, dass Firmenbosse im Ork-Kostüm an LARPs (Life Action Role Play) teilnehmen, Mütter mit ihren Kindern zur LAN-Party fahren und Schuldirektoren Iron Man-Comics lesen.
Der einst verlachte "Geek" und seine "Geek"-Kultur sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Oder im "Mainstream", wie Hans-Joachim Backe, Assistant Professor am Center for Computer Games Research an der Universität Kopenhagen, sagt. Laut Backe geht es beim Phänomen des Geeks um "ernsten Spaß". Vor 20 oder 30 Jahren seien Superhelden-Comics noch am Rand der Gesellschaft zu finden gewesen, jetzt gebe es kaum noch Berührungsängste.
Wenn sich Fans ein Superhelden-Kostüm überstreifen und damit herumrennen, könne man das schon als "Eskapismus" interpretieren, sagte Backe. Die meisten Leute wüssten aber, dass das Verkleiden "albern" sei – genau das mache ja das Vergnügen aus. Bei der Identifikation mit Superhelden geht es laut Backe aber auch um "Machtphantasien": "Wenn man heute in den Nachrichten ständig sieht, wo die nächste Katastrophe sich anbahnt, wünscht man sich ja schon manchmal, dass man da persönlich was tun könnte."
Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Iron Man, Superman, Batman im Kino, Comics in den Buchläden, Graphic Novels, Computerspiele, all das boomt, und zwar nicht mehr nur bei Nerds, bei Freaks oder bei Geeks, also Leuten, die viel Bildschirm und wenig Sonnenlicht sehen, sondern immer breiter.
Das zeigt der enorme Zulauf zu sogenannten Comic Cons, Großveranstaltungen, bei denen in einer Stadt wir Dortmund schon mal 30.000 Menschen zusammenkommen. Heute beginnt die Mutter all dieser Veranstaltungen, die Comic Con in San Diego.
Thema bei uns, mit der Frage, ist der einst so verlachte Geek und seine Geek-Kultur in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Fragen an Hans-Joachim Backe, er ist Assistant Professor am Center for Computer Games Research an der Universität von Kopenhagen. Guten Morgen!
Hans-Joachim Backe: Schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Wenn man sich das mal vor Augen führt, was man da so sieht: Menschen in Kostümen, erwachsene Menschen, die sich nicht einigen können, ob "Star Trek" oder "Star Wars" besser ist – was auf diesen Conventions passiert, ist das Spaß oder ist das ernst?
Backe: Das ist sehr ernster Spaß. Das heißt, wie jedes gute Spiel, das den Aufwand wert ist, es zu spielen, ist es einfach was, wo man sich sehr viel mit identifizieren muss, und was man dann auch ein Stück weit ernst nimmt. Und ich denke, das ist auch das, was im Prinzip den Geek sozusagen identifiziert. Wenn man eine Definition von Geek machen wollte, wäre das eben jemand, der etwas hat, was vollkommen unwichtig ist eigentlich, also einfach zum Beispiel eine Fernsehserie oder so, damit aber wirklich sich so identifiziert, dass man darin dann vollkommen aufgeht, das nachahmt, das ins Leben übernimmt, im Fall von "Star Trek" dann vielleicht sogar auch religiös schon betreibt. Das ist quasi auch das, was den Geek ausmacht, diese Überlappung von Spaß und Ernst.
Frenzel: Das Spannende ist ja, dass wir da gerade erleben, dass das, was vielleicht eher so ein Randphänomen auf einmal in der Mitte der Gesellschaft – dass ganz viele Leute, die sich da wahrscheinlich in unterschiedlichen Abstufungen, aber doch da irgendwie zurechtfinden. Was ist der Grund, warum trifft das auf einmal alles viel mehr einen Nerv als offenbar früher?
Backe: Ich glaube, Sie haben in Ihrer Einleitung da eigentlich schon den Schlüssel dazu gegeben, dass einfach die Demografie viel weiter geworden ist. Wo noch vor 20, 30 Jahren Superheldencomics, Computerspiele und so weiter eher dann am Rand der Gesellschaft standen, einfach, weil es relativ wenig Leute interessiert hat, haben wir jetzt natürlich ganze Generationen, vielleicht angefangen so mit meiner, für die da einfach mit aufgewachsen sind und für die das vollkommen normal ist und Bestandteil ihres Lebens schon immer war.
Frenzel: Verraten Sie uns mal Ihren Jahrgang, damit wir wissen, welche Generation das ist.
Backe: 1973. Ich bin so der Jahrgang, der im Prinzip aufgewachsen ist mit dem C64 oder eben Atari-Äquivalenten. Die Generation, für die einfach dann Computerspiele von vornherein ein integraler Bestandteil unseres Lebens war. Und alles, was praktisch nachher kommt – dann ist die Generation Gameboy da, dann die ganzen Nintendo-geprägten Generationen, wo halt einfach diese – da keine Berührungsängste in dem einen Medium schon mal da waren. Und warum auch immer hat sich da jetzt ja halt eben diese Synergie ergeben, dass jetzt auch durch die Superheldenfilme und ihren enormen Erfolg im Kino alles – die Hemmschwelle irgendwie sehr stark zurückgegangen ist. Und plötzlich gibt es keine Berührungsängste mehr, denke ich, oder weniger Berührungsängste.
