gg: "Wie Dinge sind"
Avant Verlag
104 Seiten
14 Euro
Stilles Beobachten
06:03 Minuten
Der Comic "Wie Dinge sind" der kanadischen Comiczeichnerin gg handelt von einer jungen Frau in einer kleinen Stadt in Kanada, dem Gefühl von Schuld und der Sehnsucht nach einem Ausbruch aus der familiären Enge.
Der Comic erzählt von einer jungen Frau der zweiten Generation, deren Eltern in das Land migriert sind, um ihr als Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Verantwortung und die Pflichten gegenüber den Eltern, auch die Erwartungen, die diese an die Tochter haben, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte.
Eines Tages beobachtet die Protagonistin auf der Straße eine andere ihr selbst ähnliche Frau, und gerät durch eine Verwechselung in deren Wohnung. Die Wohnung der anderen zeugt von einem freieren, verantwortungsloseren Leben – sie findet einen Reisepass mit vielen Stempeln, Fotos aus Paris und auf dem Anrufbeantworter ist eine Nachricht der Mutter, die offenbar schon sehr lange nichts mehr von ihrer Tochter gehört hat.
Die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus der familiären Enge, nach Freiheit und Unabhängigkeit veranlassen die junge Frau dazu, in der Wohnung zu bleiben und schläft ein. Im Traum kommen Kindheitserinnerungen und tiefe Schuldgefühle zum Ausdruck, vor allem an die Mutter, die tief erschöpft von der Arbeit nach Hause kommt und sagt, sie hätte nicht in dieses Land kommen sollen; sie hätte ihr Leben für die Tochter aufgegeben.
Beeindruckend, wie die Geschichte erzählt wird
Beeindruckend ist vor allem die Art, wie die Geschichte erzählt wird: Wie einem Film, in dem wenig gesprochen wird, reiht sich Szene an Szene, wobei die einzelnen Panels in ihrer Detailtreue und realistischen Abbildung von Menschen und Gegenständen ästhetisch an Film-Stills erinnern. Dazu trägt auch bei, dass Gesprochenes statt in Sprechblasen in schwarzen Balken unter den Panels steht, wie Untertitel in einem Film. Blasse Bilder mit vielen Grautönen werden zu scharf gestochenen Bildern mit hohem Kontrast, wie beim Entwickeln von Fotos in der Dunkelkammer.
Die ersten beiden Seiten des Comics zeigen über acht Panels verteilt die Protagonistin, wie sie sich die Haare hochsteckt, wobei das Bild immer schärfer wird: wie aus einem Nebel steigt man in die Story ein und beobachtet die Protagonistin, aber nur von außen. Es gibt keinen inneren Monolog, was in ihr vorgeht, bleibt verschlossen.
Es steckt viel Traurigkeit in den Bildern
Diese stille Beobachtung hat teils auch etwas Sinnlich-Erotisches, wenn sie sich auf das Bett legt und sich mit der Hand über den Nasenrücken bis zum Kinn streicht, wieder in acht Panels, als hätte jemand in wenigen Sekunden acht Mal den Auslöser einer Kamera betätigt. Weder hat diese Protagonistin Identifikationspotenzial, noch gibt es eine übergeordnete Erzählung – stattdessen werden Leserinnen und Leser einfach mit Bildern und Szenen konfrontiert.
Es steckt viel Traurigkeit in dem, was die Bilder zeigen, viel Melancholie, aber die minimalistische Art zu erzählen und die ruhige Beobachtungsgabe, mit der gg Gegenstände und Szenen in ihrem Comic abbildet, sorgen gleichzeitig für Leichtigkeit und eine große Klarheit in der Ästhetik. Ähnlich wie ihre Hauptfigur, die sich so als Hobbyfotografin betätigt, hält auch gg in ihrem Comic fest, "wie Dinge sind" und schreibt diesen dadurch eine Bedeutung zu. Eine große Stille herrscht in diesem Comic, der narrativ kaum Vorgaben macht und vieles der eigenen Lesart überlässt.
Meisterhaft und stilvoll setzt gg die Emotionalität des Visuellen und die Sequenzhaftigkeit ein, in der auch die Nähe zum Film steckt, aber kehrt auch die Literarizität im Comic hervor – im Grunde ist "Wie Dinge sind" ein poetischer Comic-Essay, mit einer Ernsthaftigkeit und Tiefsinnigkeit, die viele überraschen würde, die im Comic immer noch so ein jugendliches, halbseriöses Medium sehen