"Regina Jonas? Erzähl mal genauer!"
Mitten im nationalsozialistischen Deutschland wurde Regina Jonas zur ersten Rabbinerin der Welt ordiniert. Die Berliner Künstlerin Elke Renate Steiner hat ihr nun einen Comic gewidmet.
Die junge Frau schaut den Betrachter geradewegs an. Die schwarzen Haare streng gescheitelt, der Blick entschlossen trotz der dunkeln Schatten unter ihren Augen. Um den Hals trägt sie einen Schal, hinter ihr sieht man Fußspuren. Am linken und rechten Bildrand wehen Fahnen, auf denen das Hakenkreuz zu erkennen ist. Die junge Frau heißt Regina Jonas und wurde gerade zur Rabbinerin ordiniert. Am 27. Dezember 1935 war das.
"Ja, dass sie sich so durchgekämpft hat mit dem, was sie machen wollte, machen konnte und dann auch gemacht hat, obwohl es Widerstände gab, und noch dazu in einer schwierigen Zeit; dass sie eben Rabbinerin sein wollte und wurde, was ja vorher noch nicht da war, und die Umstände außenherum waren sehr schwer und sehr schlimm, sehr bedrohlich. Dass sie das so geschafft hat und weiterentwickelt hat und beibehalten hat, das finde ich faszinierend."
So Elke Renate Steiner über die Heldin ihres Comics "Regina Jonas – Woman Rabbi". Regina Jonas wird 1902 geboren und wächst im Berliner Scheunenviertel in materiell bescheidenen Verhältnissen auf. Über ihre Kindheit ist nicht viel bekannt, doch hatte sie wohl schon früh den Wunsch, Rabbinerin zu werden. Diesem Ziel ordnet Regina Jonas alles unter. Und hier setzt auch Steiners Comic an. Auf 17 Seiten und komplett in schwarz-weiß gehalten, erzählt er ihre außergewöhnliche Karriere.
Seit 1924 studiert Regina Jonas an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Trotz bestandener Prüfung und einer Abschlussarbeit, die den programmatischen Titel "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" trägt, wird sie 1930 nicht zur Rabbinerin ordiniert, da Eduard Baneth, einer ihrer Lehrer und Förderer, überraschend stirbt. Erst fünf Jahre später erklärt sich der Offenbacher Rabbiner Max Dienemann bereit, diesen Schritt zu tun, ungeachtet aller Vorbehalte, die "Fräulein Rabbiner Jonas" entgegen schlugen.
Auch ungeübte Leser können den Comic dechiffrieren
Obwohl sich die Schlinge der Nationalsozialisten immer fester um das deutsche Judentum zieht, wirkt Regina Jonas weiter in Berlin, wo sie 1938 das Novemberpogrom erlebt. Dass sie 1942 mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet wird, erfährt der Leser in einem kurzen Epilog.
"Das ist ja das Tolle am Comic, dass ich da entscheiden kann, ah ja, das zeig ich im Bild, das ist besser niedergeschrieben gut, und hier bin ich mir nicht sicher, da lass ich das vielleicht auch der Interpretation der Leserin oder des Lesers. Ich bin mir natürlich auch immer bewusst, dass ich eigentlich total dreist natürlich losgehe, dann so eine Biografie auch zu bearbeiten und einfach Entscheidungen zu treffen und so. Und deswegen ist es für mich wichtig, dass ich mich dann auch mit Leuten berate, weil ich schon immer so ein bisschen Furcht hab vor diesem Moment, dass ich jetzt einfach entscheide, was ich von so einem Leben erzähle oder nicht."