Frenzel: Aber wenn wir dieses Phänomen des Verkleidens und dergleichen mit aufnehmen, also wirklich das Leben dieser Welten, ist das auch eine Flucht aus Realitäten?
Backe: Man kann das natürlich als Eskapismus interpretieren, das ist vollkommen legitim. Ich würde aber eher sagen, dass es eben auch wieder ein spaßhafter Umgang ist mit was, was man ernst nehmen kann, wozu man aber auch immer eine ironische Distanz hat.
Aus meiner persönlichen Erfahrung würde ich sagen, dass eigentlich die meisten Leute, die Cosplay betreiben, die sich halt verkleiden nach solchen populären Franchises, dass die durchaus wissen, dass das in einer gewissen Weise albern ist. Aber gerade das macht halt eben dann auch das Vergnügen aus. Man kann da sehr viel drin aufgehen, man identifiziert sich damit ein Stück weit, hat aber immer Spaß dabei. Es ist eben nur so halb ernst.
Frenzel: Interessant ist natürlich, wohin die Leute da flüchten, wenn wir mal bei diesem Gedanken bleiben, flüchten in eine Welt, die meistens ja recht martialisch daherkommt, gewalttätig, düster. Und eigentlich leben wir doch gerade in Zeiten, wo wir genau das genügend haben. Müssten sich nicht eigentlich alle Hippie-Filme im Moment anschauen und Hippie-Spiele spielen?
Backe: Man darf ja nicht vergessen, a) wo das Ganze historisch herkommt, das ist mehr oder weniger, diese starke Fankultur, die Geek-Kultur ist ganz stark verknüpft mit "Star Trek", was ja ganz utopisch ist in seinen Wurzeln. Ja, da wird viel gekämpft, und Captain Kirk hat in jeder Episode irgendwie einen Faustkampf, aber die Idee dahinter ist ja wirklich die, dass man eben auf der Erde in fast schon perfektem Zustand lebt und das eben ins Universum reintragen will, und dass auch alles andere, was heute so populär ist, gerade die Superhelden-Fiktionen, dass das ja eben auch von einer Zukunft ausgeht, in der man nach einer Auflösung von all diesen Konflikten strebt.
Es ist sozusagen als Fernziel immer eine gewisse Utopie da, so ein paradiesischer Zustand, den man anstreben will, natürlich dann auch durchaus durch offenen Konflikt – was eine Machtphantasie ist selbstverständlich. Wenn man heute in den Nachrichten ständig sieht, wo die nächste Katastrophe sich anbahnt, wünscht man sich ja schon manchmal, dass man da irgendwie persönlich was tun könnte. Und da spielt das dann natürlich rein, wenn man ein Superheldenkostüm anzieht.
Frenzel: Sie haben "Star Trek" angesprochen. Geeks sind ja wunderbare Verschwörungstheoretiker. Auch in den Siebzigern gab es zum Beispiel die Theorie, dass Kirk und Spock eigentlich in Wirklichkeit ein schwules Paar sind. Was ist denn ihre liebste aktuelle Geek-Verschwörungstheorie?
Backe: Ich glaube, das ist ein schönes Beispiel dafür, wo man zeigen kann, wie das mit dem Label "Geek" heute gar nicht mehr so sehr passt. Ich glaube, die interessanteste Verschwörungstheorie, die am weitesten verbreitete betrifft "Game of Thrones", was ja ein wirkliches Massenphänomen ist jetzt durch die HBO-Fernsehserie, wo im Internet schon seit drei Jahren, so weit ich weiß, aufs Wildeste spekuliert wird, wer denn jetzt die Eltern der Figur John Snow sind.
Und da gibt es rivalisierende Theorien und eine, die sich jetzt quasi durchgesetzt hat. Und nachdem eben die letzte Episode der aktuellen Staffel gesendet wurde, ist das Internet quasi explodiert mit Diskussionen darüber, ob denn jetzt diese zentrale Theorie bestätigt worden ist oder nicht. Ich glaube, da sieht man ganz schön dran, wie diese Praktiken der Geek-Kultur mittlerweile viel weitere Kreise ziehen und wie da auch – wie das schon im Mainstream angekommen ist.
Frenzel: Hans-Joachim Backe, Spiele-Professor an der Uni Kopenhagen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Backe: Vielen Dank!
Frenzel: Und wenn wir schon beim Geeking sind: Heute läuft der neue "Star Trek"-Film an. Wie gut der ist, das hören Sie hier in einer guten halben Stunde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.