Comic-Verleger Klaus Schikowski

Wie der "Schund" zur Hochkultur wurde

08:54 Minuten
Zahlreiche Comics liegen in Erlangen beim Internationalen Comic-Salon zum Verkauf aus.
Früher als Schund abgetan, heute Kulturgut: Comics. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Moderation: Liane von Billerbeck |
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In Deutschland habe es zunächst einen "leichten Dünkel" gegenüber Comics gegeben, meint Klaus Schikowski, Programmleiter beim Carlsen Verlag. Doch die blühende Heftkultur am Kiosk der 70er-Jahre habe viele Leser für diese Kunstform gewonnen – bis heute.
In Deutschland hatten es die "Comics" zunächst schwer, sagt der Programmleiter des Carlsen-Verlags, Klaus Schikowski, im Deutschlandfunk Kultur. Dass sie in der Nachkriegszeit zunächst als Schund galten und einen schlechten Ruf genossen, begründet er damit, dass damals zwischen Hochkultur und Unterhaltung noch streng unterschieden worden sei.
Als die US-Soldaten erste Comics mitbrachten, seien darin die etablierten Superhelden wie Batman und Superman gewesen. "So etwas hatte man hier einfach noch nicht gesehen."
Auch vermenschlichte Enten, die sprechen konnten, wie in den Disney-Comics sei man mit einem leichten Dünkel begegnet. Da Comics in ihrer grafischen Ausgestaltung nach Einfachheit suchten, seien sie zunächst das "Ding für Kinder" gewesen. Es habe lange gedauert, bis der Comic seinen schlechten Ruf losgeworden sei, sagte Schikowski. Dieser Prozess sei immer noch nicht ganz abgeschlossen.
(gem)

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Die Comic-Helden des 20. Jahrhunderts, sie sind in die Jahre gekommen, aber populär wie eh und je. Asterix, die erfolgreichste Comic-Serie der Welt, wird 60 Jahre alt. Der andere große – Donald Duck – sogar schon 85.
Comics haben längst kein Schmuddel-Image mehr, sie sind wertvolles Kulturgut. Doch wie hat sich das Genre dahin entwickelt? Darüber habe ich mit Klaus Schickowski geredet. Er ist Programmleiter Comic und Graphic Novel beim Carlsen Verlag und hat über die Geschichte des Comic ein Buch geschrieben. Schönen guten Morgen!
Klaus Schikowski: Schönen guten Morgen
Billerbeck: Sie sind Jahrgang 1966 und beschäftigen sich jetzt schon sehr lange beruflich mit den Comics. Welches Werk hat denn bei Ihnen im Kindesalter die Liebe dazu geweckt?
Schikowski: Das ist eine sehr beliebte Frage, die mir immer sehr, sehr gerne gestellt wird, der ich immer auszuweichen versuche. Es war aber tatsächlich so, dass meine Eltern mir schon "Tim und Struppi" sehr früh vorgelesen haben. Da war ich sehr begeistert von, obwohl ich die politischen Implikationen der Bände noch nicht verstanden habe.
Drei Comicbände der Reihe "Tim & Struppi", darunter Band 1: Tim im Lande der Sowjets.
Drei Comicbände der Reihe "Tim & Struppi", darunter Band 1: Tim im Lande der Sowjets.© dpa / Sebastien JARRY
Aber das ist ja auch das Besondere an den Comics, dass es auf mehreren Ebenen verständlich ist, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, und jeder kann was rausholen. Anfang der 70er-Jahre, als ich noch relativ klein war, da blühte am Kiosk einfach auch eine Comic-Heftkultur, wo aus allen Kulturen etwas zusammenkam, und das habe ich begeistert aufgenommen, und daraus ist die große Leidenschaft entstanden.
Billerbeck: Das heißt, Sie haben Ihr Taschengeld auch dafür angelegt?
Schikowski: Natürlich.
Billerbeck: Wie lange gibt es eigentlich schon Comics? Wie lange ist das schon so, dass dieses Genre auf der Welt ist?
Schikowski: Man kann eigentlich sagen, dass die Geburt des Comics tatsächlich in den amerikanischen Zeitungen stattgefunden hat am Ende des 19. Jahrhunderts, in einer Zeit, wo sehr viele Zuwanderer kamen, auch nach New York, hat man sich dann irgendwann auch drauf besonnen und gedacht, sowas ähnliches wie "Max und Moritz" wäre schon schick. Denn "Max und Moritz" hat so einen bisschen diesen Slapstick in der Bildergeschichte etabliert, und das wollte man auch gerne in Amerika haben.
Dazu muss man auch sagen, dass natürlich das Aufkommen des Films ganz, ganz wichtig war, denn ein Comic ist ja letzten Endes in seiner Kurzform – wir haben damals den Stummfilm gehabt – in kurzen Sequenzen, und der Comic hat das Ganze sozusagen einfach nur in mehreren aufeinanderfolgenden Bildern erzählt.