Elke Renate Steiners Comic fordert den Leser, überfordert ihn aber nicht. Das strenge, fast spröde wirkende Format - immer acht gleich große Bilder je Seite, keine comictypischen Merkmale wie Soundworte oder Sprechblasen - ermöglicht es auch ungeübten Lesern, den Comic zu dechiffrieren. Denn auch das Lesen eines Comics will gelernt sein, weiß Ole Frahm. Er hat die Arbeitsstelle für grafische Literatur in Hamburg mitgegründet und forscht über Comics:
"Das muss man ja schon bedenken, dass für Leute, die es gelernt haben, ganz leicht ist und auch durchblätterbar ist, ist für andere eben gar nicht. Und das liegt, glaube ich, daran, dass dieses Zusammendenken von Schrift und Bild, das muss man rausbekommen, wie das geht. Was Elke Steiner hier macht, hat eine sehr gute Zugänglichkeit im Verhältnis zu einem Superheldencomic, wo man gar nicht weiß, welche Sprechblase man zuerst lesen muss, weil die total verteilt über die Seite sind und der Superheld irgendwo drüberspringt."
Entwicklung im nationalsozialistischen Deutschland
Gleichzeitig zwingt Elke Renate Steiner den Blick immer wieder zur Verlangsamung. Auf besonders temporeiche Passagen folgen Bilder, die die volle Konzentration des Lesers fordern. Beispielsweise bei der Aufsicht auf die Synagoge in der Rykestraße. Der Focus bleibt aber die Geschichte. Elke Renate Steiner schildert sehr genau und sehr konzentriert Regina Jonas' Entwicklung im nationalsozialistischen Deutschland. Unwillkürlich fragt man sich als Leser am Ende jeder Seit: Und wie geht es weiter?
"So ein Comic liest man ja vielleicht in einer halben Stunde, wenn überhaupt, vielleicht auch in einer Viertelstunde, liest man vielleicht nochmal und hat zumindest so einen Einstieg in die Geschichte, der erstmal leicht fällt. Also wenn man erstmal sich so reinlesen kann und gucken kann. Und da finde ich das tatsächlich erstmal einen ganz interessanten Weg, im Bild was herzustellen, was bisher sozusagen im Bild nicht stattgefunden hat, und Bildfindung zu suchen, die mich dann als Leser auch interessieren und damit natürlich auch mit der Geschichte eine Auseinandersetzung bringen, die ich vielleicht gar nicht so vorhatte."
Und was sagt die jüdische Seite zu dem Comic? Avitall Gerstetter ist Kantorin in der Gemeinde Oranienburger Straße, Regina Jonas' früherer Wirkungsstätte, und wandelt indirekt auch in ihren Fußstapfen. Dass der Comic nicht von einem Juden gezeichnet wurde, findet sie zwar schade, aber, so sagt sie, es ist gut, dass es ihn überhaupt gibt.
"Also ich finde es total wichtig, dieses Medium zu nehmen, zu benutzen, weil es doch, denke ich, junge Leute anspricht. Man arbeitet immer mehr mit dem Handy, man schreibt SMS, man kommuniziert per E-Mail, und man merkt, dass die Leute gar nicht mehr so bereit sind oder oftmals nicht die Muse haben, sich wirklich hinzusetzen und Bücher zu lesen, also junge Leute vor allem, die mit dem Computer aufgewachsen sind."
Fast komplett vergessen
Bis in die 90er-Jahre war Regina Jonas fast komplett vergessen. 1999 erschien eine kommentierte Ausgabe ihrer Streitschrift "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?"; in Berlin gibt es eine Gedenktafel; in Offenbach wurde ein Weg nach ihr benannt. Doch so ganz ist Regina Jonas noch nicht ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt, wie auch Elke Renate Steiner feststellen musste.
"Hier erlebe ich's schon häufiger, dass Leute sagen: "Was? Regina Jonas? Erzähl mal genauer!' So. Also einmal, dass mein Comic interessant ist, aber dass sie auch wirklich die Frau nicht kennen und was erfahren möchten über sie. Und wenn dann sozusagen mein Comic auch sozusagen das Mittel ist, dann freut mich das natürlich umso mehr."
Mittlerweile setzen Rabbinerinnen auf der ganzen Welt Regina Jonas' Lebenswerk fort. Das letzte Bild des Comics verdeutlicht dies eindrucksvoll: Während sich Regina Jonas' Fußspuren am vorderen Bildrand verlieren, tauchen am Horizont Rabbinerinnen auf. In den Händen tragen sie Torarollen und folgen ihrer Spur.