Anarchische Streiche von Hans und Fritz

Billerbeck: Wilhelm Busch, war der tatsächlich so der Urahn des deutschen Comics?
Schikowski: Er galt ja eigentlich eher der Hochkultur zugehörig. Für den amerikanischen Comic war aber Wilhelm Busch tatsächlich doch sehr wichtig, denn es gab eine Serie, die hieß "Katzenjammer Kids", die von einem Rudolph Dirks gemacht wurde, der auch deutschstämmig war, und der hatte ganz klar den Auftrag: Mach mir bitte so etwas wie "Max und Moritz". Bei ihm hießen dann Max und Moritz nur Hans und Fritz. Die haben aber ähnlich anarchische Streiche gemacht.
Eine Szene aus "Max und Moritz" von Wilhelm Busch aus dem Jahr 1865; hier in der Ausstellung "Wilhelm Busch - populär und unbekannt" im Oktober 2010 im Deutschen Museum für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover
Eine Szene aus "Max und Moritz" von Wilhelm Busch. Buschs gezeichnete Geschichten gelten als Vorbild für die ersten Comics, sagt Klaus Schikowski.© picture alliance / dpa
Billerbeck: Sie haben schon erwähnt, in der Nachkriegszeit besonders, da galten Comics in Deutschland meist als "Schund" oder Schmuddelkram, und von dem sollten die Kinder lieber die Finger lassen. Warum hatten Comics in Deutschland so einen schlechten Ruf?
Schikowski: Ich glaube, das hat tatsächlich mit dieser Unterscheidung zu tun in Hochkultur und in Unterhaltungskultur. Als die amerikanischen GIs auch Comic-Hefte mitbrachten nach Deutschland, da waren das natürlich die etablierten Superhelden. Batman und Superman gibt es seit Ende der 30er-Jahre. Sowas hatte man hier einfach noch nicht gesehen. Auch die Disney-Comics, vermenschlichte Enten, die sprechen - ich glaube, man hat so einen leichten Dünkel gehabt, was denn das Seltsames sein könnte.
Vor allen Dingen dadurch, dass der Comic in seiner grafischen Ausgestaltung auch nach Einfachheit sucht, deswegen waren Comics immer so ein bisschen das Ding für Kinder. Die würden sich die Dinger schon abgewöhnen, wenn sie richtige Bücher in der Hand hätten.
Billerbeck: Dann interessiert mich natürlich, wie der Comic seinen schlechten Ruf hierzulande losgeworden ist?
Schikowski: Das hat lange gedauert und war ein sehr langer Prozess. Ich würde fast behaupten, er ist auch immer noch nicht gänzlich abgeschlossen. Dadurch, dass plötzlich immer mehr verfügbar wurde und der Carlsen Verlag damals auch Anfang der 80er-Jahre einen Lektor hatte, der versucht hatte, das Ganze auch ein bisschen zu bündeln und plötzlich auch Sachen chronologisch rauszubringen und nicht mehr nur noch vereinzelt, kam einfach auch ein anderer Ansatz rein.
Das war dann 1978 Will Eisner tatsächlich, der hatte den Comic gemacht "Ein Vertrag mit Gott", wo er versucht hat, den Tod seiner Tochter zu überwinden.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Will Eisner: "Ein Vertrag mit Gott – Mietshausgeschichten"© Carlsen Verlag
Er hat versucht, das in eine Bildergeschichte zu transportieren und hat sich gedacht, hm, dieses starre enge Panel am Panelschema reicht dafür auch nicht, ich möchte eher etwas Fließendes haben, wo die Texte durch die Bilder fließen, was einfach noch mal anders ist. Dann hat er das verschiedenen Verlagen gezeigt, und diese Verlage haben gesagt, was ist denn das, das ist ja jetzt nicht wie die typischen Superhelden, die wir kennen.
Dann kam er auf die großartige Idee und sagte, das ist eine Graphic Novel, eine grafische Erzählung, und sofort hatte er die Neugierde auf seiner Seite. Dieser Begriff hat sich dann einfach auch etabliert und gilt heutzutage so ein bisschen, wo das steht für diese Abgrenzung, ja, es gibt auch Comics mit Erwachseneninhalten.

Mangas haben völlig neue Zielgruppen gewonnen

Billerbeck: Sie haben Ihren Verlag schon erwähnt, der Carlsen Verlag, wo Sie Programmleiter sind. Der hat ja immer mal auch neue Dinge gemacht und mitgeholfen, dass die sich verbreiten. Ab 1997 hat der Verlag dem Manga in Deutschland zum Durchbruch verholfen. Das sind die großen Erfolge, aber hat man bei Ihnen im Carlsen Verlag eigentlich niemals gezweifelt, dass der Comic tatsächlich so ein großes Potenzial hat?
Schikowski: Zu beiden Dingen kann ich Ihnen eine kurze Geschichte erzählen. 1967 hat man bei Carlsen "Tim und Struppi" veröffentlicht, und man hat tunlichst vermieden, das Wort Comic zu benutzen, weil man sagte, hm, das könnte dem Comic im Buchhandel auch schädlich sein, und deswegen hießen die nur die Tim-Bücher.
Als man dann die Manga Ende der 90er-Jahre veröffentlicht hat – Manga werden ja von hinten nach vorne gelesen, nicht von vorne nach hinten wie in westlicher Kultur – und als man dann gesagt hat, ja, jetzt machen wir was ganz Cleveres, wir drucken die Mangas eins zu eins ab, und dann muss man die auch in Deutschland von hinten nach vorne lesen, da kamen auch enorm viele Sendungen zurück.
Dann haben die Buchhändler geschrieben, ihr habt das Buch falsch eingebunden, schickt uns bitte noch mal das Richtige. Also die mussten auch erst mal überzeugt werden. Der Manga hat es dann aber tatsächlich geschafft, dem Medium noch mal völlig neue Zielgruppen zuzuführen durch diese Romance-Themen, die auch im Manga verankert sind.
Billerbeck: Romance-Themen. Das ist ja ein wunderbares Wort.
Schikowski: Dadurch kamen auch junge Frauen einfach und haben Bildergeschichten gelesen, und das war neu, denn Comics richteten sich im 20. Jahrhundert – das muss man einfach mal sagen – schon an ein jugendliches männliches Publikum.
Billerbeck: Ich bin ja nicht mit den Comics aufgewachsen, die Sie alle aufgezählt haben. Ich bin ja in der DDR aufgewachsen, und da gab es aber auch eine Comic-Kultur. Es gab das "Mosaik" und es gab die "Digedags" von Hannes Hegen. Die hatten ja wahnsinnig viele Fans, und ich war ganz stolz, dass ich eine Zeit lang mal so einige der ersten Hefte hatte. Ist das eigentlich im Westen auch wahrgenommen worden?
Schikowski: Es ist wahrgenommen worden, dass es das gab, aber man hatte im Westen natürlich seine eigene Kultur. Das Schöne in Ostdeutschland war, dass es die ganzen großen Comics da ja gar nicht gab, sondern da gab es auch nur das "Mosaik", und deswegen konnte sich Hannes Hegen da auch einfach sehr, sehr entfalten. Also abgesehen von der Tatsache, dass er auch ein sehr guter Bilderzähler war und schöne Kompositionen auch hatte und schöne Geschichten erzählt hat, war er natürlich auch ein Solitär insgesamt.

Ein anderer Bilderfluss in Graphic Novels

Billerbeck: Heute gelten ja Comics, anders als in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als kulturell wertvoll. Das drückt sich auch in dem Begriff aus, den Sie ja auch schon erwähnt haben, die Graphic Novel, also die grafische Erzählung. Ist das qualitativ tatsächlich was anderes als der klassische Comic?
Schikowski: Qualitativ ist es schwierig zu sagen. Also, was die Graphic Novel schon geschafft hat, ist, einen anderen Erzählfluss, einen anderen Bilderfluss zu schaffen. Die Graphic Novels, die bieten einem an und sagen, ich bin eine abgeschlossene Geschichte, ich erzähle zu einem bestimmten Thema, und diese thematische Auseinandersetzung ist einfach noch mal neu.
Wo früher der Comic eher seriell war, also Donald fängt ja jeden Morgen wieder gleich an, oder Charlie Brown ist auch am Anfang des Strips immer wieder derselbe Charlie Brown, der ja nicht draus lernt, dass der Football weggezogen wird, sonst würde er ja beim nächsten Mal anders reagieren. Also bei denen ist alles immer wieder auf Anfang bei den Helden, und bei den Graphic Novels kann man natürlich auch ganz andere Geschichten erzählen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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